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Gast
Vor einigen Jahren habe ich von psyche-delic eine Uhr gekauft, die ich seither viel zu selten am Arm hatte:
Vielleicht liegt es daran, dass mir diese Uhr einfach Rätsel aufgibt, wird sie doch noch nicht einmal in der halb-offiziellen Firmengeschichte von Roamer in der Liste der Modelle geführt.
Das ist unverdient, denn sie ist eine Tochter, auf die die Marke durchaus stolz sein kann: nicht nur ist sie schlank und elegant ...
... sondern auch durchaus wertig verarbeitet - ihr Zifferblatt ist vergoldet und strukturiert, abgesehen von einem schmalen Streifen auf der Höhe des Datumsfensters, der auf Hochglanz poliert ist und, je nach Lichteinfall, mal heller ...
... und mal dunkler wirkt als der Rest des Blattes:
Das Roamer-Logo ist aufwendiger appliziert als in allen anderen Uhren der Marke in meinem Besitz, wo es nur aufgedruckt ist. In der 'Red Sea' ist es hingegen montiert wie bei der Mustang, Rockshell, Searock und anderen Topmodellen der Marke, und mit schwarzer Emaille ausgelegt:
Am Arm schließlich ist sie für ihre Größe (32 x 32 mm) recht präsent:
Immerhin habe ich die Zeit für etwas Recherche genutzt und dabei nicht nur viel über die Historie der Firma Roamer gelernt,
... sondern auch manches über meine Uhr. Die Jahre zwischen 1950 und 1970 gelten als 'goldene Jahre' für Roamer, und die 'Red Sea' erschien 1966 zum ersten Mal in Anzeigen und Katalogen:
Über die Ursprünge des Designs fand ich leider nichts heraus: welche Zielgruppe hatte man im Auge? Warum verbaute man ETA-Werke in diesen Uhren? War die Linie erfolgreich? Wo stand sie in der Hierarchie der Roamer-Uhren? Und warum wird sie heute so schamhaft verschwiegen?
Immerhin war sie wasserdicht, wie sich das für eine Roamer-Uhr gehörte:
Im Verkauf wird sie schon kein völliger Reinfall gewesen sein, denn sie hielt sich bis zur Mitte der Siebzigerjahre im Programm, und es gab eine ganze Reihe von Varianten:
Weiter lernte ich, dass Roamer zwar ETA-Werke zugekauft hat, sie aber immer mit einer Meyer & Stüdeli-Bezeichnung versehen und signiert hat. Außerdem ergibt sich bei Roamer-Uhren jener Tage das verbaute Kaliber praktischerweise aus der Referenz - in meinem Fall ist es also ein MST 479, ein finissiertes ETA 2622. (Ich habe mehrere Edelstahl-Versionen gefunden, in denen laut Referenznummer ein MST 474/ETA 2522 verbaut ist.)
Last, not least, wurden die Käufer vergoldeter Red Seas "meiner" Referenz - und zwar nur diese - entweder für besonders dumm oder für besonders abenteuerlustig gehalten, möglicherweise auch beides: nur hier findet sich nämlich der Hinweis, die Uhr sei "WATERPROOF PROVIDED CRYSTAL CASE AND CROWN REMAIN INTACT". (Für alle anderen Referenzen reicht Roamer ein simples "WATERPROOF".)
Womit auch die Frage beantwortet ist, warum ich kein eigenes Werkbild zeige
sondern mir eines von sometimeago geborgt habe:
Aus der gleichen Quelle stammt auch dieses Bild, auf dem die Hauptbaugruppen der Uhr zu sehen sind:
Die Abdichtung der Uhr vollzieht sich praktisch genauso wie bei der Omega Seamaster Compressor: Bolzen greifen in entsprechende Vertiefungen am Oberteil ein und pressen Glas, Dichtung und Boden fest aufeinander. Das entsprechende Patent 14031/63 ist dann auch stolz im inneren des Bodens aufgeführt:
Außen- und Innenansicht des Bodens einer Roamer Red Sea. Das Kaliber 479 wurde also wohl mindestens ab Juni 1967 verbaut.
Quelle: Ebay-Händler Linckersdorff, Berlin
(Kleiner Hinweis: der Autor des Artikels auf sometimeago liegt falsch mit dem Werk: es ist kein MST 478/ETA 2638R, denn dieses ist die Day-Date-Ausführung der Werkefamilie 26xx. Und auch auf seiner Red Sea steht als Referenz '479 ...', also ist auch in seiner ein ETA 2622 verbaut.) Im Unterschied zu seiner ist an meiner die Krone übrigens signiert:
Tja - was ist also der Grund, warum man sich nicht stolz zu der schönen Tochter bekennt? Liegt es daran, dass sie eben doch 'nur' ein Kuckuckskind ist, eines mit fremdem Werk? MST brauchte noch bis 1973, um ein ähnliches flaches Kaliber mit Datumsanzeige herauszubringen, vielleicht möchte man daran heute nicht mehr erinnert werden.
Einerlei - nun bekommt sie hier ein kleines Denkmal gesetzt. Vielleicht ringt sich Roamer ja in Zukunft dazu durch, sie als legitimen Spross anzuerkennen.
Ach ja - eines noch: die Bezeichnung "Red Sea" ließ sich Roamer noch 1966 schützen, ab dem Jahr also, in dem die Uhr erstmals im Katalog erschien.Die Eintragung erlosch erst 1989, als Roamer sie auslaufen ließ: man baute schon lange keine eigenen Werke mehr, und auch keine mechanischen Uhren.
Die gute Nachricht ist, dass 1993 ein Teil des Aktienkapitals von Roamer von der Chung Nam Watch Group (Hong Kong) gekauft wurde, wenig später das ganze Unternehmen. Die Chinesen ließen Roamer als unabhängige Schweizer Uhrenfabrik weiterlaufen und im Jahre 2003 brachte die Firma sogar wieder ein eigenes mechanisches Uhrwerk heraus. Seit 2009 ist Roamer ein 50/50-Joint Venture von Chung Nam mit der Swiss Watch Group.
Wie immer freue ich mich über Eure Kommentare!
Viele Grüße
Andreas
Danksagung: mein Dank gilt der Roamer Watch Company und Kris Bubendörfer, für ihre umfassende Darstellung der Geschichte der Firmen Fritz Meyer, Meyer&Stüdeli, MST und Roamer, ferner David Butcher (besser bekannt als 'Mirius') für seine Darstellung der frühen Geschichte der Firmen Meyer, Meyer & Stüdeli und MST, sowie den Firmen Linkersdorff und TheSalesroom für Ansichten verschiedener Uhren. Last, not least, sei 'uhrerbe.com' gedankt und, am deutlichsten von allen, Iggy Tee von 'sometimeago' für seine detaillierte, kenntnis- und bilderreiche Präsentation einer Roamer Red Sea.

Vielleicht liegt es daran, dass mir diese Uhr einfach Rätsel aufgibt, wird sie doch noch nicht einmal in der halb-offiziellen Firmengeschichte von Roamer in der Liste der Modelle geführt.
Das ist unverdient, denn sie ist eine Tochter, auf die die Marke durchaus stolz sein kann: nicht nur ist sie schlank und elegant ...



... sondern auch durchaus wertig verarbeitet - ihr Zifferblatt ist vergoldet und strukturiert, abgesehen von einem schmalen Streifen auf der Höhe des Datumsfensters, der auf Hochglanz poliert ist und, je nach Lichteinfall, mal heller ...

... und mal dunkler wirkt als der Rest des Blattes:

Das Roamer-Logo ist aufwendiger appliziert als in allen anderen Uhren der Marke in meinem Besitz, wo es nur aufgedruckt ist. In der 'Red Sea' ist es hingegen montiert wie bei der Mustang, Rockshell, Searock und anderen Topmodellen der Marke, und mit schwarzer Emaille ausgelegt:

Am Arm schließlich ist sie für ihre Größe (32 x 32 mm) recht präsent:

Immerhin habe ich die Zeit für etwas Recherche genutzt und dabei nicht nur viel über die Historie der Firma Roamer gelernt,
Gegründet 1888 als 'Établissement' von Fritz Meyer, fertigte die Firma zunächst aus zugelieferten Bauteilen Werke für andere Hersteller. Damit passte die Firma genau in die damalige Struktur der Schweizer Uhrenfertigung, in der ein Netzwerk aus Klein- und Kleinstfirmen Einzelteile fertigte, assemblierte und schließlich zu ganzen Uhren zusammenfügte.
Auch Meyer begann 1895 damit, ganze Uhren zu produzieren, wenn auch vermutlich für andere Unternehmen, denn eigene Marken sind aus dieser Zeit nicht bekannt. 1897 beschäftigte er 60 Mitarbeiter und brachte sein erstes eigenes Kaliber heraus - '38' nannte er es, aus Anlass seines 38. Geburtstages. Einzelne Teile davon bezog er zwar noch von Zulieferern, aber die Basisplatine und viele andere Komponenten stammten schon aus eigener Fertigung. So bescheiden das Werk auch war - es war vermutlich ein simples Zylinderwerk, denn Meyer konzentrierte sich (wie viele andere Hersteller) auf den lukrativen Markt für Billig-Uhren - so markierte es doch den Beginn einer integrierten Uhrenfertigung, ein langgehegter Traum Fritz Meyers.
1905 tat sich Meyer mit dem Uhrmacher Johann Stüdeli zusammen, und fortan hieß die Firma 'Meyer & Stüdeli'. Schon ein Jahr später beschäftigte die Firma 120 Mitarbeiter und bezog ein neues, lichtes Werksgebäude in Solothurn:
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Postkarte von 1907, die auch das alte Werk in Welschenrohr zeigt, etwa sechs Kilometer vom neuen Stammwerk entfernt.
Quelle: Mirius
Im Jahre 1908 wurde die Marke 'Roamer' in der Schweiz registriert, aber nicht von Meyer & Stüdeli, sondern von L. Tièche Gammeter (LTG), einem weiteren Uhrenhersteller in Solothurn, den Meyer & Stüdeli im Jahre 1917 übernahmen. Für diese Übernahme und für den Neubau eines größeren Fabrikgebäudes in der Weissensteinstraße 81 in Solothurn ...
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MST-Fabrikgebäude, Weissensteinstr. 81, CH-4500 Solothurn
Quellen: roamer-watches.info; Google Maps
... wandelten Meyer und Stüdeli ihre Partnerschaft in eine AG um, seit damals ist es also die 'Meyer & Stüdeli SA, Soleure, Suisse'. Seit 1909 waren Meyer & Stüdeli auch international tätig - im Vereinigten Königreich bspw. vertrieben sie ihre Uhren unter der Marke 'Medana'.
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte die Firma weiterhin auf das internationale Geschäft - die Marken Medana und Roamer wurden 1921 auch in den USA registriert und 1927 ließ man 'MST'als Markenzeichen weltweit schützen - und eine weitere Integration der Uhrenherstellung: 1923 begann die Firma, ihre eigenen Gehäuse herzustellen, 1932 nahm man auch die Zifferblattfertigung auf. Zu dieser Zeit arbeiteten in insgesamt sechs Werken 1.200 Mitarbeiter für MST.![]()
Gleichzeitig arbeitete man an Verbesserungen für Uhren - so meldete man 1933 ein Patent für ein Automatikwerk mit oszillierendem Gewicht an, 1936 die geteilte Aufzugswelle und 1941 ein wasserdichtes Gehäuse.
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1948 verbesserten weitere Patente die Rotor-Automatik-Kaliber, und im folgenden Jahr erschien das Kaliber MST 410 mit verbesserter Entkopplung von automatischem und Handaufzug und leistungsfähigerem beidseitigem Aufzug. 1951 schließlich benannte sich die Firma erneut um, und natürlich wählte man den prestigeträchtigsten Markennamen - Roamer.(Lediglich die Werkefertigung behielt die Signatur 'MST' weiterhin bei.)![]()
In den Folgejahren meldeten Roamer-Ingenieure wie Bernard Humbert, Walter Uebelhardt, André Jeanrichard und Max Meyer rund vierzig wegweisende Patente an, darunter auch die weidlich bekannten Brévets CH 305467, 305776, 307382, 308491, die das wasserdichte Container-Gehäuse beschreiben, welches die 'Anfibio' auszeichnet. Die kam 1955 auf den Markt und blieb über zwanzig Jahre lang eine der wichtigsten Uhrenlinien von Roamer.
... sondern auch manches über meine Uhr. Die Jahre zwischen 1950 und 1970 gelten als 'goldene Jahre' für Roamer, und die 'Red Sea' erschien 1966 zum ersten Mal in Anzeigen und Katalogen:

Über die Ursprünge des Designs fand ich leider nichts heraus: welche Zielgruppe hatte man im Auge? Warum verbaute man ETA-Werke in diesen Uhren? War die Linie erfolgreich? Wo stand sie in der Hierarchie der Roamer-Uhren? Und warum wird sie heute so schamhaft verschwiegen?

Immerhin war sie wasserdicht, wie sich das für eine Roamer-Uhr gehörte:

Im Verkauf wird sie schon kein völliger Reinfall gewesen sein, denn sie hielt sich bis zur Mitte der Siebzigerjahre im Programm, und es gab eine ganze Reihe von Varianten:

Weiter lernte ich, dass Roamer zwar ETA-Werke zugekauft hat, sie aber immer mit einer Meyer & Stüdeli-Bezeichnung versehen und signiert hat. Außerdem ergibt sich bei Roamer-Uhren jener Tage das verbaute Kaliber praktischerweise aus der Referenz - in meinem Fall ist es also ein MST 479, ein finissiertes ETA 2622. (Ich habe mehrere Edelstahl-Versionen gefunden, in denen laut Referenznummer ein MST 474/ETA 2522 verbaut ist.)
Last, not least, wurden die Käufer vergoldeter Red Seas "meiner" Referenz - und zwar nur diese - entweder für besonders dumm oder für besonders abenteuerlustig gehalten, möglicherweise auch beides: nur hier findet sich nämlich der Hinweis, die Uhr sei "WATERPROOF PROVIDED CRYSTAL CASE AND CROWN REMAIN INTACT". (Für alle anderen Referenzen reicht Roamer ein simples "WATERPROOF".)

Womit auch die Frage beantwortet ist, warum ich kein eigenes Werkbild zeige


Aus der gleichen Quelle stammt auch dieses Bild, auf dem die Hauptbaugruppen der Uhr zu sehen sind:

Die Abdichtung der Uhr vollzieht sich praktisch genauso wie bei der Omega Seamaster Compressor: Bolzen greifen in entsprechende Vertiefungen am Oberteil ein und pressen Glas, Dichtung und Boden fest aufeinander. Das entsprechende Patent 14031/63 ist dann auch stolz im inneren des Bodens aufgeführt:

Außen- und Innenansicht des Bodens einer Roamer Red Sea. Das Kaliber 479 wurde also wohl mindestens ab Juni 1967 verbaut.
Quelle: Ebay-Händler Linckersdorff, Berlin
(Kleiner Hinweis: der Autor des Artikels auf sometimeago liegt falsch mit dem Werk: es ist kein MST 478/ETA 2638R, denn dieses ist die Day-Date-Ausführung der Werkefamilie 26xx. Und auch auf seiner Red Sea steht als Referenz '479 ...', also ist auch in seiner ein ETA 2622 verbaut.) Im Unterschied zu seiner ist an meiner die Krone übrigens signiert:

Tja - was ist also der Grund, warum man sich nicht stolz zu der schönen Tochter bekennt? Liegt es daran, dass sie eben doch 'nur' ein Kuckuckskind ist, eines mit fremdem Werk? MST brauchte noch bis 1973, um ein ähnliches flaches Kaliber mit Datumsanzeige herauszubringen, vielleicht möchte man daran heute nicht mehr erinnert werden.
Einerlei - nun bekommt sie hier ein kleines Denkmal gesetzt. Vielleicht ringt sich Roamer ja in Zukunft dazu durch, sie als legitimen Spross anzuerkennen.



Ach ja - eines noch: die Bezeichnung "Red Sea" ließ sich Roamer noch 1966 schützen, ab dem Jahr also, in dem die Uhr erstmals im Katalog erschien.Die Eintragung erlosch erst 1989, als Roamer sie auslaufen ließ: man baute schon lange keine eigenen Werke mehr, und auch keine mechanischen Uhren.



Die gute Nachricht ist, dass 1993 ein Teil des Aktienkapitals von Roamer von der Chung Nam Watch Group (Hong Kong) gekauft wurde, wenig später das ganze Unternehmen. Die Chinesen ließen Roamer als unabhängige Schweizer Uhrenfabrik weiterlaufen und im Jahre 2003 brachte die Firma sogar wieder ein eigenes mechanisches Uhrwerk heraus. Seit 2009 ist Roamer ein 50/50-Joint Venture von Chung Nam mit der Swiss Watch Group.

Wie immer freue ich mich über Eure Kommentare!
Viele Grüße
Andreas
Danksagung: mein Dank gilt der Roamer Watch Company und Kris Bubendörfer, für ihre umfassende Darstellung der Geschichte der Firmen Fritz Meyer, Meyer&Stüdeli, MST und Roamer, ferner David Butcher (besser bekannt als 'Mirius') für seine Darstellung der frühen Geschichte der Firmen Meyer, Meyer & Stüdeli und MST, sowie den Firmen Linkersdorff und TheSalesroom für Ansichten verschiedener Uhren. Last, not least, sei 'uhrerbe.com' gedankt und, am deutlichsten von allen, Iggy Tee von 'sometimeago' für seine detaillierte, kenntnis- und bilderreiche Präsentation einer Roamer Red Sea.
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