U
Uhrensammer R
Gast
Ihr erinnert Euch??
Berlin und ich haben eine seltsame Beziehung:
https://uhrforum.de/die-geschichte-zu-meinem-ruhla-chrongafen-t249160
Hier geht diese Geschichte weiter.

Sie ist nicht mehr die Jüngste und hat vom Leben auch schon ein paar Schrammen abbekommen.
Das mag uns verbinden und vielleicht mag ich sie ja auch deswegen so.
„Die“ ist ja eigentlich ein „Er“, ein Chronograph aus dem Haus Poljot.
In ihm tickt ein Uhrwerk, das ursprünglich einmal in der Schweiz entwickelt und zigtausend fach in Chronographen eingebaut wurde.
Als die Firma Valjoux im Jahr 1974 die Produktion des Kalibers 7734 einstellte, verkaufte sie auch gleich die Maschinen, Werkzeuge und Rechte an den russischen Uhrenhersteller Poljot, der sich dann daran machte, daraus das Kaliber 3133 zu entwickeln.
Auch ein Laie erkennt auf einen Blick, dass sich die Kaliber, trotz einiger baulicher Unterschiede, sehr gleichen.


Fest steht, dass beide Kaliber zu den robustesten Antriebseinheiten zählen, die man in einen Chronographen einbauen kann.
Das mag seine ungebrochene Beliebtheit bei jenen Sammlern erklären, denen es eher auf die Strapazierfähigkeit ihres Chronos ankommt, als auf seinen kunstvollen Aufbau des Werkes
Die reinen Daten lassen sich etwa so zusammenfassen:
14 liniges Handaufzugswerk, 23 Steine, autokompensierende Spirale, monometallische Stahlunruh, 30-Minuten Zähler, Schwingungsfrequenz des stoßgesicherten Werkes 18.000 Halbschwingungen in der Stunde, Datumsanzeige mit Schnellschaltung durch zurückdrehen der Zeiger, 45 Stunden Gangreserve, bei laufender Stoppzeit Reduzierung um 6 Stunden.
Weitere technische Daten, soweit ich sie ermitteln kann lauten:
Gehäusedurchmesser ohne Kronen ca. 40mm, über die Hörner gemessen c 45mm.
Bandbreite 18mm.
Gehäuse wohl aus verchromtem Messing.
Die Gehäuseform war in den siebziger Jahren sehr beliebt und wurde ähnlich auch von anderen Herstellern verwendet.

So, nachdem ich Euch mit dem trockenen Stoff der Daten und Fakten angeödet habe, möchte ich zum „saftigeren“ Teil dieser Vorstellung erzählen:
Im Jahr 1990 herrschte in den beiden, bis zum 03.Oktober noch faktisch existierenden, Deutschen Staaten eine unglaubliche Goldgräberstimmung.


Die Mauer zwischen der DDR und der BRD war im Herbst 1989 gefallen und jedermann konnte nun ungehindert durch irgendwelche Staatsorgane von Ost nach West, oder von West nach Ost gelangen.
Aber nicht nur die Menschen konnten sich nun nach Belieben in beiden Staaten bewegen, auch der Handel zwischen den beiden Gesellschaften erlebet einen Boom, der wohl nur mit den Zeiten der Währungsreform nach dem 2.Weltkrieg zu vergleichen war.
Dabei war die DDR nicht nur selbst Konsument und Anbieter, sondern auch Transitland für die Länder des ehemaligen sowjetischen Blocks.



Innerhalb kürzester Zeit wanderten so Autos (teilweise echt schrottreif) aus dem Westen in Richtung Osten und dafür kamen Antiquitäten z.B., aber eben auch jede Menge Uhren auf den westdeutschen Markt.
Welche Bedeutung der sog. Polenmarkt am verwaisten Potsdamer Platz dabei spielte, erzähle ich später.
Auch bei meinem damaligen Arbeitgeber zerbrach man sich den Kopf darüber, wie man in das zu erwartende Geschäft einsteigen konnte, und ob man einst durch Enteignung in der DDR verlorene Immobilien wieder in seinen Besitz bringen könne.
Im April bekam ich Order nach Berlin zu fahren, um von den dortigen Niederlassungen aus Objekte in Ostberlin, aber auch anderen Städten der DDR zu begutachten.
Meine damalige Aufgabe im Unternehmen bestand darin Neu- und Umbauten zu planen und bis zur Eröffnung zu begleiten.
Da meine Mission auf ca. 4 Monate angelegt war, endschied ich mich mein eigenes Auto mitzunehmen, um geschäftlich, wie privat mobil zu bleiben.
Ich erwähne das auch deshalb, weil gleich die Anreise zu einer bemerkenswerten Angelegenheit wurde.
Wer vor der Grenzöffnung von Westdeutschland mit dem Auto nach Westberlin wollte, musste sich an den wenigen Grenzübergängen stets einer mehr oder weniger strengen Kontrolle an den Grenzübergängen unterziehen.
Die obligatorische Frage nach Waffen, Funkgeräten und mitgeführten Kindern kennt jeder, der früher über die Grenze wollte.
Man wusste auch, dass die Abfertigung durchaus Zeit in Anspruch nehmen konnte, vor allem, wenn Feiertage anstanden, aber auch, wenn es wieder einmal „diplomatische Gründe“ gab auf Seiten der DDR- Behörden die Arbeit künstlich zu verlangsamen.
Aus Wiesbaden kommend nutzte ich diesmal den Grenzübergang Wartha/ Herleshausen.
Natürlich erwartete ich noch immer eine Kontrolle, gleich welcher Art, bestenfalls ein freundliches „durchwinken“.
Doch der Grenzübergang war total verwaist.
Eine gespenstische Szenerie.
Da waren sie noch, die Panzersperren, die Wachtürme, die Häuschen, an denen man seinen Pass, oder Ausweis abzugeben hatte, aber alles war unbeleuchtet und niemand war auf dem ganzen Gelände zu sehen.
Sehr verunsichert fuhr ich auf den vorgegebenen Wegen durch den Kontrollpunkt, immer mit der Angst, dass ich etwas falsch mache und bald mich eine Salve aus einem MG stoppen würde.
Wer jetzt glaubt, dass ich übertreibe, der hat die Grenze nie vor und unmittelbar nach dem Mauerfall überquert.
Der war auch nie den möglichen Schikanen ausgesetzt, die sich durchaus ergeben konnten, wenn man etwas falsch gemacht hatte.
Ich selbst wurde einmal 3 Std. festgehalten, weil bei einem meiner Rücklichter das Birnchen durchgebrannt war.
Dabei wurde ich auf ein etwas abgelegenes Teil des Areales gelost und musste dort im Auto verharren, bis ich durch ein männliches „Staatsorgan der DDR“ saumäßig zusammengeschissen wurde, weil ich versucht hatte mit einem nicht fahrtüchtigen KFZ den reibungslosen Straßenverkehr der DDR zu stören.
Ein anders Mal wurde ich fast verhaftet, weil ich die Frage nach mitgeführten Zeitschriften verneinte, dann aber in meinem Kofferraum ein paar alte Zeitungen gefunden wurden, die ich dort einfach vergessen hatte.

Ne lasst mal Leute, die Erfahrungen waren nicht wirklich gut und daher war mir beim Grenzübertritt auch ganz schön mulmig zu Mute.
Nun muss ich aber sagen, dass sich nicht weiter ungewöhnliches auf meiner Fahrt nach Berlin ereignete, nur, dass auch der Übergang in Drewitz einsam und verlassen da lag und niemand zu sehen war.
Später bin ich dann da mal hingefahren, um mir die ganze Anlage anzusehen.
Oft genug hab ich hier gestanden und darauf gewartet, dass mir mein Pass zurückgegeben wurde und ich passieren durfte.
Nun war hier niemand mehr und alles war leer.
Mei erster Arbeitstag in Berlin begann in der Niederlassung am „Tauentzien“ unweit des KaDeWe, meiner alten Arbeitsstätte.
Der Weg vom Personaleingang bis in die Verkaufsräume war über und über mit Waren aller Art verstopft. Kartonagen und Kleiderständer, Trollis und Paletten verstopften die Gänge, so dass fast kein Durchkommen war.
Gleich jetzt begegnete ich einem Phänomen, das mich von nun an begleiten sollte, dem der Verdreifachung der Umsätze.
Die geöffneten Grenzen brachten den Westberliner Geschäften einen unfassbaren Umsatzzuwachs.
All die Konsumgüter, die bisher in der DDR, aber auch in Polen nicht, oder nur sehr schwer zu kaufen waren, wurden nun von den Menschen erworben.
Man kann sich nicht vorstellen, wie das ablief.
Tag für Tag kamen die Busse aus Polen in Berlin an. Es waren sicher hunderte. Die parkten auf der Straße des 17. Juni alle in Richtung Brandenburger Tor.
Tausende von Menschen strömten nun zu Fuß in die Stadt, um dort alles zu kaufen, was sie begehrenswert fanden.
Vergleichbar mit Wanderameisen strömten sie in Richtung Ku- Damm und Tauentzien, nahmen aber auch gern jedem Supermarkt in der Umgebung mit.
Spannend war, dass sie dort oft nur die Einkaufswagen holten, um dann mit diesen Dingern durch die Kaufhäuser zu ziehen.
Darin wurde dann alles verstaut, was man eingekauft hat, um es am Abend in Richtung Bus am 17. Juni zu transportieren.
Auf den Bürgersteigen des breiten Boulevard standen dann abends hunderte von verwaisten Einkaufswagen herum, die von pfiffigen „Jungunternehmern“ mit Kleinlastwagen eingesammelt wurden, um sie den Geschäftsleitern der Supermärkte anzudienen.
Da war tatsächlich ein spannendes Geschäft, denn die Rückführung der Einkaufskörbchen ließen sich die Jungs gut bezahlen.
Da sie obendrein korrupt waren, bekam der Marktleiter die meisten Teile, der bereit war, den höchsten Preis zu zahlen.
Was aber war drin in den Einkaufswagen??
Interessant war, dass vor allem Heimorgeln und Keyboards beliebte Einkaufsobjekte zu sein schienen.
Wollte man in Polen die Öffnung der Grenzen etwa mit tagelangen Dauerpartys feiern und braucht nun dafür moderne Klangerzeuger, die alle Import Balalaika‘s des großen sozialistischen Bruderlandes im Osten ersetzen sollten??
Ich weiß es nicht.
Ich weiß auch nicht, warum Menschen geschätzt 50/ 60 Taschenrechner kauften, die bei uns längst zum 10.- DM Produkt verkommen waren.
Nun, im Handel folgt die Ware immer dem Geld, denke ich.
Daraus resultierten wohl auch die schnellen „Umstellung“ der Währung.

Lange vor dem offiziellen Termin der Währungsangleichung Ost/ West (01.06.1990) war die DM das beherrschende Zahlungsmittel im Osten.
In der DDR hatte wohl niemand damit gerechnet, dass die „Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ so schnell kommt, sonst hätten viele ihr Geld wohl besser zusammen gehalten.
So aber wurde auf dem „Schwarzmarkt“ rund um den Bahnhof Zoo munter Ost- gegen West- Mark getauscht. Und zwar im besten Fall 1 zu 20.
Das bedeutete für einen „Westler“, dass er für einen Hunderter „West“, bis zu 2.000,- Mark „Ost“ bekam.
Mit 2.000,- Ostmark in der Tasche konnte man „drüben“ nächtelang eine ganze Kneipe freihalten, weil ein kleines Bier dort noch nach den ehemals staatlich festgelegten Preisen gehandelt wurde.
Ich meine, es war für unter 0,50 Mark zu bekommen, was bei 2.000 Mark etwa 4.000 Bier bedeutete.
Ehrlich, an den Samstagen war es manchmal schwer, die durch Restalkohol benommenen Mitarbeitern des Modehauses im Westen zur Arbeit zu bewegen.
Aber nicht nur in den Kneipen des Ostens steppte der Bär.
Gerade in den Nobelhotels entlang „Unter den Linden“ war der Teufel los.
Hier residierten die "Westhaie" der vereinigten Pfefferminzia/ Banania- Versicherungen, die täglich auf ihre neuen Rekordabschlüsse mit Krimskoye anstießen und die feinsten Leckereien „vernaschten“.
Ja, auch das war ein Thema. Westgeld wirkte durchaus auch als Aphrodisiakum im Osten.
Da konnte es einem schon passieren, dass unvermittelt mal ein Nacktbild aus der Handtasche gezogen wurde und ein verlockendes Angebot dazu geliefert wurde, wenn man mal mit einer Frau aus dem Osten tanzte.
Es war tatsächlich so, dass die „Ostgeilheit“ auf den Konsum im Westen (der ja nur in West- Mark möglich war) auf die Geilheit der „Macher aus Wessiland“ traf und dabei dann wohl beide Seiten berfriedigt wurden.
Es war ein „geben und nehmen“ wie man so schön sagt.
Aus der Sicht der Händler war die Grenzöffnung natürlich ein wahrer Segen.
Meine Firma sammelte in allen Westdeutschen Filialen die „Altwarenbestände“ zusammen und brachte sie nach Berlin.
Hier ließ sich wirklich alles verkaufen, egal wie viele Inventuren die Klamotten schon hinter sich hatten.
Andrerseits gab es da eben diesen unglaublichen „Polenmark“ auf der Brache des Potsdammer- Platzes, den niemand, der ihn nur in seiner jetzigen Bebauungsform kennt, dort vermuten würde.
Der Potsdamer Platz in West-Berlin war Ende der 80er Jahre zu einem einzigartigen Handelsplatz zwischen Polen und Deutschen.
1988 erlaubt Warschau seinen Bürgern die Reisefreiheit.
Und schon bald machen sich jedes Wochenende zehntausende Polen auf die Reise ins visumsfreie Berlin, um zu handeln.
Alkohol, Bettwäsche, Würstchen, antikes Mobiliar, auf dem Potsdamer Platz bieten sie alles an.
Bei dem damaligen polnischen Durchschnittseinkommen von 60 D Mark (30 Euro), ließ sich hier an einem Wochenende nochmal so viel verdienen.
Doch nicht nur Handelsware aus Polen floss über diesen Mark nach Berlin, auch und vor allem Uhren aus der UdSSR (so hieß das damals ja noch) überfluteten den Berliner Markt.
So weit ich es weiß, war für diese Uhren Polen nur ein Transitland.
Sie kamen aus den baltischen Sowjetrepubliken und überquerten dann drei Grenzen, die inzwischen eben nicht mehr durch bewaffnete Grenzsoldaten geschützt wurden.

Kein Mensch kann sich heute noch vorstellen, wie viele verschiedene Modelle es da gab.
Dreizeigeruhren waren für etwa 25,- DM zu bekommen, Wecker gab es für 30,- bis 35,- DM und Chronos kosteten so etwa 40,- bis 45,- Mark West.
Leider war ich damals zu zögerlich, so dass ich nur zwei Wecker, eine Dreziegeruhr und einen Chrono für mich erwarb.




Hätte ich mehr Zutrauen in die Technik der Uhren gehabt, so hätten es sicher einige mehr werden können.
Doch so bleiben mir eben diese Vier als Erinnerung an eine mehr als wilde Zeit in Berlin 1990.
Liebe Grüße
Roland
Ein "PS" möchte ich noch anfügen:
Die Zeit damals war wirklich verrückt, aber auch voller Hoffnung.
Hoffnung darauf, dass der Frieden für uns alle ein wenig näher gerückt ist und das alte "Blockdenken" samt dem "kalten Krieg" zwischen Ost und West nun ein Ende findet.
Urteilt selbst, was aus dieser Hoffnung geworden ist.
"Meinen Koffer" hab ich aus Berlin 2015 abgeholt, die Stadt ist mir inzwischen fremd geworden.
Jetzt ist sie für mich nur noch eine schöne Erinnerung an eine alte Liebe.
Berlin und ich haben eine seltsame Beziehung:
https://uhrforum.de/die-geschichte-zu-meinem-ruhla-chrongafen-t249160
Hier geht diese Geschichte weiter.

Sie ist nicht mehr die Jüngste und hat vom Leben auch schon ein paar Schrammen abbekommen.
Das mag uns verbinden und vielleicht mag ich sie ja auch deswegen so.
„Die“ ist ja eigentlich ein „Er“, ein Chronograph aus dem Haus Poljot.
In ihm tickt ein Uhrwerk, das ursprünglich einmal in der Schweiz entwickelt und zigtausend fach in Chronographen eingebaut wurde.
Als die Firma Valjoux im Jahr 1974 die Produktion des Kalibers 7734 einstellte, verkaufte sie auch gleich die Maschinen, Werkzeuge und Rechte an den russischen Uhrenhersteller Poljot, der sich dann daran machte, daraus das Kaliber 3133 zu entwickeln.
Auch ein Laie erkennt auf einen Blick, dass sich die Kaliber, trotz einiger baulicher Unterschiede, sehr gleichen.


Fest steht, dass beide Kaliber zu den robustesten Antriebseinheiten zählen, die man in einen Chronographen einbauen kann.
Das mag seine ungebrochene Beliebtheit bei jenen Sammlern erklären, denen es eher auf die Strapazierfähigkeit ihres Chronos ankommt, als auf seinen kunstvollen Aufbau des Werkes
Die reinen Daten lassen sich etwa so zusammenfassen:
14 liniges Handaufzugswerk, 23 Steine, autokompensierende Spirale, monometallische Stahlunruh, 30-Minuten Zähler, Schwingungsfrequenz des stoßgesicherten Werkes 18.000 Halbschwingungen in der Stunde, Datumsanzeige mit Schnellschaltung durch zurückdrehen der Zeiger, 45 Stunden Gangreserve, bei laufender Stoppzeit Reduzierung um 6 Stunden.
Weitere technische Daten, soweit ich sie ermitteln kann lauten:
Gehäusedurchmesser ohne Kronen ca. 40mm, über die Hörner gemessen c 45mm.
Bandbreite 18mm.
Gehäuse wohl aus verchromtem Messing.
Die Gehäuseform war in den siebziger Jahren sehr beliebt und wurde ähnlich auch von anderen Herstellern verwendet.

So, nachdem ich Euch mit dem trockenen Stoff der Daten und Fakten angeödet habe, möchte ich zum „saftigeren“ Teil dieser Vorstellung erzählen:
Im Jahr 1990 herrschte in den beiden, bis zum 03.Oktober noch faktisch existierenden, Deutschen Staaten eine unglaubliche Goldgräberstimmung.


Die Mauer zwischen der DDR und der BRD war im Herbst 1989 gefallen und jedermann konnte nun ungehindert durch irgendwelche Staatsorgane von Ost nach West, oder von West nach Ost gelangen.
Aber nicht nur die Menschen konnten sich nun nach Belieben in beiden Staaten bewegen, auch der Handel zwischen den beiden Gesellschaften erlebet einen Boom, der wohl nur mit den Zeiten der Währungsreform nach dem 2.Weltkrieg zu vergleichen war.
Dabei war die DDR nicht nur selbst Konsument und Anbieter, sondern auch Transitland für die Länder des ehemaligen sowjetischen Blocks.



Innerhalb kürzester Zeit wanderten so Autos (teilweise echt schrottreif) aus dem Westen in Richtung Osten und dafür kamen Antiquitäten z.B., aber eben auch jede Menge Uhren auf den westdeutschen Markt.
Welche Bedeutung der sog. Polenmarkt am verwaisten Potsdamer Platz dabei spielte, erzähle ich später.
Auch bei meinem damaligen Arbeitgeber zerbrach man sich den Kopf darüber, wie man in das zu erwartende Geschäft einsteigen konnte, und ob man einst durch Enteignung in der DDR verlorene Immobilien wieder in seinen Besitz bringen könne.
Im April bekam ich Order nach Berlin zu fahren, um von den dortigen Niederlassungen aus Objekte in Ostberlin, aber auch anderen Städten der DDR zu begutachten.
Meine damalige Aufgabe im Unternehmen bestand darin Neu- und Umbauten zu planen und bis zur Eröffnung zu begleiten.
Da meine Mission auf ca. 4 Monate angelegt war, endschied ich mich mein eigenes Auto mitzunehmen, um geschäftlich, wie privat mobil zu bleiben.
Ich erwähne das auch deshalb, weil gleich die Anreise zu einer bemerkenswerten Angelegenheit wurde.
Wer vor der Grenzöffnung von Westdeutschland mit dem Auto nach Westberlin wollte, musste sich an den wenigen Grenzübergängen stets einer mehr oder weniger strengen Kontrolle an den Grenzübergängen unterziehen.
Die obligatorische Frage nach Waffen, Funkgeräten und mitgeführten Kindern kennt jeder, der früher über die Grenze wollte.
Man wusste auch, dass die Abfertigung durchaus Zeit in Anspruch nehmen konnte, vor allem, wenn Feiertage anstanden, aber auch, wenn es wieder einmal „diplomatische Gründe“ gab auf Seiten der DDR- Behörden die Arbeit künstlich zu verlangsamen.
Aus Wiesbaden kommend nutzte ich diesmal den Grenzübergang Wartha/ Herleshausen.
Natürlich erwartete ich noch immer eine Kontrolle, gleich welcher Art, bestenfalls ein freundliches „durchwinken“.
Doch der Grenzübergang war total verwaist.
Eine gespenstische Szenerie.
Da waren sie noch, die Panzersperren, die Wachtürme, die Häuschen, an denen man seinen Pass, oder Ausweis abzugeben hatte, aber alles war unbeleuchtet und niemand war auf dem ganzen Gelände zu sehen.
Sehr verunsichert fuhr ich auf den vorgegebenen Wegen durch den Kontrollpunkt, immer mit der Angst, dass ich etwas falsch mache und bald mich eine Salve aus einem MG stoppen würde.
Wer jetzt glaubt, dass ich übertreibe, der hat die Grenze nie vor und unmittelbar nach dem Mauerfall überquert.
Der war auch nie den möglichen Schikanen ausgesetzt, die sich durchaus ergeben konnten, wenn man etwas falsch gemacht hatte.
Ich selbst wurde einmal 3 Std. festgehalten, weil bei einem meiner Rücklichter das Birnchen durchgebrannt war.
Dabei wurde ich auf ein etwas abgelegenes Teil des Areales gelost und musste dort im Auto verharren, bis ich durch ein männliches „Staatsorgan der DDR“ saumäßig zusammengeschissen wurde, weil ich versucht hatte mit einem nicht fahrtüchtigen KFZ den reibungslosen Straßenverkehr der DDR zu stören.
Ein anders Mal wurde ich fast verhaftet, weil ich die Frage nach mitgeführten Zeitschriften verneinte, dann aber in meinem Kofferraum ein paar alte Zeitungen gefunden wurden, die ich dort einfach vergessen hatte.

Ne lasst mal Leute, die Erfahrungen waren nicht wirklich gut und daher war mir beim Grenzübertritt auch ganz schön mulmig zu Mute.
Nun muss ich aber sagen, dass sich nicht weiter ungewöhnliches auf meiner Fahrt nach Berlin ereignete, nur, dass auch der Übergang in Drewitz einsam und verlassen da lag und niemand zu sehen war.
Später bin ich dann da mal hingefahren, um mir die ganze Anlage anzusehen.
Oft genug hab ich hier gestanden und darauf gewartet, dass mir mein Pass zurückgegeben wurde und ich passieren durfte.
Nun war hier niemand mehr und alles war leer.
Mei erster Arbeitstag in Berlin begann in der Niederlassung am „Tauentzien“ unweit des KaDeWe, meiner alten Arbeitsstätte.
Der Weg vom Personaleingang bis in die Verkaufsräume war über und über mit Waren aller Art verstopft. Kartonagen und Kleiderständer, Trollis und Paletten verstopften die Gänge, so dass fast kein Durchkommen war.
Gleich jetzt begegnete ich einem Phänomen, das mich von nun an begleiten sollte, dem der Verdreifachung der Umsätze.
Die geöffneten Grenzen brachten den Westberliner Geschäften einen unfassbaren Umsatzzuwachs.
All die Konsumgüter, die bisher in der DDR, aber auch in Polen nicht, oder nur sehr schwer zu kaufen waren, wurden nun von den Menschen erworben.
Man kann sich nicht vorstellen, wie das ablief.
Tag für Tag kamen die Busse aus Polen in Berlin an. Es waren sicher hunderte. Die parkten auf der Straße des 17. Juni alle in Richtung Brandenburger Tor.
Tausende von Menschen strömten nun zu Fuß in die Stadt, um dort alles zu kaufen, was sie begehrenswert fanden.
Vergleichbar mit Wanderameisen strömten sie in Richtung Ku- Damm und Tauentzien, nahmen aber auch gern jedem Supermarkt in der Umgebung mit.
Spannend war, dass sie dort oft nur die Einkaufswagen holten, um dann mit diesen Dingern durch die Kaufhäuser zu ziehen.
Darin wurde dann alles verstaut, was man eingekauft hat, um es am Abend in Richtung Bus am 17. Juni zu transportieren.
Auf den Bürgersteigen des breiten Boulevard standen dann abends hunderte von verwaisten Einkaufswagen herum, die von pfiffigen „Jungunternehmern“ mit Kleinlastwagen eingesammelt wurden, um sie den Geschäftsleitern der Supermärkte anzudienen.
Da war tatsächlich ein spannendes Geschäft, denn die Rückführung der Einkaufskörbchen ließen sich die Jungs gut bezahlen.
Da sie obendrein korrupt waren, bekam der Marktleiter die meisten Teile, der bereit war, den höchsten Preis zu zahlen.
Was aber war drin in den Einkaufswagen??
Interessant war, dass vor allem Heimorgeln und Keyboards beliebte Einkaufsobjekte zu sein schienen.
Wollte man in Polen die Öffnung der Grenzen etwa mit tagelangen Dauerpartys feiern und braucht nun dafür moderne Klangerzeuger, die alle Import Balalaika‘s des großen sozialistischen Bruderlandes im Osten ersetzen sollten??
Ich weiß es nicht.
Ich weiß auch nicht, warum Menschen geschätzt 50/ 60 Taschenrechner kauften, die bei uns längst zum 10.- DM Produkt verkommen waren.
Nun, im Handel folgt die Ware immer dem Geld, denke ich.
Daraus resultierten wohl auch die schnellen „Umstellung“ der Währung.

Lange vor dem offiziellen Termin der Währungsangleichung Ost/ West (01.06.1990) war die DM das beherrschende Zahlungsmittel im Osten.
In der DDR hatte wohl niemand damit gerechnet, dass die „Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ so schnell kommt, sonst hätten viele ihr Geld wohl besser zusammen gehalten.
So aber wurde auf dem „Schwarzmarkt“ rund um den Bahnhof Zoo munter Ost- gegen West- Mark getauscht. Und zwar im besten Fall 1 zu 20.
Das bedeutete für einen „Westler“, dass er für einen Hunderter „West“, bis zu 2.000,- Mark „Ost“ bekam.
Mit 2.000,- Ostmark in der Tasche konnte man „drüben“ nächtelang eine ganze Kneipe freihalten, weil ein kleines Bier dort noch nach den ehemals staatlich festgelegten Preisen gehandelt wurde.
Ich meine, es war für unter 0,50 Mark zu bekommen, was bei 2.000 Mark etwa 4.000 Bier bedeutete.
Ehrlich, an den Samstagen war es manchmal schwer, die durch Restalkohol benommenen Mitarbeitern des Modehauses im Westen zur Arbeit zu bewegen.
Aber nicht nur in den Kneipen des Ostens steppte der Bär.
Gerade in den Nobelhotels entlang „Unter den Linden“ war der Teufel los.
Hier residierten die "Westhaie" der vereinigten Pfefferminzia/ Banania- Versicherungen, die täglich auf ihre neuen Rekordabschlüsse mit Krimskoye anstießen und die feinsten Leckereien „vernaschten“.
Ja, auch das war ein Thema. Westgeld wirkte durchaus auch als Aphrodisiakum im Osten.
Da konnte es einem schon passieren, dass unvermittelt mal ein Nacktbild aus der Handtasche gezogen wurde und ein verlockendes Angebot dazu geliefert wurde, wenn man mal mit einer Frau aus dem Osten tanzte.
Es war tatsächlich so, dass die „Ostgeilheit“ auf den Konsum im Westen (der ja nur in West- Mark möglich war) auf die Geilheit der „Macher aus Wessiland“ traf und dabei dann wohl beide Seiten berfriedigt wurden.
Es war ein „geben und nehmen“ wie man so schön sagt.
Aus der Sicht der Händler war die Grenzöffnung natürlich ein wahrer Segen.
Meine Firma sammelte in allen Westdeutschen Filialen die „Altwarenbestände“ zusammen und brachte sie nach Berlin.
Hier ließ sich wirklich alles verkaufen, egal wie viele Inventuren die Klamotten schon hinter sich hatten.
Andrerseits gab es da eben diesen unglaublichen „Polenmark“ auf der Brache des Potsdammer- Platzes, den niemand, der ihn nur in seiner jetzigen Bebauungsform kennt, dort vermuten würde.
Der Potsdamer Platz in West-Berlin war Ende der 80er Jahre zu einem einzigartigen Handelsplatz zwischen Polen und Deutschen.
1988 erlaubt Warschau seinen Bürgern die Reisefreiheit.
Und schon bald machen sich jedes Wochenende zehntausende Polen auf die Reise ins visumsfreie Berlin, um zu handeln.
Alkohol, Bettwäsche, Würstchen, antikes Mobiliar, auf dem Potsdamer Platz bieten sie alles an.
Bei dem damaligen polnischen Durchschnittseinkommen von 60 D Mark (30 Euro), ließ sich hier an einem Wochenende nochmal so viel verdienen.
Doch nicht nur Handelsware aus Polen floss über diesen Mark nach Berlin, auch und vor allem Uhren aus der UdSSR (so hieß das damals ja noch) überfluteten den Berliner Markt.
So weit ich es weiß, war für diese Uhren Polen nur ein Transitland.
Sie kamen aus den baltischen Sowjetrepubliken und überquerten dann drei Grenzen, die inzwischen eben nicht mehr durch bewaffnete Grenzsoldaten geschützt wurden.

Kein Mensch kann sich heute noch vorstellen, wie viele verschiedene Modelle es da gab.
Dreizeigeruhren waren für etwa 25,- DM zu bekommen, Wecker gab es für 30,- bis 35,- DM und Chronos kosteten so etwa 40,- bis 45,- Mark West.
Leider war ich damals zu zögerlich, so dass ich nur zwei Wecker, eine Dreziegeruhr und einen Chrono für mich erwarb.




Hätte ich mehr Zutrauen in die Technik der Uhren gehabt, so hätten es sicher einige mehr werden können.
Doch so bleiben mir eben diese Vier als Erinnerung an eine mehr als wilde Zeit in Berlin 1990.
Liebe Grüße
Roland
Ein "PS" möchte ich noch anfügen:
Die Zeit damals war wirklich verrückt, aber auch voller Hoffnung.
Hoffnung darauf, dass der Frieden für uns alle ein wenig näher gerückt ist und das alte "Blockdenken" samt dem "kalten Krieg" zwischen Ost und West nun ein Ende findet.
Urteilt selbst, was aus dieser Hoffnung geworden ist.
"Meinen Koffer" hab ich aus Berlin 2015 abgeholt, die Stadt ist mir inzwischen fremd geworden.
Jetzt ist sie für mich nur noch eine schöne Erinnerung an eine alte Liebe.
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