Heiliggeist
Themenstarter
- Dabei seit
- 14.10.2019
- Beiträge
- 5
Hallo,
ich bin neu hier und danke erstmal für das Vertrauen, hier schreiben zu dürfen. Erstmal zu meiner Person (Wer den langen Text nicht lesen, sondern die Frage wissen will, dem sei nur das Studium der letzten beiden Absätze anempfohlen):
Ich bin 41 Jahre alt, und trage seit zwanzig Jahren (ziemlich genau so lange, wie eBay sinnvoll nutzbar ist) ausschließlich gebrauchte Taschenuhren. Angefangen hat es, als ich als Schüler eine unangenehme Nickelallergie ausgebildet habe. Ich hatte sie wahrscheinlich schon früher, aber sie ist erstmals virulent geworden, nachdem die Plastik-Swatchuhren Weihnachten 1994 zum ersten mal gegen eine für die Verhältnisse eines 16-jährigen "richtige" Armbahnduhr von Tissot getauscht wurde. Quarz, das Stück, und eigentlich auch schön anzusehen. Doch schon an den heiligen drei Königen hatte ich einen Rothautunterarm und das Jucken war unerträglich. Für den Schenker leider ein wenig frustrierend ging es dann erst mal wieder mit Plastik weiter, bis ich irgendwann als Student die Nase davon voll hatte, immer rumzulaufen wie ein Grundschüler und deshalb (man hatte ja nicht viel) eine gebrauchte Kienzle und eine gebrauchte Junghans Taschenuhr aus den 60er / 70ern auf eBay erworben habe. Die haben mir beide gefallen, beide liefen mehr ungenau als recht, aber als Student ist Zeit etwas, das nur in Viertelstundentakten relevant ist. Ich konnte mich nicht entscheiden also habe ich sie beide gekauft und peu a peu bei einem niedergelassenen, freien Uhrmachermeister aus "altem Schrot und Korn", der die Familie schon immer betreut hat (in der Kleinstadt gibt es solche Perlen manchmal noch) warten lassen. Der hat zwar immer den Kopf geschüttelt (und konnte mir glaubhaft versichern, dass sich das bisschen Geld, was ich da reinstecke, nicht lohnt, weil er die schon verkauft hat, als sie neu waren und damals schon davon abgeraten hat), aber er hat die Preise immer meinen finanziellen Möglichkeiten angepasst, und wir waren glücklich miteinander. Im Alltag habe ich am Ende eine Molnija mit Leninkonterfei getragen, die ich Anfang der Zweitausender während eines "Auslandssemesters" als Andenken an diese Zeit bei einem Händler in Berlin gekauft habe - damals gabs die an jeder Ecke für einen Spottpreis, schade, dass die das Handtuch geworfen haben. Die hatten den Charme und die Unverwüstlichkeit eines Kolchosentraktors und für nachkriegsgeborene Kinder der westdeutschen Siebziger wie mich nach dem Fall der Mauer einen ganz eigenen "Spirit". Irgendwo zwischen MickyMaus - Uhr für Erwachsene und im Voraus geschenktem Dank für noch nicht geleistete 25 Jahre treue Dienste im System.
Irgendwann war das Studium ausstudiert, und seien wir ehrlich: wenn man einen seriösen Job ergreifen und sich dem Kapitalismus verschreiben will, dann ist das irgendwie unecht, wenn Lenin in der Hose klappert und quasi als Galeerenmeister den Takt schlägt. Zum Examen hat mir meine damalige Freundin und heutige Frau deshalb eine vergoldete Jean Marcel Savonette mit richtigem ETA 6497 (glaube ich, ich habe sie nie aufgemacht) geschenkt, die ich aber nur selten trage. Ich schätze die Geste - sie hat sie bei "unserem" Uhrmacher gekauft, und ich bin sicher, dass wir sie uns damals eigentlich nicht leisten konnten, auch wenn ich nie gefragt habe, was sie gekostet hat.
Aber sie hat sie ungefragt gekauft, und Savonette mag man, oder man mag es nicht. Ich mag es nicht so. Außerdem war es wie ein Stempel, dass ich also nun doch in der "richtigen" Welt angekommen bin, sie sah - und sieht - edel aus, aber...Ich weiß nicht, wie ich das besser beschreiben soll, was mich an ihr stört. Die Jean Marcel sieht aus wie eine Uhr, die eine Frau ihrem Mann schenkt, wenn sie ihm etwas edles schenken will. Sie will historisieren, kommt aber nicht glaubhaft rüber, in ihrem Glanz - und das gibt ihr und mir etwas affektiertes, wenn ich sie raushole. Die Welt der Affektierten sollte meine Welt sein, sie ist es aber nicht.
So ging das weiter, auch beruflich, der Wechsel zwischen diesen dreien und Jean Marcel, bis ich irgendwann vor ca. 10 Jahren auf eBay meine "Lieblingsuhr", eine Omega - Lepine mit blauen Zeigern in diesem "Art Deco" - Stil, gestoßen bin. Fotos kann ich leider nicht geben, weil sie im Moment in Pforzheim liegt, und ich weiß nicht, ob es erlaubt ist, eBay - links einzusetzen, in denen ähnliche Modelle feilgeboten werden.
Sie hat durchaus einige Macken und Patina (das Zifferblatt etwa hat in Höhe von fünf Uhr einen etwa erbsengroßen Schatten), aber sie trägt diese Narben, wie sich das für stolze Damen gehört, mit Würde und als Zeichen, dass sie die Zeiten nicht überdauert, sondern gemessen hat. Das Werk trägt eine Zahl zwischen 8.000.000 und 9.000.000, also wohl Zwischenkrieg, wenn ich das richtig perzipiert habe. Man kann sagen: sie hat sich mir ausgesucht hat und ich bin ihr ein bisschen verfallen bin. Lepine geht schnell, ist unkompliziert und haltbar und ist als Gebrauchsuhr auch viel praktischer als Savonette. Wenn man, wie ich, sowieso den ganzen Tag mit Anzug rumrennt, dann verliert Savonette auch irgendwo seinen Zweck, der ja historisch wohl im Wesentlichen darin bestand, das Glas zu schützen.
Ich weiß, dass auch die Omegas damals nicht unbedingt Luxus - Unikate waren. Aber genau das machte ihren Reiz aus: die Omega war ehrlich. Alt, aber nicht historisch, ein Arbeitstier, das nie mehr sein wollte. Ein bisschen wie ein /8 in der 200er Diesel - Ausführung. Nicht billig, sondern wertig, rennt nicht, aber kommt an. Die Molnija ohne Lenin - Konterfei und mit etwas ruhigerem Lauf. Ich und mein Uhrmachermeister fanden sie toll; er hat mir anerkennend auf die Schulter geklopft und sie nach Erwerb für knapp 500 Euro komplett überholt, wobei er nach eigenen Angaben nur "Standschäden" beseitigen musste. Mit den 100, die ich bezahlt habe, war ich zwar nicht unbedingt begeistert, aber für 600 Euro eine sinnvolle Taschenuhr, da kann man auch nichts sagen. Seither hat er sie immer in Schuss gehalten. Jetzt ist der gute Mann aber leider verstorben, und gleich als habe sie das gewusst, die alte Tante, hat sie vor drei Monaten ihren Dienst quittiert. Sie ließ sich nicht mehr aufziehen, die Krone drehte durch (Mein Gott, jetzt rede ich schon von beiden in der Vergangenheit, dabei ist ja über die Uhr noch gar keine Entscheidung gefallen).
Jetzt ist der Arzt, der sie bisher betreut hat, nicht mehr da, und zähneknirschend habe ich sie zu einem konzessionierten Betrieb gegeben, um zu fragen, was es kostet, sie reparieren zu lassen. Irgendwas muss ja passieren. Die holten einmal tief Luft und ließen mich sofort einen Vertrag unterschreiben, dass ich 55 Euro Bearbeitungsgebühr für den Kostenvoranschlag zu bezahlen habe, die mit dem Preis verrechnet werden, wenn ich sie reparieren lasse und meinten, sie müsste nach Pforzheim geschickt werden, so was könnten sie nicht. Kann ich in gewissem Maße auch verstehen, so ein Konzessionsbetrieb macht sein Geld mit Laufkundschaft und dem Verkauf neuer Uhren. Das war so edel in diesem Konzessionsladen, dass sie wahrscheinlich allein fürs Franchise mehr ausgeben müssen, als mein kleiner Meisterbetrieb hier in der Stadt an Umsatz macht. Bei dem allerdings auch nicht immer alles Gold war, was glänzt: in der letzten Zeit hatte ich den Eindruck, so ganz machen die Augen nicht mehr mit und auch die Hände waren mal ruhiger, als ich als Student die erste Taschenuhr hingebracht habe. Nicht, dass der Eindruck entsteht, ich wolle einen Abgesang auf die "gute alte Zeit" singen. Mein alter Meister war nett, aber auch nicht mein Freund, der auch immer darauf geachtet hat, dass er nicht zu kurz kommt - halt genau so, wie es im Handwerk sein soll.
Heute riefen sie an und teilten mit, Omega Deutschland habe die Waffen gestreckt und gesagt, sie müsse nach Biel geschickt werden. Nur die könnten sie reparieren und auch nur die könnten einen Kostenvoranschlag machen, der aber 700 Euro sicherlich nicht unterschreiten werde. Es könne aber auch gut sein, dass man da das zwei- oder dreifache aufruft. Dafür sei sie dann auch "wie neu". Was genau daran gemacht werden müsse, habe man seitens Pforzheim aber nicht mitgeteilt. Eine Kommunikation per Mail sei es gewesen. So isses halt, in der modernen Welt.
Ich habe mir bis Samstag Bedenkzeit ausgebeten, dann will ich da in Ruhe hinfahren und eine Erklärung abgeben - 55 Euro oder einen dreistelligen Betrag plus X. Tja, und nun weiss ich nicht, was ich machen soll. Sie bedeutet mir tatsächlich etwas, hat mich immerhin zehn Jahre durch mein Leben begleitet und war mir eine treue, wenn auch nicht ganz billige Begleiterin. Denn die regelmäßigen Revisionen (die ich so alle zwei, drei Jahre habe durchführen lassen) schlugen jeweils mit knapp 200 Euro zu Buche, dafür durfte ich sie aber bei meinem alten Händler zum Regulieren bringen, wenn das nötig war, und wenn ich nicht allzu oft kam, hat er es bei einem symbolischen Betrag belassen. Wenn ich (ja, okay, ich gebe zu, ich bin Beamter) meine Rechnungen durchforste, sind da in den letzten zehn Jahren mit Anschaffung, Anstoßrestauration und laufendem Betrieb knapp 1.800 Euro durch das Werk gerieselt. Das ist ja auch erstmal ne Hausnummer, und meine Frau fragt mich schon lange, wieso ich bei dem anderen mechanischen Gerät, dessen Funktionsweise wir nur theoretisch erfassen und das so einfach aussieht, aber eine erfahrene Hand bei der Reparatur verlangt - unserem Auto - gerne mal strenger als bei ihr auf den Euro schaue. Das zeige, meint sie, die gesamte Dimension meines Egoismus: denn vom Auto hätten ja schließlich wir alle vier etwas, die Uhr aber wäre nur meine. Man könnte fast von ein wenig Eifersucht sprechen, gerade mit Blick auf die Savonette, die im Moment triumphierend in meinen Westentaschen vor sich hintickert, gleichsam so, als wolle sie einen späten Sieg über meine Liebschaft herausposaunen. Und Lenin lacht in meiner Freizeit.
Als ich ihr nach dem Telefonat mein Leid klagte, hat sie (meine Frau, nicht die Savonette) ernsthaft die Frage gestellt, ob sich das lohnt. Und zwar auf eine Art, die zeigt, dass sie ernsthaft an meinem Verstand zweifele, wenn ich es mache. Ich bin kein Schamane - aber ich glaube, bei den 700 Euro (beim gegenwärtigen Kurs etwa 770 Franken) wird's nicht bleiben, das werden sie mir im Zweifel am Telefon gesagt haben, damit ich mein Ja zum Versand gebe. Sie faselten am Telefon nämlich etwas von "muss umfassend auseinander- und wieder zusammengebaut" werden, Teile müssten ob des Alters "angefertigt" werden, auch das Reizwort von der "Restauration" fiel. Angeblich hatten sie in der Email aber ja gar nicht gesagt, was genau gemacht werden muss. So ganz schlau werde ich also nicht aus dem Telefonat, und meine Nachfragen konnte der Konzi auch nicht überzeugend, sondern eher ausweichend mit "Vertrauen Sie mal ruhig, dass die in Pforzheim wissen, was sie können und was nicht" beantwortet.
Ich weiss, dass die in Biel übernatürliche Fähigkeiten haben und Untote zum Leben erwecken können, und die Ergebnisse, die man im Netz (und auch hier) von dem "Uhren-Voodoo" betrachten kann, sind atemberaubend. Aber wie neu will ich ja eigentlich gar nicht haben, die alte Dame soll zur Heilbehandlung, nicht auf die Schönheitsfarm. Wenn ich jetzt 1.500 Euro reinstecke, dann wäre das ein Betrag, der zwar weh täte, mich aber nicht nachhaltig trifft. Außer dass er die Ehe belastet. Dann bin ich aber auch bei einem Betrag, bei dem ich tatsächlich schon über eine neue in einer Qualität nachdenken kann, die der einer alten Omega aus Massenproduktionszeiten mindestens ebenbürtig, wahrscheinlich aber besser ist. Zumal es sich ja auch so verhält, dass durch den Wegfall meines Stammdealers die laufenden Kosten auch exponentiell steigen, wenn ich sie für jeden Husten, den sie hat, nach Biel schicken lassen muss.
Ich denke also ernsthaft über eine Neuanschaffung nach. Denn jede Liebe hat ihren Preis, und mehr als 1.200 will ich eigentlich nicht mehr reinstecken. Dann wären das 3000 Euro in zehn Jahren, der turning Point ist ein bisschen überschritten, und ich glaube ehrlich auch nicht, dass die Arbeit in Biel soo gut ist, dass sie nochmal neunzig Jahre ohne Standschäden durchläuft. Soo viele Hersteller, die noch Taschenuhren herstellen, gibt es ja leider nicht. Bei Tissot hören sie bei dem Preis aber im Wesentlichen auf, dafür bekomme ich alltagstaugliche highest - class Feinmechanik. Menschen, die Longines tragen, schauen bei diesem Budget andererseits wahrscheinlich immer noch mitleidig auf mich herab, ich will aber auch nicht den Gegenwert eines Kleinwagens jeden Tag durch die Gegend tragen.
Deshalb, nach viel Text, der Euch wahrscheinlich furchtbar gelangweilt hat: lohnen wird es sich nicht, das Geld in die Omega zu stecken, aber ich bin bereit, für die Liebe zu ihr auch unvernünftig zu sein. Wahnsinnig bin ich aber nicht, und ich glaube, ab 1.200 Euro fängt der Wahnsinn für die Omega (die auf eBay immer noch mit nem knappen Hunni gelistet wird) an. Wie gut sind sie in Biel denn nun wirklich? Und welche Lepine - Alternativen in diesem Budget von 1.200 bis 1.500 Euro sind Euch bekannt, die man heute noch kaufen und sich sicher sein kann, dass meine zukünftigen Erben sie in neunzig Jahren (dann bin ich 130, dann ist mir die Zeit, die kommt, so egal, dass ich kein Instrument mehr brauche, mit dem ich sie messen kann) irgendwann an einen verpickelten Berufsanfänger verkaufen können, der daran noch zehn Jahre Spaß hat?
Danke für Eure Geduld und Eure Tips.
ich bin neu hier und danke erstmal für das Vertrauen, hier schreiben zu dürfen. Erstmal zu meiner Person (Wer den langen Text nicht lesen, sondern die Frage wissen will, dem sei nur das Studium der letzten beiden Absätze anempfohlen):
Ich bin 41 Jahre alt, und trage seit zwanzig Jahren (ziemlich genau so lange, wie eBay sinnvoll nutzbar ist) ausschließlich gebrauchte Taschenuhren. Angefangen hat es, als ich als Schüler eine unangenehme Nickelallergie ausgebildet habe. Ich hatte sie wahrscheinlich schon früher, aber sie ist erstmals virulent geworden, nachdem die Plastik-Swatchuhren Weihnachten 1994 zum ersten mal gegen eine für die Verhältnisse eines 16-jährigen "richtige" Armbahnduhr von Tissot getauscht wurde. Quarz, das Stück, und eigentlich auch schön anzusehen. Doch schon an den heiligen drei Königen hatte ich einen Rothautunterarm und das Jucken war unerträglich. Für den Schenker leider ein wenig frustrierend ging es dann erst mal wieder mit Plastik weiter, bis ich irgendwann als Student die Nase davon voll hatte, immer rumzulaufen wie ein Grundschüler und deshalb (man hatte ja nicht viel) eine gebrauchte Kienzle und eine gebrauchte Junghans Taschenuhr aus den 60er / 70ern auf eBay erworben habe. Die haben mir beide gefallen, beide liefen mehr ungenau als recht, aber als Student ist Zeit etwas, das nur in Viertelstundentakten relevant ist. Ich konnte mich nicht entscheiden also habe ich sie beide gekauft und peu a peu bei einem niedergelassenen, freien Uhrmachermeister aus "altem Schrot und Korn", der die Familie schon immer betreut hat (in der Kleinstadt gibt es solche Perlen manchmal noch) warten lassen. Der hat zwar immer den Kopf geschüttelt (und konnte mir glaubhaft versichern, dass sich das bisschen Geld, was ich da reinstecke, nicht lohnt, weil er die schon verkauft hat, als sie neu waren und damals schon davon abgeraten hat), aber er hat die Preise immer meinen finanziellen Möglichkeiten angepasst, und wir waren glücklich miteinander. Im Alltag habe ich am Ende eine Molnija mit Leninkonterfei getragen, die ich Anfang der Zweitausender während eines "Auslandssemesters" als Andenken an diese Zeit bei einem Händler in Berlin gekauft habe - damals gabs die an jeder Ecke für einen Spottpreis, schade, dass die das Handtuch geworfen haben. Die hatten den Charme und die Unverwüstlichkeit eines Kolchosentraktors und für nachkriegsgeborene Kinder der westdeutschen Siebziger wie mich nach dem Fall der Mauer einen ganz eigenen "Spirit". Irgendwo zwischen MickyMaus - Uhr für Erwachsene und im Voraus geschenktem Dank für noch nicht geleistete 25 Jahre treue Dienste im System.
Irgendwann war das Studium ausstudiert, und seien wir ehrlich: wenn man einen seriösen Job ergreifen und sich dem Kapitalismus verschreiben will, dann ist das irgendwie unecht, wenn Lenin in der Hose klappert und quasi als Galeerenmeister den Takt schlägt. Zum Examen hat mir meine damalige Freundin und heutige Frau deshalb eine vergoldete Jean Marcel Savonette mit richtigem ETA 6497 (glaube ich, ich habe sie nie aufgemacht) geschenkt, die ich aber nur selten trage. Ich schätze die Geste - sie hat sie bei "unserem" Uhrmacher gekauft, und ich bin sicher, dass wir sie uns damals eigentlich nicht leisten konnten, auch wenn ich nie gefragt habe, was sie gekostet hat.
Aber sie hat sie ungefragt gekauft, und Savonette mag man, oder man mag es nicht. Ich mag es nicht so. Außerdem war es wie ein Stempel, dass ich also nun doch in der "richtigen" Welt angekommen bin, sie sah - und sieht - edel aus, aber...Ich weiß nicht, wie ich das besser beschreiben soll, was mich an ihr stört. Die Jean Marcel sieht aus wie eine Uhr, die eine Frau ihrem Mann schenkt, wenn sie ihm etwas edles schenken will. Sie will historisieren, kommt aber nicht glaubhaft rüber, in ihrem Glanz - und das gibt ihr und mir etwas affektiertes, wenn ich sie raushole. Die Welt der Affektierten sollte meine Welt sein, sie ist es aber nicht.
So ging das weiter, auch beruflich, der Wechsel zwischen diesen dreien und Jean Marcel, bis ich irgendwann vor ca. 10 Jahren auf eBay meine "Lieblingsuhr", eine Omega - Lepine mit blauen Zeigern in diesem "Art Deco" - Stil, gestoßen bin. Fotos kann ich leider nicht geben, weil sie im Moment in Pforzheim liegt, und ich weiß nicht, ob es erlaubt ist, eBay - links einzusetzen, in denen ähnliche Modelle feilgeboten werden.
Sie hat durchaus einige Macken und Patina (das Zifferblatt etwa hat in Höhe von fünf Uhr einen etwa erbsengroßen Schatten), aber sie trägt diese Narben, wie sich das für stolze Damen gehört, mit Würde und als Zeichen, dass sie die Zeiten nicht überdauert, sondern gemessen hat. Das Werk trägt eine Zahl zwischen 8.000.000 und 9.000.000, also wohl Zwischenkrieg, wenn ich das richtig perzipiert habe. Man kann sagen: sie hat sich mir ausgesucht hat und ich bin ihr ein bisschen verfallen bin. Lepine geht schnell, ist unkompliziert und haltbar und ist als Gebrauchsuhr auch viel praktischer als Savonette. Wenn man, wie ich, sowieso den ganzen Tag mit Anzug rumrennt, dann verliert Savonette auch irgendwo seinen Zweck, der ja historisch wohl im Wesentlichen darin bestand, das Glas zu schützen.
Ich weiß, dass auch die Omegas damals nicht unbedingt Luxus - Unikate waren. Aber genau das machte ihren Reiz aus: die Omega war ehrlich. Alt, aber nicht historisch, ein Arbeitstier, das nie mehr sein wollte. Ein bisschen wie ein /8 in der 200er Diesel - Ausführung. Nicht billig, sondern wertig, rennt nicht, aber kommt an. Die Molnija ohne Lenin - Konterfei und mit etwas ruhigerem Lauf. Ich und mein Uhrmachermeister fanden sie toll; er hat mir anerkennend auf die Schulter geklopft und sie nach Erwerb für knapp 500 Euro komplett überholt, wobei er nach eigenen Angaben nur "Standschäden" beseitigen musste. Mit den 100, die ich bezahlt habe, war ich zwar nicht unbedingt begeistert, aber für 600 Euro eine sinnvolle Taschenuhr, da kann man auch nichts sagen. Seither hat er sie immer in Schuss gehalten. Jetzt ist der gute Mann aber leider verstorben, und gleich als habe sie das gewusst, die alte Tante, hat sie vor drei Monaten ihren Dienst quittiert. Sie ließ sich nicht mehr aufziehen, die Krone drehte durch (Mein Gott, jetzt rede ich schon von beiden in der Vergangenheit, dabei ist ja über die Uhr noch gar keine Entscheidung gefallen).
Jetzt ist der Arzt, der sie bisher betreut hat, nicht mehr da, und zähneknirschend habe ich sie zu einem konzessionierten Betrieb gegeben, um zu fragen, was es kostet, sie reparieren zu lassen. Irgendwas muss ja passieren. Die holten einmal tief Luft und ließen mich sofort einen Vertrag unterschreiben, dass ich 55 Euro Bearbeitungsgebühr für den Kostenvoranschlag zu bezahlen habe, die mit dem Preis verrechnet werden, wenn ich sie reparieren lasse und meinten, sie müsste nach Pforzheim geschickt werden, so was könnten sie nicht. Kann ich in gewissem Maße auch verstehen, so ein Konzessionsbetrieb macht sein Geld mit Laufkundschaft und dem Verkauf neuer Uhren. Das war so edel in diesem Konzessionsladen, dass sie wahrscheinlich allein fürs Franchise mehr ausgeben müssen, als mein kleiner Meisterbetrieb hier in der Stadt an Umsatz macht. Bei dem allerdings auch nicht immer alles Gold war, was glänzt: in der letzten Zeit hatte ich den Eindruck, so ganz machen die Augen nicht mehr mit und auch die Hände waren mal ruhiger, als ich als Student die erste Taschenuhr hingebracht habe. Nicht, dass der Eindruck entsteht, ich wolle einen Abgesang auf die "gute alte Zeit" singen. Mein alter Meister war nett, aber auch nicht mein Freund, der auch immer darauf geachtet hat, dass er nicht zu kurz kommt - halt genau so, wie es im Handwerk sein soll.
Heute riefen sie an und teilten mit, Omega Deutschland habe die Waffen gestreckt und gesagt, sie müsse nach Biel geschickt werden. Nur die könnten sie reparieren und auch nur die könnten einen Kostenvoranschlag machen, der aber 700 Euro sicherlich nicht unterschreiten werde. Es könne aber auch gut sein, dass man da das zwei- oder dreifache aufruft. Dafür sei sie dann auch "wie neu". Was genau daran gemacht werden müsse, habe man seitens Pforzheim aber nicht mitgeteilt. Eine Kommunikation per Mail sei es gewesen. So isses halt, in der modernen Welt.
Ich habe mir bis Samstag Bedenkzeit ausgebeten, dann will ich da in Ruhe hinfahren und eine Erklärung abgeben - 55 Euro oder einen dreistelligen Betrag plus X. Tja, und nun weiss ich nicht, was ich machen soll. Sie bedeutet mir tatsächlich etwas, hat mich immerhin zehn Jahre durch mein Leben begleitet und war mir eine treue, wenn auch nicht ganz billige Begleiterin. Denn die regelmäßigen Revisionen (die ich so alle zwei, drei Jahre habe durchführen lassen) schlugen jeweils mit knapp 200 Euro zu Buche, dafür durfte ich sie aber bei meinem alten Händler zum Regulieren bringen, wenn das nötig war, und wenn ich nicht allzu oft kam, hat er es bei einem symbolischen Betrag belassen. Wenn ich (ja, okay, ich gebe zu, ich bin Beamter) meine Rechnungen durchforste, sind da in den letzten zehn Jahren mit Anschaffung, Anstoßrestauration und laufendem Betrieb knapp 1.800 Euro durch das Werk gerieselt. Das ist ja auch erstmal ne Hausnummer, und meine Frau fragt mich schon lange, wieso ich bei dem anderen mechanischen Gerät, dessen Funktionsweise wir nur theoretisch erfassen und das so einfach aussieht, aber eine erfahrene Hand bei der Reparatur verlangt - unserem Auto - gerne mal strenger als bei ihr auf den Euro schaue. Das zeige, meint sie, die gesamte Dimension meines Egoismus: denn vom Auto hätten ja schließlich wir alle vier etwas, die Uhr aber wäre nur meine. Man könnte fast von ein wenig Eifersucht sprechen, gerade mit Blick auf die Savonette, die im Moment triumphierend in meinen Westentaschen vor sich hintickert, gleichsam so, als wolle sie einen späten Sieg über meine Liebschaft herausposaunen. Und Lenin lacht in meiner Freizeit.
Als ich ihr nach dem Telefonat mein Leid klagte, hat sie (meine Frau, nicht die Savonette) ernsthaft die Frage gestellt, ob sich das lohnt. Und zwar auf eine Art, die zeigt, dass sie ernsthaft an meinem Verstand zweifele, wenn ich es mache. Ich bin kein Schamane - aber ich glaube, bei den 700 Euro (beim gegenwärtigen Kurs etwa 770 Franken) wird's nicht bleiben, das werden sie mir im Zweifel am Telefon gesagt haben, damit ich mein Ja zum Versand gebe. Sie faselten am Telefon nämlich etwas von "muss umfassend auseinander- und wieder zusammengebaut" werden, Teile müssten ob des Alters "angefertigt" werden, auch das Reizwort von der "Restauration" fiel. Angeblich hatten sie in der Email aber ja gar nicht gesagt, was genau gemacht werden muss. So ganz schlau werde ich also nicht aus dem Telefonat, und meine Nachfragen konnte der Konzi auch nicht überzeugend, sondern eher ausweichend mit "Vertrauen Sie mal ruhig, dass die in Pforzheim wissen, was sie können und was nicht" beantwortet.
Ich weiss, dass die in Biel übernatürliche Fähigkeiten haben und Untote zum Leben erwecken können, und die Ergebnisse, die man im Netz (und auch hier) von dem "Uhren-Voodoo" betrachten kann, sind atemberaubend. Aber wie neu will ich ja eigentlich gar nicht haben, die alte Dame soll zur Heilbehandlung, nicht auf die Schönheitsfarm. Wenn ich jetzt 1.500 Euro reinstecke, dann wäre das ein Betrag, der zwar weh täte, mich aber nicht nachhaltig trifft. Außer dass er die Ehe belastet. Dann bin ich aber auch bei einem Betrag, bei dem ich tatsächlich schon über eine neue in einer Qualität nachdenken kann, die der einer alten Omega aus Massenproduktionszeiten mindestens ebenbürtig, wahrscheinlich aber besser ist. Zumal es sich ja auch so verhält, dass durch den Wegfall meines Stammdealers die laufenden Kosten auch exponentiell steigen, wenn ich sie für jeden Husten, den sie hat, nach Biel schicken lassen muss.
Ich denke also ernsthaft über eine Neuanschaffung nach. Denn jede Liebe hat ihren Preis, und mehr als 1.200 will ich eigentlich nicht mehr reinstecken. Dann wären das 3000 Euro in zehn Jahren, der turning Point ist ein bisschen überschritten, und ich glaube ehrlich auch nicht, dass die Arbeit in Biel soo gut ist, dass sie nochmal neunzig Jahre ohne Standschäden durchläuft. Soo viele Hersteller, die noch Taschenuhren herstellen, gibt es ja leider nicht. Bei Tissot hören sie bei dem Preis aber im Wesentlichen auf, dafür bekomme ich alltagstaugliche highest - class Feinmechanik. Menschen, die Longines tragen, schauen bei diesem Budget andererseits wahrscheinlich immer noch mitleidig auf mich herab, ich will aber auch nicht den Gegenwert eines Kleinwagens jeden Tag durch die Gegend tragen.
Deshalb, nach viel Text, der Euch wahrscheinlich furchtbar gelangweilt hat: lohnen wird es sich nicht, das Geld in die Omega zu stecken, aber ich bin bereit, für die Liebe zu ihr auch unvernünftig zu sein. Wahnsinnig bin ich aber nicht, und ich glaube, ab 1.200 Euro fängt der Wahnsinn für die Omega (die auf eBay immer noch mit nem knappen Hunni gelistet wird) an. Wie gut sind sie in Biel denn nun wirklich? Und welche Lepine - Alternativen in diesem Budget von 1.200 bis 1.500 Euro sind Euch bekannt, die man heute noch kaufen und sich sicher sein kann, dass meine zukünftigen Erben sie in neunzig Jahren (dann bin ich 130, dann ist mir die Zeit, die kommt, so egal, dass ich kein Instrument mehr brauche, mit dem ich sie messen kann) irgendwann an einen verpickelten Berufsanfänger verkaufen können, der daran noch zehn Jahre Spaß hat?
Danke für Eure Geduld und Eure Tips.