Die Cronik einer Uhr
Hervorragende Lesbarkeit in der Dunkelheit – Bewährt im 1. Golfkrieg
Seit 1989 schreibt die amerikanische Armee in den für ihre Truppen bestimmten Militärarmbanduhren die Verwendung von Tritium-Gaslichtquellen vor, um die Ablesbarkeit der Uhrzeit im Dunkeln zu gewährleisten. Zu den wohl bekanntesten und beliebtesten Modellen zählen die SandY 490 Type 1 und die SandY P 650 Navigator. Ihr unübertroffenes Beleuchtungssystem basiert auf der Permanent Light Technology. Die Lichtquellen dieser Uhren stammen aus Schweizer Produktion: MB microtec ist weltweit der einzige Anbieter, der diese Leuchtkörperchen in Minitaturformat herstellt. Doch bis die ersten Uhren ausgeliefert werden konnten, waren einige Hindernisse zu überwinden.
Der Dienst habende Sicherheitsoffizier im New Cumberland Army Depot, Pennsylvania, traute seinen Augen kaum, als ihm am 12. April 1988 die aktuellen Messwerte vorgelegt wurden. Der Geigerzähler hatte in einer der Lagerhallen deutlich erhöhte Radioaktivität registriert. Die Ursache für die Kontamination war rasch gefunden: Die in der Halle eingelagerten Militärarmbanduhren SandY 184 gaben eine ungewöhnlich hohe Dosis von Radioaktivität ab. Die Zeiger und Zifferblattmarkierungen dieser Militäruhren waren mit herkömmlicher Tritium-Leuchtfarbe beschichtet. Bei einzelnen Exemplaren wurden anstelle der in der Vergangenheit registrierten, tolerierbaren 50 dpm rund hundertmal höhere Werte gemessen. Der in New Cumberland gelagerte Grossbestand an Uhren stellten somit ein Sicherheits- und Gesundheitsrisiko dar. Der Sicherheitsoffizier verständigte unverzüglich das zuständige Militärdepartement im Verteidigungsministerium (Department of Defense).
Die rettende Idee
Thomas Chleboski, Chef der Armeeabteilung Standardization und Specifications, handelte sofort und strich den Lieferanten Stocker&Yale von der Qualified Product List QPL-46374, der massgeblichen Liste der qualifizierten Armbanduhrenlieferanten der U.S. Army.
Diese Nachricht war ein ziemlicher Schock für Jim Bickman, Präsident und CEO von Stocker&Yale in Beverly, Massachusetts, kam sein Unternehmen doch in den vergangenen vier Jahren bei einigen lukrative Armeeaufträgen für Militärarmbanduhren des Typs SandY 184 zum Zug. Aber Bickman hatte eine Idee, wie das Thema Radioaktivität bei Uhren endgültig in den Griff zu bekommen wäre. Sein Unternehmen belieferte nämlich die Armee seit einigen Jahren auch mit Kompassen, bei denen für die Skalabeleuchtung mit Tritium-Gas gefüllte Glasröhrchen verwendet wurden. Die von der Schweizer Firma MB microtec in Niederwangen mit Hilfe eines speziellen Lasers produzierten Tritium-Gaslichtquellen setzten nachweislich keinerlei radioaktives Material frei. Liesse sich diese wegweisende Beleuchtungstechnologie nicht auch für Uhren nutzbar machen? Dazu wäre allerdings vorgängig eine Änderung der für die Herstellung von Militärarmbanduhren gültigen Spezifikation Mil-W-4637 erforderlich. «Also beschloss ich, die zuständigen Stellen der U.S. Army davon zu überzeugen, neue Spezifikationen für die Produktion von Militäruhren zu erlassen. Einen entsprechenden Entwurf dieser modifizierten Produktspezifikationen verfasste ich gleich selber», erinnert sich Jim Bickman. Das war die Geburtsstunde einer völlig neuen Generation von Militärarmbanduhren.
Intensive Zusammenarbeit zwischen Amerika und der Schweiz
MB microtec, weltweit einziger Hersteller dieser kleinstformatigen Tritium-Leuchtkörper, signalisierte ebenfalls grosses Interesse an der Lancierung einer solchen Uhr. Rasch waren sich die beiden langjährigen Geschäftspartner einig: mit vereinten Kräften sollten einige Prototypen mit dem neuen Beleuchtungssystem hergestellt werden. Die Produktion dieser Musteruhren erfolgte in der Schweiz, wo seit 1984 sämtliche SandY-Uhren durch den Generalunternehmer Montres Constructa S.A., Bettlach, fabriziert wurden. Zum eingespielten Team gehörte auch das Werk Terna S.A. Fabrica Orologi in Mendrisio, das die einzelnen Komponenten wie Plastikgehäuse, Uhrwerk, Zifferblatt, Zeiger usw. zusammenbaute.
Verwendung von Tritium-Gaslichtquellen
Am 31. Mai 1989 wurde in den USA die neue Spezifikation Mil-W-46374E offiziell in Kraft gesetzt. Sie brachte nicht nur den Wechsel von Tritium-Leuchtfarbe zu Lichtquellen mit gasförmigem Tritium (so genannten Tritium vials). In Zusammenhang mit der Verwendung des neuen Leuchtsystems wurden auch das Zifferblatt und die Zeiger der Militärarmbanduhr rundum neu gestaltet. Neu auf dem Zifferblatt war auch das Symbol für Radioaktivität sowie der Hinweis H3. Hinsichtlich des in den Glasröhrchen eingeschlossenem Tritiumgases waren sehr strenge Anforderungen zu erfüllen: die einsetzten Leuchtkörperchen durften zusammen nicht mehr als 25 Millicuries H3 enthalten. Das ist deutlich weniger, als eine Person im Laufe eines Tages aus der natürlichen Umwelt aufnimmt. Auf der Uhroberfläche durfte ohnehin keinerlei Radioaktivität gemessen werden.
Das Leuchtsystem besteht aus abgeschmolzenen, tritiumgefüllten Glasröhrchen, deren Innenwand mit einem Leuchtstoff belegt ist. Die vom Tritiumgas emittierten Elektronen regen den Leuchtstoff an. Heute wird dieses an Leuchtkraft unübertroffene Beleuchtungssystem auch als Permanent Light Technology (PLT) oder als TRASER bezeichnet.
Entwicklung von Prototypen für Qualifikationstests
Künftig sollten somit gemäss neuer Vorschrift die Militäruhren mit Tritiumgas-Leuchtkörperchen ausgestattet sein. Doch bis es soweit war, sollten noch einige Monate vergehen. Damit nämlich ein Lieferant überhaupt an einer Ausschreibung für die Armee teilnehmen kann, muss er zuerst Qualifikationsmuster fertiger Uhren vorlegen, die anschliessend vom Department of Defense zahlreichen harten Tests unterzogen werden. Erst nachdem diese Tests bestanden sind, schafft das Produkt den Eintrag auf der Qualified Product List. Bei der Entwicklung solcher Qualifikationsmuster handelt es sich somit um eine Vorschussarbeit, ohne jede Gewähr für einen allfälligen späteren Auftrag. Stocker&Yale und die Schweizer Partner waren jedoch zuversichtlich, diese Qualifikation zu erlangen.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1989 wurde deshalb in der Schweiz fieberhaft an der Entwicklung der erforderlichen Qualifikationsmuster der Uhrenmodelle SandY 490 Type 1, Type 2 und SandY 590 Type 3 gearbeitet, welche sowohl den strengen Anforderungen der U.S. Nuclear Regulatory Comission (NRC) wie auch den neuen militärischen Spezifikationen genügen sollten. Diese Prototypen wurden schliesslich 1990 erfolgreich getestet und 1991 vom Department of Defense als militärischer Ausrüstungsgegenstand akzeptiert
Beim Typ 1 handelte es sich um ein Modell mit Plastikgehäuse und mechanischem Uhrwerk (mit mind. 15 Lagersteinen), das eine Genauigkeit von +/-30 Sek. pro Tag aufweist. Die Laufgenauigkeit des Typs 2 – ebenfalls mit mechanischem Uhrwerk – ist auf +/-60 Sek. pro Tag festgelegt. Typ 3 schliesslich ist eine Batterie betriebene Quartz-Uhr mit einer Laufgenauigkeit von +/-0.7 Sekunden.
Marathon in den Startlöchern
Doch die Konkurrenz schlief nicht. Auch die Marathon Watch Company Ltd. in Kanada wollte sich im Rahmen der neuen Spezifikation Mil-W-46374E mit einem entsprechenden Uhrenmodell als Beschaffungsquelle qualifizieren. Wie Stocker&Yale war Marathon bereits seit Jahren Uhrenlieferant der U.S. Army. Die Kanadier liessen ihre Militäruhren ebenfalls in der Schweiz fertigen: zu Beginn bei Gallet S.A., später in einer eigenen Firma in La Chaux-de-Fonds. Im Herbst 1989 bestellt Gallet bei MB microtec Tritium-Leuchtkörper für Marathon-Uhren und erkundigt sich, welcher Klebstoff sich für die Fixierung auf den Zeigern am besten eignete. Die Lieferung verzögerte sich allerdings bis Februar 1990, weil Gallet noch nicht über die erforderliche Bewilligung für die Verarbeitung von Leuchtkörpern mit gasförmigen Tritium verfügte.
Der erste Golfkrieg schafft plötzliche Nachfrage
Im Januar 1991 brach der erste Golfkrieg aus, und die U.S. Army benötigte plötzlich grössere Mengen von Uhren für die im Golf stationierten Truppen. Welcher der qualifizierten Hersteller war in der Lage, als erster und in grösserem Umfang die neuen Militäruhren zu liefern? In der Folge entbrannte ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen Stocker&Yale und dem kanadischen Mitbewerber Marathon. Marathon konnte das Rennen schliesslich für sich entscheiden und gewann den ersten Auftrag für 60'000 Uhren, die der neuen Fertigungsspezifikation entsprachen. Marathon offerierte frühere Lieferung als der amerikanische Konkurrent. «Uhrenaufträge zu gewinnen, ist nicht leicht. Es ist eine Schande, sie zu verlieren. Ich versuchte, den Entscheid anzufechten und wies darauf hin, dass der Liefertermin unrealistisch sei», kommentiert Jim Bickman. Vergeblich. Marathon gelang es, den Beschaffungsauftrag zu halten und Anfang April auszuführen. Die erste Marathon 348 Mil-W-46374E Type 2 kostete die Armee rund 50 U.S. Dollar das Stück. Selbstverständlich stammten die Leuchtkörper dieser ersten an die Truppe ausgelieferten Uhren aus der Produktion von MB microtec. Etwas später kam auch Bickmans Firma mit der hochwertigen, olivefarbenen SandY 490 Type 1 zum Zug.
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