
music-power
Themenstarter
Prolog
Dies ist der Versuch, die fiktive Geschichte des Londoner Uhrmachers James Bamsted mit biografischen Daten berühmter Persönlichkeiten ihrer Zeit zu verweben. Die folgenden Kapitel beschreiben Ereignisse um das Jahr 1767, teilweise von Geschichtsschreibern festgehalten, teilweise von mir frei erfunden.
Nun, einen Uhrmacher namens Bamsted gab es in London tatsächlich. Und dass dieser zumindest eine, aber sehr wahrscheinlich mehrere Zeitmesser hergestellt hat, beweist die wunderschöne, mit seinem Namen versehene Spindel-Taschenuhr im Doppelgehäuse aus Sterlingsilber, die vor mir auf dem Schreibtisch liegt, während ich diese Zeilen schreibe. Das erste Kapitel meiner Geschichte könnte sich also durchaus genauso zugetragen haben…….

Bild 1: Straßenszene in London, 18. Jahrhundert (Quelle: catawiki.com)
London, England, im Februar 1767, Tudor Street 4 - Uhrmacherwerkstatt von James Bamsted

Bild 2: Stadtplan von London (1767) (Quelle: Wikipedia)
Von der ölbetriebenen Straßenlaterne, die über der Eingangstüre im Wind baumelt, fällt ein gelber Fetzen Licht durch das kleine Fenster der Uhrmacherwerkstatt in der Tudor Street Nummer 4, unweit der Blackfriars-Bridge und St Paul’s Cathedral.
Es ist schon weit nach Mitternacht, als drei stark angetrunkene Matrosen grölend an besagter Werkstatt vorbeiziehen. Offenbar verbrachten die Seeleute den Abend im nahegelegenen Bordell am Fleet Market und zogen dann weiter in Richtung Themse, auf der Suche nach einem Pub, der zu dieser Zeit noch geöffnet hat.

Bild 3: Bordellszene im 18. Jahrhundert aus William Hogarths "Werdegang eines Wüstlings" (Quelle: stern.de)
Der Uhrmacher James Bamsted, dem die kleine Werkstatt in der Londoner Altstadt gehört, sieht kurz auf und sein Blick erhascht gerade noch die weiße Mütze eines der an der Fassade entlang torkelnden Männer. Dann wird es still vor seinem Fenster und James Bamsted widmet sich wieder seiner Arbeit. Vor ihm liegt die feuervergoldete Platine eines feinen Spindelwerkes, einer Auftragsarbeit für einen wohlhabenden Kunden aus dem Stadtteil Greenwich im Südosten Londons.
Der Uhrmacher ist gerade im Begriff, seinen Namenszug in das Werkstück zu gravieren, als er die ermahnende Stimme seiner Gemahlin vernimmt, sich doch endlich zur Nachtruhe zu begeben und zu ihr ins Schlafzimmer zu kommen. „Natürlich, Liebste, ich mache Schluss für heute“ murmelt er halblaut vor sich hin, pustet die Messingspäne von der Platine und löscht das Licht seiner Petroleumlampe.

Bild 4 (Foto: music-power)
Salzburg, Österreich, 12. März 1767 - Residenz des Fürsterzbischofs von Schrattenbach
Rückblende: Am 27. Januar 1756 um acht Uhr Morgens kommt im österreichischen Salzburg in der Getreidegasse Nummer 9 in einer Dreizimmerwohnung eines Mehrfamilienhauses ein Säugling auf die Welt, welcher am nächsten Vormittag um zehn Uhr im Salzburger Dom von Stadtkaplan Leopold Lamprecht auf die Namen Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus getauft und so im Taufbuch eingetragen wird.
Dieser Junge sollte wenige Jahre später als das „musikalische Wunderkind“ Wolfgang Amadé Mozart in ganz Europa bekannt werden.

Bild 5: Der junge Mozart beim Komponieren (Quelle: kunstkopie.de)
Ebenfalls in Salzburg erhält das kleines Wunderkind, gerade 11 Jahre alt, in jenem Jahr 1767 von Fürsterzbischof Sigismund III. Christoph Graf von Schrattenbach seinen ersten bezahlten Kompositionsauftrag. Er soll das Oratorium „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ (KV 45) vertonen.
Die Aufführung des ersten Teils fand am 12. März 1767 in der Residenz des Fürsterzbischofs statt. Der zweite Teil folgte am 19., der dritte am 26. März.
Angeblich wurde Wolfgang Amadeus Mozart beim Komponieren seiner ersten Oper vom Erzbischof in ein Zimmer geschlossen, um die Einflussnahme durch den Vater zu verhindern. Mozarts fertige Komposition umfing schließlich 208 Notenseiten, sie enthielt eine Sinfonie, acht Arien und ein Schlussterzett. Der Elfjährige gab sich alle Mühe und erhielt schließlich die Bestätigung des Erzbischofs über seine alleinige Autorenschaft.

Bild 6: Mozart (am Klavier) musiziert mit dem gleichaltrigen Thomas Linley junior (Violine). Florenz 1770 (Quelle: Wikipedia)
Ludwigsburg, Herzogtum Württemberg, Deutschland im Frühjahr 1767 - Lateinschule in der Beckengasse
Johann Caspar Schiller, Wundarzt und Werbeoffizier in der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd, bewohnt mit seiner Frau Dorothea und den Kindern Christophine, Friedrich sowie der im November 1766 geborenen Luise ein kleines Haus im beschaulichen Lorch. Noch im Dezember wird der Vater auf eigenen Wunsch in die Residenz- und Garnisonsstadt Ludwigsburg versetzt.

Bild 7: Herzog Carl Eugen von Württemberg (Quelle: planet-wissen.de)
Die Familie zieht infolgedessen in die ca. 5.000 Einwohner große Stadt um, deren öffentliches Leben vom Hof des Herzogs Carl Eugens und seinem Heer bestimmt ist. Für die Familie bedeutet der Wechsel von der idyllischen Weltabgeschiedenheit Lorchs mitten hinein in das städtische Treiben der Residenzstadt, mehr als nur einen weiteren Umzug. Vater Schiller hofft, hier in der Nähe des Hofes endlich wieder für seine Dienste vom Herzog regelmäßig bezahlt zu werden und bekommt als Kompaniechef im Range eines Hauptmanns neue Aufgaben.
In Ludwigsburg besucht Sohn Friedrich, 7-jährig, ab Anfang des Jahres 1767 mit seinen Freunden Friedrich Wilhelm, Christoph August von Hoven und Immanuel Gottlieb Elwert die Lateinschule, die sich zu dieser Zeit in der Beckengasse (heutige Eberhardstraße) befindet. Der Besuch der Lateinschule ist in dieser Zeit Voraussetzung dafür, in ein Predigerseminar mit anschließendem Theologiestudium aufgenommen zu werden.

Bild 8: Der junge Friedrich Schiller als Karlsschüler und Regimentsmedikus, etwa Mitte der 1770er Jahre (Quelle: stuttgart-lese.de)
Auf Befehl des württembergischen Herzogs Carl Eugen kommt Schiller im Alter von 14 Jahren am 16. Januar 1773 in die Karlsschule, gelegen im Schloss Solitude bei Stuttgart. Der Herzog erfüllt sich mit der Schule den Traum einer eigens gedrillten Elite, aus dem der württembergische Staat seine Beamten rekrutieren soll.
Carl Eugen ermöglicht Friedrich das Studium der Medizin. Doch die Schul- und Ausbildungszeit gleicht einer Kerkerhaft. Schiller lebt unter strengstem militärischen Drill, es gibt so gut wie keinen Urlaub und keine Freistunden. Die Eltern müssen alle "Erziehungsrechte" an den Herzog abtreten, jeder Besuch erfolgt unter militärischer Bewachung.
Literatur als Flucht
Um der Engstirnigkeit des Alltags zu entfliehen, beginnt Schiller zu lesen und macht sich allen Verboten zum Trotz mit den Werken von Rousseau, Shakespeare und Klopstock vertraut. Und bald schon beginnt Friedrich selbst zu schreiben. Noch als Zögling der Stuttgarter Militärakademie begibt er sich im Jahr 1777 an "Die Räuber", das eines seiner berühmtesten Werke werden wird.

Bild 9: Friedrich Schiller, Ölgemälde von Anton Graff 1791 (Quelle: wikipedia.de)
Vier Jahre später – Friedrich Schiller hat mittlerweile die Akademie beendet und eine Stelle als Regimentsarzt angetreten – ist das Bühnenstück fertig und gelangt auf Umwegen in die Hände des Intendanten des Mannheimer Hof- und Nationaltheaters, Wolfgang Heribert von Dalberg, der "Die Räuber" uraufführt. Mit einem Schlag wird Schiller über die Landesgrenzen hinaus berühmt.

Bild 10: Theaterzettel zur Uraufführung der Räuber von Friedrich Schiller am 13. Januar 1782 in Mannheim (Quelle: Wikipedia)
London, England, Ende April 1767 - Werkstatt von James Bamsted
Zurück in London, in der Uhrmacherwerkstatt von James Bamsted. Der ungeduldige Kunde aus Greenwich drängt auf Fertigstellung seiner Uhr. Es ist der 27. April 1767, als sich gegen 10 Uhr am Vormittag die Ladentüre knarrend öffnet. Die kleine Glocke am Türrahmen bimmelt nur verhalten und fast hätte Mr. Bamsted den eintretenden Kunden gar nicht bemerkt, so sehr vertieft war er in seine Arbeit.
Er sah auf, setzte seine Brille ab und legte das Werkstück, an dem er gerade arbeitete, zurück auf den Tisch. Dann erhob er sich, trat dem elegant gekleideten Herrn mittleren Alters entgegen und begrüßte ihn mit den Worten „Einen schönen guten Tag wünsche ich, Mr. Rakewell, Sir!“ „Bamsted, mein Bester“ entgegnete der feine Herr aus Greenwich, während er seinen, aus Biberhaar gefertigten Filzhut ablegte. „Wie geht es mit der Uhr voran?“
„Mit der Uhr, ja, natürlich, mit der Uhr.“ antwortete der Uhrmacher mit dem breitesten, ihm zur Verfügung stehenden Grinsen. Seine Stimme klang brüchig, er räusperte sich. „Ich habe heute das Gehäuse vom Silberschmied erhalten. Der Gute hat noch das Glas angepasst und das Übergehäuse ist wohl auch schon fertig. Feinstes Sterlingsilber, Sir! Ganz, wie sie es in Auftrag gegeben haben, Mr. Rakewell.“
„Wann darf ich mit der Fertigstellung meiner Uhr rechnen?“ Rakewell wirkte etwas gereizt. „Ich gebe in drei Wochen einen Empfang und da möchte ich das gute Stück in der Innentasche meines Gehrocks wissen“. „Aber gewiss doch, Mr. Rakewell, Sir. Das Uhrwerk hat schon einen Probelauf hinter sich und ich bin zuversichtlich, es in der nächsten Woche vollenden zu können.“
„Ihr Wort in Gottes Ohr, Bamsted, Ihr Wort in Gottes Ohr!“ Rakewell nahm seinen Hut vom Haken, brachte den, aus dunklem Tuch maßgeschneiderten Rock in Form und verließ wortlos die Uhrmacherwerkstatt, ohne sich noch einmal umzudrehen.
James Bamsted setzte sich wieder an seinen Tisch, kramte das rotvergoldete Spindelwerk aus einer Schublade, zog es mit dem passenden Schlüssel etwas auf und betrachtete zufrieden den gemächlichen Gang der Eisen-Unruh.
Bild 11/Videosequenz: (music-Power) - Sie hören: W.A. Mozart, Streichquartett Nr. 21, D-Dur
Leipzig, Kurfürstentum Sachsen, Deutschland, 11. Mai 1767 - „Große Feuerkugel“ am Neumarkt, Universitätsstraße
Der 17-jährige Jura-Student Johann Wolfgang Goethe (noch ohne „von“ im Namen - die Nobilitierung erfolgte erst 1782) bewohnte von 1765 bis etwa 1768 eine Studentenwohnung im Hofgebäude des Hauses „Große Feuerkugel“ am Neumarkt.

Bild 12: Hof der „Großen Feuerkugel“ – Goethes Studentenwohnung in Leipzig (Quelle: Wikipedia)
Auf Weisung des Vaters begann Goethe im Oktober 1765 ein Jurastudium an der traditionsreichen Universität Leipzig. Im Gegensatz zum eher altfränkischen Frankfurt, das damals noch keine eigene Universität hatte, war Leipzig eine elegante, weltoffene Stadt, die den Spitznamen „Klein-Paris“ trug. Goethe wurde wie jemand behandelt, der aus der Provinz kam, und musste sich zunächst in Kleidung und Umgangsformen anpassen, um von seinen neuen Mitbürgern akzeptiert zu werden. Von seinem Vater mit einem monatlichen Wechsel von 100 Gulden versorgt, verfügte er über doppelt so viel Geld, wie ein Student selbst an den teuersten Universitäten damals benötigte.
Das Studium selbst betreibt er eher halbherzig. Goethe befasst sich lieber mit Theologie, Naturwissenschaft und Medizin, geht ins Theater, lernt radieren, kupferstechen und zeichnen bei Adam Oeser, einem Freund des Archäologen Johann Joachim Winckelmann.
Der Dramaturg und Literaturtheoretiker Johann Christoph Gottsched und Christian Fürchtegott Gellert, ein deutscher Dichter und Moralphilosoph, lehren zu dieser Zeit ebenfalls in Leipzig. Durchaus möglich, dass Johann Wolfgang auch deren Vorlesungen besucht hat.

Bild 13: Johann Wolfgang Goethe, 1775/76, Gemälde von Georg Melchior Kraus, Öl auf Leinwand, Klassik Stiftung Weimar (Quelle: goethezeitportal.de)
In einem Brief an die Schwester Cornelie vom 11. Mai 1767 berichtet Goethe:
„Da ich ganz ohne Stolz bin, kann ich meiner innerlichen Uberzeugung glauben, die mir sagt daß ich einige Eigenschaften besitze die zu einem Poeten erfordert werden und daß ich durch Fleiß einmal einer werden könnte. Ich habe von meinem zehenten Jahre, angefangen Verse zu schreiben, und habe geglaubt sie seyen gut, jetzo in meinem 17ten sehe ich daß sie schlecht sind, aber ich bin doch 7 Jahre älter und mache sie um 7 Jahre besser. Hätte mir einer anno 62 von meinem Joseph gesagt, was ich jetzt selbst davon sage ich würde so niedergeschlagen worden seyn, daß ich nie eine Feder angerührt hätte.“
1768 erkrankte der junge Goethe schwer an Tuberkulose und er musste sein Studium in Leipzig abbrechen. Zu Hause erholte er sich langsam. Er nutzte die Zeit zum Schreiben und veröffentlichte seinen ersten Band mit Gedichten. 1770 drängte sein Vater ihn, das Studium wieder aufzunehmen - so kam es, dass Goethe weiter Jura in Straßburg studierte und sogar seine Doktorwürde erlangte. Der junge Student besuchte nebenbei erneut andere Vorlesungen - vor allem Chemie hatte es ihm diesmal angetan. Während seines Studiums schrieb er immer wieder Gedichte und in dieser Zeit entstand sein erstes Lustspiel, "Die Mitschuldigen". Aber noch war Goethe unbekannt und sein Talent noch nicht entdeckt.

Bild 14: Johann Wolfgang Goethe, Ölgemälde von Georg Oswald May, 1779 (Quelle: de.wikipedia.org)
Erst Jahre später kam es zu seinen wohl bekanntesten Werken, wie dem Schauspiel „Götz von Berlichingen“ (1773 fertiggestellt und 1774 in 5 Akten in Berlin uraufgeführt), dem Roman „Die Leiden des Jungen Werther“ (1774) und der Tragödie „Faust“ (erste Entwürfe um 1772, erschienen 1808)

Bild 15: Goethe‘s „Faust“ - Titelblatt der Erstausgabe von 1808 (Quelle: de.wikipedia.org)
London, England, 13. Mai 1767 - Haus von James Bamsted
Als James Bamsted an diesem regnerischen Mittwoch Morgen aus seinem Schlafzimmerfenster blickte - dieses zeigte in Richtung Themse, von der aber aufgrund der ziemlich verbauten Häuserkulisse nichts zu sehen war - plagten ihn gleich mehrere Sorgen. Würde Ernest Rakewell mit seiner Arbeit zufrieden sein? Würde er den vereinbarten Preis in voller Höhe bezahlen, wenn er die inzwischen fertiggestellte Uhr heute Nachmittag in Empfang nähme? Was, wenn Rakewell etwas auszusetzen hätte?
Die Uhr war ein Meisterstück, das wusste James Bamsted. Auf das Geld war er angewiesen. Der Silberschmied wollte bezahlt werden und die Miete für das kleine Haus in der Tudor Street war auch überfällig. Der Uhrmacher begab sich ins Untergeschoss und nach einem kleinen Frühstück mit seiner Frau machte er sich wieder an die Arbeit. Das Spindelwerk saß passgenau in seinem Silbergehäuse. James Bamsted zog das Werk bis zum Anschlag der Kette auf. Ein kräftiges Ticken war zu vernehmen. Die Uhr lief perfekt.
Bild 16/Videosequenz: (Quelle: music-power) - Sie hören: W.A. Mozart, Streichquartett Nr. 21, D-Dur
Der Uhrmacher holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Anschließend legte er die Uhr in das bereitliegende Übergehäuse und polierte die glänzende Oberfläche mit einem weichen Tuch. „Es ist vollbracht“ murmelte James Bamsted in seinen dichten, grauen Bart. „Mr. Rakewell kann kommen“.
Winterbach im Remstal, Deutschland, im Dezember 2022
Ich klappe meinen Laptop zu und schließe die Augen. Ich bin noch ganz in der Welt des 18. Jahrhunderts gefangen und sehe vor meinem geistigen Auge die beiden Männer in der Werkstatt von James Bamsted bei der Übergabe der silbernen Spindeltaschenuhr. In meiner Fantasie treffe ich Goethe bei einem seiner Spaziergänge durch die Leipziger Altstadt und begleite Friedrich Schiller ins Mannheimer Nationaltheater, um der Uraufführung der „Räuber“ beizuwohnen.
Langsam komme ich zu mir, die Eindrücke verschwimmen mehr und mehr und ich nehme wieder meine unmittelbare Umgebung wahr. Ich stehe auf, lege eine CD mit dem Klavierkonzert Nr. 9 in Es-Dur von Mozart in den Player und drücke die Starttaste.
Zurück an meinem Schreibtisch greife ich nach der Uhr und halte das kühle Sterlingsilber-Gehäuse an mein Ohr. Das kräftige, sonore Ticken ist nach mehr als 250 Jahren immer noch deutlich zu vernehmen. Man stelle sich einmal vor, dass genau dieser Klang seit einem Viertel Jahrtausend (!) von zahlreichen, ganz unterschiedlichen Besitzern gehört wurde. Auch jeder unserer Protagonisten könnte die Uhr, zumindest theoretisch, einmal in der Hand gehabt haben!

Bild 17 (Foto: music-power)
Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass vor 250 Jahren der Besitzer einer Taschenuhr sehr wohlhabend sein musste. Diese diente nicht in erster Linie als Zeitmesser - sie war eher ein Prestigeobjekt. Der Gegenwert einer Uhr wie dieser, hier vorgestellten „J. Bamsted“, dürfte heute dem eines Mittelklassewagens entsprechen.
Was ich noch selbst zur Uhr beitragen kann
Die „J. Bamsted“ Spindel-Taschenuhr aus England habe ich Anfang des Jahres von einem Sammler aus dem Odenwald erworben. Seine, wie auch meine, Recherchen führten zur Altersbestimmung: Die Uhr ist mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ im Jahre 1767 entstanden. Zumindest kann man das über die, seit über 700 Jahren in Großbritannien gebräuchlichen „Silberpunzen“, auch „Hallmarks“ genannt, ziemlich genau eingrenzen. Da es sich hierbei aber lediglich um die Herstellung der Gehäusefür die Uhr handelt, kann das tatsächliche Herstellungsdatum des Uhrwerkes etwas abweichen, es entstand aber sicher „zeitnah“.
Englische Hallmarks bestehen im Wesentlichen aus drei Punzierungen: dem „schreitenden Löwen“, welcher für den Feingehalt des Silbers steht, dem Stadtwappen, (der Stadt, in der der Silberschmied tätig war) und dem Datierungsstempel. Bei Letzterem ist eine Kombination aus Stadtwappen und Datierungsstempel mit all seinen Formen entscheidend. Diese sind meist im Staubdeckel des Gehäuses vermerkt.
Mehr zum Thema: British Sterling - English Hallmarks, Irish Hallmarks & Scottish Hallmarks
Die Hallmarks meiner Uhr finden sich sowohl im Deckel des Uhrengehäuses, als auch in dem des Übergehäuses. (identisch)

Bild 18 (Foto: music-power)
Da sich die Hallmarks nach einigen Jahren oft wiederholen, sind mehrere Jahreszahlen möglich. Die richtige Jahreszahl ergibt sich dann aus der Bauweise und den Merkmalen der Uhr bzw. des Uhrwerks. Unter Mithilfe zweier fachkundiger Mitglieder dieses Forums erhielt ich dann folgendes Ergebnis:


Bild 19 und 20 (Quelle: mikrolisk.de)
Hierzu bekam ich wertvolle Hinweise unserer Taschenuhren-Spezialisten Roland (@Spindel) und Peter (@pet.sch) Herzlichen Dank an dieser Stelle!
Denn, Hallmarks sind nicht gleich Hallmarks
, wie ich jetzt lernen durfte! Zunächst dachte ich, es handelt sich beim Datierungsstempel um ein kleingeschriebenes „m“, bis ich darauf hingewiesen wurde, dass man in dieser Zeit das „kleine“ mit einem Balken in der Mitte zum „großen M“ gemacht hat! Treffer: 1767!
Darüberhinaus war der „Leopards Head“, welcher für das Stadtwappen für London steht, bis 1820 mit einer Krone versehen - danach nicht mehr. Der Leopard im Gehäuse meiner Uhr ist noch gekrönt. Sehr spannend!
Ende Teil 1, Teil 2 folgt zugleich

Dies ist der Versuch, die fiktive Geschichte des Londoner Uhrmachers James Bamsted mit biografischen Daten berühmter Persönlichkeiten ihrer Zeit zu verweben. Die folgenden Kapitel beschreiben Ereignisse um das Jahr 1767, teilweise von Geschichtsschreibern festgehalten, teilweise von mir frei erfunden.

Nun, einen Uhrmacher namens Bamsted gab es in London tatsächlich. Und dass dieser zumindest eine, aber sehr wahrscheinlich mehrere Zeitmesser hergestellt hat, beweist die wunderschöne, mit seinem Namen versehene Spindel-Taschenuhr im Doppelgehäuse aus Sterlingsilber, die vor mir auf dem Schreibtisch liegt, während ich diese Zeilen schreibe. Das erste Kapitel meiner Geschichte könnte sich also durchaus genauso zugetragen haben…….

Bild 1: Straßenszene in London, 18. Jahrhundert (Quelle: catawiki.com)
London, England, im Februar 1767, Tudor Street 4 - Uhrmacherwerkstatt von James Bamsted

Bild 2: Stadtplan von London (1767) (Quelle: Wikipedia)
Von der ölbetriebenen Straßenlaterne, die über der Eingangstüre im Wind baumelt, fällt ein gelber Fetzen Licht durch das kleine Fenster der Uhrmacherwerkstatt in der Tudor Street Nummer 4, unweit der Blackfriars-Bridge und St Paul’s Cathedral.
Es ist schon weit nach Mitternacht, als drei stark angetrunkene Matrosen grölend an besagter Werkstatt vorbeiziehen. Offenbar verbrachten die Seeleute den Abend im nahegelegenen Bordell am Fleet Market und zogen dann weiter in Richtung Themse, auf der Suche nach einem Pub, der zu dieser Zeit noch geöffnet hat.

Bild 3: Bordellszene im 18. Jahrhundert aus William Hogarths "Werdegang eines Wüstlings" (Quelle: stern.de)
Der Uhrmacher James Bamsted, dem die kleine Werkstatt in der Londoner Altstadt gehört, sieht kurz auf und sein Blick erhascht gerade noch die weiße Mütze eines der an der Fassade entlang torkelnden Männer. Dann wird es still vor seinem Fenster und James Bamsted widmet sich wieder seiner Arbeit. Vor ihm liegt die feuervergoldete Platine eines feinen Spindelwerkes, einer Auftragsarbeit für einen wohlhabenden Kunden aus dem Stadtteil Greenwich im Südosten Londons.
Der Uhrmacher ist gerade im Begriff, seinen Namenszug in das Werkstück zu gravieren, als er die ermahnende Stimme seiner Gemahlin vernimmt, sich doch endlich zur Nachtruhe zu begeben und zu ihr ins Schlafzimmer zu kommen. „Natürlich, Liebste, ich mache Schluss für heute“ murmelt er halblaut vor sich hin, pustet die Messingspäne von der Platine und löscht das Licht seiner Petroleumlampe.

Bild 4 (Foto: music-power)
Salzburg, Österreich, 12. März 1767 - Residenz des Fürsterzbischofs von Schrattenbach
Rückblende: Am 27. Januar 1756 um acht Uhr Morgens kommt im österreichischen Salzburg in der Getreidegasse Nummer 9 in einer Dreizimmerwohnung eines Mehrfamilienhauses ein Säugling auf die Welt, welcher am nächsten Vormittag um zehn Uhr im Salzburger Dom von Stadtkaplan Leopold Lamprecht auf die Namen Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus getauft und so im Taufbuch eingetragen wird.
Dieser Junge sollte wenige Jahre später als das „musikalische Wunderkind“ Wolfgang Amadé Mozart in ganz Europa bekannt werden.

Bild 5: Der junge Mozart beim Komponieren (Quelle: kunstkopie.de)
Ebenfalls in Salzburg erhält das kleines Wunderkind, gerade 11 Jahre alt, in jenem Jahr 1767 von Fürsterzbischof Sigismund III. Christoph Graf von Schrattenbach seinen ersten bezahlten Kompositionsauftrag. Er soll das Oratorium „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ (KV 45) vertonen.
Die Aufführung des ersten Teils fand am 12. März 1767 in der Residenz des Fürsterzbischofs statt. Der zweite Teil folgte am 19., der dritte am 26. März.
Angeblich wurde Wolfgang Amadeus Mozart beim Komponieren seiner ersten Oper vom Erzbischof in ein Zimmer geschlossen, um die Einflussnahme durch den Vater zu verhindern. Mozarts fertige Komposition umfing schließlich 208 Notenseiten, sie enthielt eine Sinfonie, acht Arien und ein Schlussterzett. Der Elfjährige gab sich alle Mühe und erhielt schließlich die Bestätigung des Erzbischofs über seine alleinige Autorenschaft.

Bild 6: Mozart (am Klavier) musiziert mit dem gleichaltrigen Thomas Linley junior (Violine). Florenz 1770 (Quelle: Wikipedia)
Ludwigsburg, Herzogtum Württemberg, Deutschland im Frühjahr 1767 - Lateinschule in der Beckengasse
Johann Caspar Schiller, Wundarzt und Werbeoffizier in der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd, bewohnt mit seiner Frau Dorothea und den Kindern Christophine, Friedrich sowie der im November 1766 geborenen Luise ein kleines Haus im beschaulichen Lorch. Noch im Dezember wird der Vater auf eigenen Wunsch in die Residenz- und Garnisonsstadt Ludwigsburg versetzt.

Bild 7: Herzog Carl Eugen von Württemberg (Quelle: planet-wissen.de)
Die Familie zieht infolgedessen in die ca. 5.000 Einwohner große Stadt um, deren öffentliches Leben vom Hof des Herzogs Carl Eugens und seinem Heer bestimmt ist. Für die Familie bedeutet der Wechsel von der idyllischen Weltabgeschiedenheit Lorchs mitten hinein in das städtische Treiben der Residenzstadt, mehr als nur einen weiteren Umzug. Vater Schiller hofft, hier in der Nähe des Hofes endlich wieder für seine Dienste vom Herzog regelmäßig bezahlt zu werden und bekommt als Kompaniechef im Range eines Hauptmanns neue Aufgaben.
In Ludwigsburg besucht Sohn Friedrich, 7-jährig, ab Anfang des Jahres 1767 mit seinen Freunden Friedrich Wilhelm, Christoph August von Hoven und Immanuel Gottlieb Elwert die Lateinschule, die sich zu dieser Zeit in der Beckengasse (heutige Eberhardstraße) befindet. Der Besuch der Lateinschule ist in dieser Zeit Voraussetzung dafür, in ein Predigerseminar mit anschließendem Theologiestudium aufgenommen zu werden.

Bild 8: Der junge Friedrich Schiller als Karlsschüler und Regimentsmedikus, etwa Mitte der 1770er Jahre (Quelle: stuttgart-lese.de)
Auf Befehl des württembergischen Herzogs Carl Eugen kommt Schiller im Alter von 14 Jahren am 16. Januar 1773 in die Karlsschule, gelegen im Schloss Solitude bei Stuttgart. Der Herzog erfüllt sich mit der Schule den Traum einer eigens gedrillten Elite, aus dem der württembergische Staat seine Beamten rekrutieren soll.
Carl Eugen ermöglicht Friedrich das Studium der Medizin. Doch die Schul- und Ausbildungszeit gleicht einer Kerkerhaft. Schiller lebt unter strengstem militärischen Drill, es gibt so gut wie keinen Urlaub und keine Freistunden. Die Eltern müssen alle "Erziehungsrechte" an den Herzog abtreten, jeder Besuch erfolgt unter militärischer Bewachung.
Literatur als Flucht
Um der Engstirnigkeit des Alltags zu entfliehen, beginnt Schiller zu lesen und macht sich allen Verboten zum Trotz mit den Werken von Rousseau, Shakespeare und Klopstock vertraut. Und bald schon beginnt Friedrich selbst zu schreiben. Noch als Zögling der Stuttgarter Militärakademie begibt er sich im Jahr 1777 an "Die Räuber", das eines seiner berühmtesten Werke werden wird.

Bild 9: Friedrich Schiller, Ölgemälde von Anton Graff 1791 (Quelle: wikipedia.de)
Vier Jahre später – Friedrich Schiller hat mittlerweile die Akademie beendet und eine Stelle als Regimentsarzt angetreten – ist das Bühnenstück fertig und gelangt auf Umwegen in die Hände des Intendanten des Mannheimer Hof- und Nationaltheaters, Wolfgang Heribert von Dalberg, der "Die Räuber" uraufführt. Mit einem Schlag wird Schiller über die Landesgrenzen hinaus berühmt.

Bild 10: Theaterzettel zur Uraufführung der Räuber von Friedrich Schiller am 13. Januar 1782 in Mannheim (Quelle: Wikipedia)
London, England, Ende April 1767 - Werkstatt von James Bamsted
Zurück in London, in der Uhrmacherwerkstatt von James Bamsted. Der ungeduldige Kunde aus Greenwich drängt auf Fertigstellung seiner Uhr. Es ist der 27. April 1767, als sich gegen 10 Uhr am Vormittag die Ladentüre knarrend öffnet. Die kleine Glocke am Türrahmen bimmelt nur verhalten und fast hätte Mr. Bamsted den eintretenden Kunden gar nicht bemerkt, so sehr vertieft war er in seine Arbeit.
Er sah auf, setzte seine Brille ab und legte das Werkstück, an dem er gerade arbeitete, zurück auf den Tisch. Dann erhob er sich, trat dem elegant gekleideten Herrn mittleren Alters entgegen und begrüßte ihn mit den Worten „Einen schönen guten Tag wünsche ich, Mr. Rakewell, Sir!“ „Bamsted, mein Bester“ entgegnete der feine Herr aus Greenwich, während er seinen, aus Biberhaar gefertigten Filzhut ablegte. „Wie geht es mit der Uhr voran?“
„Mit der Uhr, ja, natürlich, mit der Uhr.“ antwortete der Uhrmacher mit dem breitesten, ihm zur Verfügung stehenden Grinsen. Seine Stimme klang brüchig, er räusperte sich. „Ich habe heute das Gehäuse vom Silberschmied erhalten. Der Gute hat noch das Glas angepasst und das Übergehäuse ist wohl auch schon fertig. Feinstes Sterlingsilber, Sir! Ganz, wie sie es in Auftrag gegeben haben, Mr. Rakewell.“
„Wann darf ich mit der Fertigstellung meiner Uhr rechnen?“ Rakewell wirkte etwas gereizt. „Ich gebe in drei Wochen einen Empfang und da möchte ich das gute Stück in der Innentasche meines Gehrocks wissen“. „Aber gewiss doch, Mr. Rakewell, Sir. Das Uhrwerk hat schon einen Probelauf hinter sich und ich bin zuversichtlich, es in der nächsten Woche vollenden zu können.“
„Ihr Wort in Gottes Ohr, Bamsted, Ihr Wort in Gottes Ohr!“ Rakewell nahm seinen Hut vom Haken, brachte den, aus dunklem Tuch maßgeschneiderten Rock in Form und verließ wortlos die Uhrmacherwerkstatt, ohne sich noch einmal umzudrehen.
James Bamsted setzte sich wieder an seinen Tisch, kramte das rotvergoldete Spindelwerk aus einer Schublade, zog es mit dem passenden Schlüssel etwas auf und betrachtete zufrieden den gemächlichen Gang der Eisen-Unruh.
Bild 11/Videosequenz: (music-Power) - Sie hören: W.A. Mozart, Streichquartett Nr. 21, D-Dur
Leipzig, Kurfürstentum Sachsen, Deutschland, 11. Mai 1767 - „Große Feuerkugel“ am Neumarkt, Universitätsstraße
Der 17-jährige Jura-Student Johann Wolfgang Goethe (noch ohne „von“ im Namen - die Nobilitierung erfolgte erst 1782) bewohnte von 1765 bis etwa 1768 eine Studentenwohnung im Hofgebäude des Hauses „Große Feuerkugel“ am Neumarkt.

Bild 12: Hof der „Großen Feuerkugel“ – Goethes Studentenwohnung in Leipzig (Quelle: Wikipedia)
Auf Weisung des Vaters begann Goethe im Oktober 1765 ein Jurastudium an der traditionsreichen Universität Leipzig. Im Gegensatz zum eher altfränkischen Frankfurt, das damals noch keine eigene Universität hatte, war Leipzig eine elegante, weltoffene Stadt, die den Spitznamen „Klein-Paris“ trug. Goethe wurde wie jemand behandelt, der aus der Provinz kam, und musste sich zunächst in Kleidung und Umgangsformen anpassen, um von seinen neuen Mitbürgern akzeptiert zu werden. Von seinem Vater mit einem monatlichen Wechsel von 100 Gulden versorgt, verfügte er über doppelt so viel Geld, wie ein Student selbst an den teuersten Universitäten damals benötigte.
Das Studium selbst betreibt er eher halbherzig. Goethe befasst sich lieber mit Theologie, Naturwissenschaft und Medizin, geht ins Theater, lernt radieren, kupferstechen und zeichnen bei Adam Oeser, einem Freund des Archäologen Johann Joachim Winckelmann.
Der Dramaturg und Literaturtheoretiker Johann Christoph Gottsched und Christian Fürchtegott Gellert, ein deutscher Dichter und Moralphilosoph, lehren zu dieser Zeit ebenfalls in Leipzig. Durchaus möglich, dass Johann Wolfgang auch deren Vorlesungen besucht hat.

Bild 13: Johann Wolfgang Goethe, 1775/76, Gemälde von Georg Melchior Kraus, Öl auf Leinwand, Klassik Stiftung Weimar (Quelle: goethezeitportal.de)
In einem Brief an die Schwester Cornelie vom 11. Mai 1767 berichtet Goethe:
„Da ich ganz ohne Stolz bin, kann ich meiner innerlichen Uberzeugung glauben, die mir sagt daß ich einige Eigenschaften besitze die zu einem Poeten erfordert werden und daß ich durch Fleiß einmal einer werden könnte. Ich habe von meinem zehenten Jahre, angefangen Verse zu schreiben, und habe geglaubt sie seyen gut, jetzo in meinem 17ten sehe ich daß sie schlecht sind, aber ich bin doch 7 Jahre älter und mache sie um 7 Jahre besser. Hätte mir einer anno 62 von meinem Joseph gesagt, was ich jetzt selbst davon sage ich würde so niedergeschlagen worden seyn, daß ich nie eine Feder angerührt hätte.“
1768 erkrankte der junge Goethe schwer an Tuberkulose und er musste sein Studium in Leipzig abbrechen. Zu Hause erholte er sich langsam. Er nutzte die Zeit zum Schreiben und veröffentlichte seinen ersten Band mit Gedichten. 1770 drängte sein Vater ihn, das Studium wieder aufzunehmen - so kam es, dass Goethe weiter Jura in Straßburg studierte und sogar seine Doktorwürde erlangte. Der junge Student besuchte nebenbei erneut andere Vorlesungen - vor allem Chemie hatte es ihm diesmal angetan. Während seines Studiums schrieb er immer wieder Gedichte und in dieser Zeit entstand sein erstes Lustspiel, "Die Mitschuldigen". Aber noch war Goethe unbekannt und sein Talent noch nicht entdeckt.

Bild 14: Johann Wolfgang Goethe, Ölgemälde von Georg Oswald May, 1779 (Quelle: de.wikipedia.org)
Erst Jahre später kam es zu seinen wohl bekanntesten Werken, wie dem Schauspiel „Götz von Berlichingen“ (1773 fertiggestellt und 1774 in 5 Akten in Berlin uraufgeführt), dem Roman „Die Leiden des Jungen Werther“ (1774) und der Tragödie „Faust“ (erste Entwürfe um 1772, erschienen 1808)

Bild 15: Goethe‘s „Faust“ - Titelblatt der Erstausgabe von 1808 (Quelle: de.wikipedia.org)
London, England, 13. Mai 1767 - Haus von James Bamsted
Als James Bamsted an diesem regnerischen Mittwoch Morgen aus seinem Schlafzimmerfenster blickte - dieses zeigte in Richtung Themse, von der aber aufgrund der ziemlich verbauten Häuserkulisse nichts zu sehen war - plagten ihn gleich mehrere Sorgen. Würde Ernest Rakewell mit seiner Arbeit zufrieden sein? Würde er den vereinbarten Preis in voller Höhe bezahlen, wenn er die inzwischen fertiggestellte Uhr heute Nachmittag in Empfang nähme? Was, wenn Rakewell etwas auszusetzen hätte?
Die Uhr war ein Meisterstück, das wusste James Bamsted. Auf das Geld war er angewiesen. Der Silberschmied wollte bezahlt werden und die Miete für das kleine Haus in der Tudor Street war auch überfällig. Der Uhrmacher begab sich ins Untergeschoss und nach einem kleinen Frühstück mit seiner Frau machte er sich wieder an die Arbeit. Das Spindelwerk saß passgenau in seinem Silbergehäuse. James Bamsted zog das Werk bis zum Anschlag der Kette auf. Ein kräftiges Ticken war zu vernehmen. Die Uhr lief perfekt.
Bild 16/Videosequenz: (Quelle: music-power) - Sie hören: W.A. Mozart, Streichquartett Nr. 21, D-Dur
Der Uhrmacher holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Anschließend legte er die Uhr in das bereitliegende Übergehäuse und polierte die glänzende Oberfläche mit einem weichen Tuch. „Es ist vollbracht“ murmelte James Bamsted in seinen dichten, grauen Bart. „Mr. Rakewell kann kommen“.
Winterbach im Remstal, Deutschland, im Dezember 2022
Ich klappe meinen Laptop zu und schließe die Augen. Ich bin noch ganz in der Welt des 18. Jahrhunderts gefangen und sehe vor meinem geistigen Auge die beiden Männer in der Werkstatt von James Bamsted bei der Übergabe der silbernen Spindeltaschenuhr. In meiner Fantasie treffe ich Goethe bei einem seiner Spaziergänge durch die Leipziger Altstadt und begleite Friedrich Schiller ins Mannheimer Nationaltheater, um der Uraufführung der „Räuber“ beizuwohnen.
Langsam komme ich zu mir, die Eindrücke verschwimmen mehr und mehr und ich nehme wieder meine unmittelbare Umgebung wahr. Ich stehe auf, lege eine CD mit dem Klavierkonzert Nr. 9 in Es-Dur von Mozart in den Player und drücke die Starttaste.
Zurück an meinem Schreibtisch greife ich nach der Uhr und halte das kühle Sterlingsilber-Gehäuse an mein Ohr. Das kräftige, sonore Ticken ist nach mehr als 250 Jahren immer noch deutlich zu vernehmen. Man stelle sich einmal vor, dass genau dieser Klang seit einem Viertel Jahrtausend (!) von zahlreichen, ganz unterschiedlichen Besitzern gehört wurde. Auch jeder unserer Protagonisten könnte die Uhr, zumindest theoretisch, einmal in der Hand gehabt haben!

Bild 17 (Foto: music-power)
Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass vor 250 Jahren der Besitzer einer Taschenuhr sehr wohlhabend sein musste. Diese diente nicht in erster Linie als Zeitmesser - sie war eher ein Prestigeobjekt. Der Gegenwert einer Uhr wie dieser, hier vorgestellten „J. Bamsted“, dürfte heute dem eines Mittelklassewagens entsprechen.
Was ich noch selbst zur Uhr beitragen kann
Die „J. Bamsted“ Spindel-Taschenuhr aus England habe ich Anfang des Jahres von einem Sammler aus dem Odenwald erworben. Seine, wie auch meine, Recherchen führten zur Altersbestimmung: Die Uhr ist mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ im Jahre 1767 entstanden. Zumindest kann man das über die, seit über 700 Jahren in Großbritannien gebräuchlichen „Silberpunzen“, auch „Hallmarks“ genannt, ziemlich genau eingrenzen. Da es sich hierbei aber lediglich um die Herstellung der Gehäusefür die Uhr handelt, kann das tatsächliche Herstellungsdatum des Uhrwerkes etwas abweichen, es entstand aber sicher „zeitnah“.
Englische Hallmarks bestehen im Wesentlichen aus drei Punzierungen: dem „schreitenden Löwen“, welcher für den Feingehalt des Silbers steht, dem Stadtwappen, (der Stadt, in der der Silberschmied tätig war) und dem Datierungsstempel. Bei Letzterem ist eine Kombination aus Stadtwappen und Datierungsstempel mit all seinen Formen entscheidend. Diese sind meist im Staubdeckel des Gehäuses vermerkt.
Mehr zum Thema: British Sterling - English Hallmarks, Irish Hallmarks & Scottish Hallmarks
Die Hallmarks meiner Uhr finden sich sowohl im Deckel des Uhrengehäuses, als auch in dem des Übergehäuses. (identisch)

Bild 18 (Foto: music-power)
Da sich die Hallmarks nach einigen Jahren oft wiederholen, sind mehrere Jahreszahlen möglich. Die richtige Jahreszahl ergibt sich dann aus der Bauweise und den Merkmalen der Uhr bzw. des Uhrwerks. Unter Mithilfe zweier fachkundiger Mitglieder dieses Forums erhielt ich dann folgendes Ergebnis:


Bild 19 und 20 (Quelle: mikrolisk.de)
Hierzu bekam ich wertvolle Hinweise unserer Taschenuhren-Spezialisten Roland (@Spindel) und Peter (@pet.sch) Herzlichen Dank an dieser Stelle!

Denn, Hallmarks sind nicht gleich Hallmarks

Darüberhinaus war der „Leopards Head“, welcher für das Stadtwappen für London steht, bis 1820 mit einer Krone versehen - danach nicht mehr. Der Leopard im Gehäuse meiner Uhr ist noch gekrönt. Sehr spannend!
Ende Teil 1, Teil 2 folgt zugleich


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