
Brambilla
Themenstarter

Liebe Kollegen,
wer sich ausgiebiger mit Uhren beschäftigt, insbesondere mit solchen aus der automatisch-helvetischen Fraktion, kommt früher oder später zu diesem einen, entscheidenden Moment. Dann nämlich, wenn er oder sie zum ersten Mal dem Gegenüber lässig diese magische Wort- und Zahlenfolge ins Gesicht schleudert:
„Nö, ist ein ETA-Achtundzwanzigzweiundneunzig drin“, oder noch besser: „Typisch schwache Aufzugsleistung, ist halt ein ETA-Achtundzwanzigzweiundneunzig“.
Spätestens ab diesem Moment ist man halbamtlich anerkannter Uhrenkenner. Und wer dann noch das entsprechende Derivat aus der Sellita-Schmiede auswendig vorbeten kann und Powermatic nicht für den Helden eines Action-Comics hält, ist in der Disziplin „Uhrenkrank“ schon Träger des blauen Gürtels.
Die Bekanntheit des genannten ETA-Kalibers 2892 (und dessen Sellita-Schwester SW 300) ist augenscheinlich. Das Werk tickt in zigtausenden von Uhren, Dutzende von Herstellern bestücken ihre Modelle mit diesem Kaliber, welches in verschiedenen Gütestufen, mit oder ohne zusätzliche Komplikationen produziert wird.

Heute stelle ich euch die Eterna Vaughan vor. Diese Uhr zitiert die Anfänge in der Geschichte des besagten Kalibers auf eine sehr eindrückliche Weise. Die Vaughan ist das Ergebnis einer Reise zurück in die Vergangenheit, ohne dabei die Moderne ausser Acht zu lassen. Gleichzeitig erweist sie einem wenig bekannten Tüftler aus Wales die Referenz, ohne dessen Patenterfindung unser modernes Leben mitsamt Industrie und Mobilität nicht so rund laufen würde.

Und jetzt alles schön der Reihe nach. Oder eben auch nicht so ganz der Reihe nach.
Als die Eterna Vaughan an der Baselworld 2006 vorgestellt wurde, war die Welt von Eterna noch in Ordnung. Die Chinesen waren noch weit weg in China und vor Ort in Grenchen bestimmte die Familie Porsche (Oliver Porsche) über die Geschicke des 1856 entstandenen Traditionsunternehmens Eterna. Und genau 150 Jahre nach der Gründung wurden in Grenchen erstmals seit der Abtrennung von ETA auf Wunsch der Porsches wieder eigene Kaliber entwickelt und produziert. Dazu gehörte, neben anderen Werken, auch das Kaliber Eterna 3030, welches in der Vaughan zum Einsatz kommen sollte. Die Ingenieure bei Eterna zeichneten das neue Kaliber nicht auf einem gänzlich leeren weissen Blatt. Vielmehr besann man sich einem ehemals sehr erfolgreichen Model der eigenen Geschichte, der Eterna 3000 Dato. Diese Uhr war damals für Eterna ein absoluter Markterfolg und auch wegweisend für andere Werkeproduzenten und Uhrenhersteller.

Um das etwas besser verstehen zu können, müssen wir von der Baselworld 2006 eine kleine Zeitreise von 45 Jahre zurück machen. Auf dem Chefsessel von Eterna sitzt der charismatische und umtriebige Dr. Rudolf Schild-Comtesse. Eine sehr illustre Persönlichkeit und in der damaligen Zeit wohl einer der einflussreichsten Personen der schweizerischen Uhrenindustrie. Er kümmerte sich um die Interessen seiner Firma mit allen Mitteln, war politisch aktiv und interessierte sich für jedes Detail, wie diese Aktennotiz eines Telefonats von 1949 belegt. Es ging um die Namensgebung für das 1948 entwickelte neue kugelgelagerte Werk von Eterna, eine Weltneuheit. Offenbar wollte man das Kaliber Ball-O-Matic oder ähnlich nennen, was allerdings wegen einem gleichlautenden, kleckend-sauenden amerikanischen Kugelschreiber offenbar nicht in Frage kam.

Zurück zum flachen Kaliber. Im Jahr 1961 verlangte der Herr Dr. Schild-Comtesse die Entwicklung eines ultraflachen Automatikwerks. Und die Ingenieure von Eterna unter der Leitung des Entwicklungschefs Heinrich Stamm (eben jener Erfinder des kugelgelagerten Rotors) lieferten. Das Werk nannte sich Eterna-Matic 1466U und hatte eine Bauhöhe von gerade mal 3.6 mm. Zwei jähre später, 1963 feierte das Kaliber in der Eterna-Matic 3000 Dato seinen Marktauftritt. Die Uhr war eine ziemliche Sensation; nie zuvor gab es ein derart flaches Werk mit Zentralrotor sowie Fenster-Datumsanzeige.

Das Kaliber 1466U (mit einer Unruhfrequenz von 2.5 Hertz) wurde sehr rasch auf 3 Hertz aufgetaktet und erhielt den Namen 1504. Das 1466U respektive das schneller schwingende Nachfolgewerk 1504 bildeten das eigentliche Ur-Kaliber des Eta 2892.
Im Wesentlichen besassen das 1466U respektive das 1504 eine sehr stark angeschrägte Werksarchitektur, die Automatik-Baugruppe fand in einer Mulde Platz, wobei die Schwungmasse einen nach Aussen hin abgetreppten Ring aus Schwermetall besass. Zudem wurde das Kugellager für den Rotor mit sieben anstatt fünf Kugeln bestückt. Datumsring und dazugehörendes Schaltwerk fanden ohne abzustehen in einer auf der Vorderseite ausgefrästen „Rinne“ Platz. Neben den technischen Spezifikationen (direkt angetriebene Zentralsekunde, Zahnräder aus Berylliumbronze, federlose Klinkenräder, Abkoppelung des manuellen Aufzugs beim automatischen Spannen der Zugfeder etc.) waren diese Kaliber von der Bauart her ideal für eine Herstellung in Grossserie. Durch stetige Weiterentwicklung, dabei stand die Anhebung der Frequenz auf 4 Hertz im Vordergrund, wurde ab dem Jahr 1975 aus dem 1504 schliesslich das 2892.

Links oben das 1466U, rechts oben das 1504 und unten das 2892
Wir springen zurück in die Zeit vor der Baselworld 2006. Die Ingenieure bei Eterna haben sich für das Kaliber 3030 der Vaughan sehr eng am Eterna Kaliber 1504 aus den sechziger Jahren orientiert. Die angeschrägte Werksarchitektur wurde beibehalten, allerdings wurde die Ausgangs-Blaupause des 1504 grundlegend überarbeitet. Für einige der zentralen Bauteile des Werkes fand das sogenannte fotolithografische Verfahren Anwendung. Dieses Verfahren erlaubt eine hochpräzise Herstellung kleinster Werkteile mit komplexen Formen. Mit diesem Hightech Verfahren, welches im Jahr 2006 - im Gegensatz zu Heute - bei der Herstellung von Uhrenbestandteilen noch nicht so stark verbreitet war, lassen sich winzige Teile aus verschiedenen Materialien in absoluter Präzision herstellen. Als Materialien kommen etwa extrem harte Nickel- oder Nickel-Phosphor-Legierungen oder gar Gold in Frage. Dieses fotolithografische Verfahren wird auch „LIGA-Verfahren“ genannt (Lithografie, Galvanik, Abformung). Eines der bekanntesten Produktbeispiele dieses Verfahrens sind die Silizium Spiralfedern der Swatch Group, von den Einstiegsmarken bis hinauf zu Breguet.
Ich entschuldige mich schon jetzt bei allen Lesern mit Werkstoff- und Ingenieurwissen aller Art. Die Erklärung des LIGA im nachstehenden Absatz habe ich leider selbst verfasst und mein technisches Verständnis hat, na ja, noch Potential. Also: vereinfacht gesagt wird das herzustellende Teil (Zahnrad, Feder, Brücke etc.) als „CAD-Foto“ in zigfacher Anzahl auf einer Art Fotomaske abgebildet. Dann wird diese Fotomaske auf einen sogenannten „Wafer“ mittels UV-Licht übertragen (der Wafer besteht aus einer vergoldeten Silizium Platte und ist mit einem fotosensitiven Material belegt). Durch das UV-Licht wird die Struktur der Teile im fotosensitiven Schicht polymerisiert. Durch „Herauswaschen“ enthält der Wafer nun quasi die Negative des gewünschten Teils. In einem Galvanik-Bad wird jetzt im Wafer Atom für Atom das gewünschte Metall in die Negative eingebracht (so etwas wie Electro-Plating). Am Ende wird der Wafer geschliffen, geplättt oder was auch immer. In einem Bad wird die fotosensitive Schicht schliesslich vom Wafer getrennt und die Teile können entnommen werden.
Tönt kompliziert und ist es wohl auch. Eines der weltweit führenden Unternehmen bezüglich der LIGA-Technik ist die 1998 gegründete Firma Mimotec SA in Sitten (Kanton Wallis). Die Firma ist heute ein unverzichtbarer Tech-Partner der Schweizer Uhrenindustrie. Audemars Piguet beispielsweise wies bei der Lancierung der Code 11.59 stolz auf die bislang noch nie dagewesene Exaktheit des AP-Logos auf dem Zifferblatt hin. Diese Logos wurden von Mimotec hergestellt.

Zurück zur Eterna Vaughan und dem Kaliber 3030. Mit dieser Uhr respektive dem Kaliber 3030 hat sich Eterna auf seine ehemalige uhrmacherische Kompetenz zurück besonenn. Die Ellipsenform des Vorbild-Kalibers 1504 wurde vollständig kopiert. Das 4 Hertz Kaliber 3030 misst im Durchmesser 30 mm und hat eine Höhe von gerade mal 4.6 mm sowie drei Kugellager, eines für den Rotor und je eines für die beiden Datumsscheiben. Die Bauhöhe ist insofern erstaunlich, weil das 3030 eine geniale Grossdatums-Anzeige besitzt. Die Scheibe mit den Zehner-Tagen liegt auf einer etwas höheren Ebene als der Ring mit den Einer-Tagen, dies erlaubt eine konsequente Umsetzung der Ellipsenform. Zum Vergleich, das Grossdatum-Kaliber 6950 von Blancpain hat eine Höhe von 4.75 mm.
Hier die Vorderseite des 3030:


Das Grossdatum der Eterna besitzt eine Schnellverstellung und lässt sich idiotensicher bedienen. Manipulationen am Grossdatum können jederzeit und ohne Gefahr einer Beschädigung des Werks vorgenommen werden. Das Datum schaltet um Mitternacht innerhalb weniger als einer Sekunde. Die Drehimpulse für die Zehnerscheibe kommen direkt von der Einerscheibe des Grossdatums, die manuelle Datumskorrektur wird über die Krone vorgenommen, eine volle Kronenumdrehung schaltet das Datum um zwei Tage nach vorne oder zurück.

Dieser Form sind auch das Zifferblatt und der Minuten- und Stundenzeiger konsequent unterworfen. Das Werk wie auch die Uhr an sich bilden eine Einheit, nichts an der Uhr ist eckig, alles fliesst, jedoch ohne an die etwas opulent geratene organische Ebel-Designphilosophie zu erinnern. Die klassischen Vintage Dresseruhren der 50er und 60er Jahre sind das Vorbild der Eterna Vaughan.

Im Erscheinungszeitpunkt war die Vaughan die weltweit flachste Automatik-Uhr mit einem Grossdatum und zentralem Sekundenzeiger. Damit zeiht die Vaughan eine wunderbare Parallele zur Eterna-Matic 3000 Dato. Gerade mal 9.3 mm misst die Vaughan in der Höhe, und das auch noch mit einem Saphirglas-Boden.

Das Kaliber 3030 bietet nicht nur Hightech, sondern auch eine gewisse Portion klassische Uhrmacherkunst. Die Brücken des Werks sind rhodiniert und weisen als Dekorierung eine Kombination von „Perlage“ und Säpiralschliffen auf, während der Rotor Genfer Streifen besitzt.

Von vorne betrachtet ist die Uhr eher „cool“ und hat ein sehr zurückhaltendes Design. Meine Version besitzt das Anthrazit Farben Zifferblatt mit Sonnenschliff. Dabei wurde nicht vergessen, die Datumsscheiben in der passenden Farbe zu halten. Es gab die Uhr auch mit einem weissen Blatt, und da selbstverständlich auch mit weissen Datumsscheiben.

Hier meine verflossene Vaughan mit dem „Off White Dial“:

Die Vaughan hat schlanke Dauphinezeiger im Stil der Vintageuhren aus der Epoche von vor 60 oder 70 Jahren. Die Ablesbarkeit ist perfekt. Jedenfalls so lange genug Licht vorhanden ist. Die Uhr soll ein Dresser sein, weshalb Lume nicht vorgesehen war. Da hat die Eterna etwas von den klassischen Grand Seikos.

Das Edelstahlgehäuse besticht wie auch das Zifferblatt mit schlichter Eleganz. Die geschmeidig, konkaven oder linsenförmigen Linien finden sich auch beim Gehäuse aus poliertem Edelstahl. Neben einer Stahlvariante bot Eterna die Uhr auch in Rotgold an.
Wer bis jetzt bei der Vorstellung durchgehalten hat, fragt sich vielleicht, was es mit dem Namen Vaughan auf sich hat. Mit dem Musiker Stevie Ray Vaughan hat die Uhr nichts zu tun (das wäre bei einer Raymond Weil oder Oris vielleicht zutreffend). Nun, im vorliegenden Fall müssen wir nochmals einen kleinen Zeitsprung ins 18. Jahrhundert machen. Im Jahr 1794 erhielt der walisische Eisengiesser Philip Vaughan das Patent für ein Metall Kugellager. Seine Erfindung verbesserte die bisherigen Kugellager aus Holz oder Bronze radikal. Er legte den weltweiten Grundstein für die Vermeidung ungewollter Reibungsverluste. Dass seine Erfindung durch Eterna im Jahr 1948 eine für die Uhrenindustrie ebenso epochale Bedeutung erfahren sollte, war Anlass genug, die Uhr als Eterna Vaughan auf den Markt zu bringen.

Quelle: wikipedia
Ein Verkaufserfolg war die Vaughan leider nicht, dafür war der Preis schlicht zu hoch. Zum 160-Jahre Jubiläum produzierte Eterna schliesslich noch einige hundert Eterna Granges Automatic mit dem Kaliber 3030. Eine zur Vaughan baugleiche Uhr, allerdings in verschiedenen Zifferblatt-Farben und mit etwas mehr Text auf dem Blatt. Persönlich gefällt mir die Vaughan im direkten Vergleich etwas besser, gerade wegen dem zurückhaltenden Styling.

Und noch was: 42 ist nicht die Antwort auf Alles. Das Einzige, was mich an der Uhr stört und was ich den Entwicklern von Eterna vorwerfe, ist der schlichte Umstand, dass 42 mm für einen Dresser einfach zu viel sind. Wäre die Uhr 2 oder 3 mm kleiner im Durchmesser, ich hätte wohl meine Lieblingsuhr gefunden.

Zum Schluss die technischen Daten:
Referenz-Nummer: 7630.41.50.11
Kaliber: Eternar 3030
Bombigstes Grossdatum auf 3 Uhr
Anthrazitfarbenes Zifferblatt mit rhodinierten Stabindizes
Frequenz: 28’800
Anzahl Steine: 27
Gangreserve: 48 Stunden
Gehäuse: Edelstahl poliert
Glas: entspiegeltes Saphirglas
Boden: vierfach geschraubter Boden mit Saphirglasöffnung;
Wasserdicht bis 50 m Abmessungen:
Durchmesser: 42.0 mm
Höhe: 9.3 mm
Abstand zwischen Hörnern: 22 mm
Lug-to-Lug: 50 mm
Band: Edelstahlband mit Schmetterlingsschliesse, poliert
Zuletzt bearbeitet: