Hallo Timo, eine ganz tolle Idee diesen Thread hierzu eröffnen und einen besseren Titel kanns nicht geben, vor allen Dingen in einer Zeit, wo diese Werte nicht hoch genug gehalten werden können.
Hier nochmals ein wenig Geschichtliches zur Marke LIP
Alles begann mit diesem Herrn mit Schnautzer, Emmanuel Lipmann
denn 1867 gründete er zusammen mit seinen Söhnen Ernest und Camille in Besançon, dem damaligen Zentrum der französischen Uhrenindustrie,

(Besançon um 1888)
eine Uhrmacherwerkstatt mit dem Namen „Comptoir Lipmann“.
Es kam zu ersten Uhrenfertigungen noch unter Verwendung schweizer Rohwerke.
1893 hatte das Unternehmen bereits 25 Mitarbeiter und hieß fortan „Societe Anonyme d'Horlogerie Lipmann Freres“.
In dieser Zeit produzierte man hauptsächlich Taschenuhren mit Zylinderhemmungen unter verschiedenen eingetragenen Markennamen „Gallus“, „La Nantaise“ und „Tandem“.
Aufsehen erregte das Unternehmen 1896 mit einer selbst entwickelten Stoppuhr, die schon den Namen „Lip“ trug.
Um 1900 kam es zur Entwicklung des ersten eigenen Kalibers 20 (20 stand für 20 mm Durchmesser), welches hauptsächlich in Armbanduhren Verwendung fand.
1907 erbaute man eine erste große Fabrik und 1908 erfolgte dann die offizielle Registrierung des Markennamens „Lip“.
Die Firma rührte zu dieser Zeit kräftig die Werbetrommel. Groß angelegte landesweite Werbekampagnen, führten dazu, dass die Marke Lip in aller Munde war.

(Werbung von 1909)
Qualität und Präzision stand bei Lip ganz oben und so schaffte es das Unternehmen regelmäßig Medaillen, Bulletins und Auszeichnungen beim Observatoire Besançon zu erlangen. „Chronomètre Lip“ und „Chronomètre de France“ wurden zu viel beachteten Markennamen des Unternehmens.

(Werbung von 1912)
So erhielten die Uhrwerke dieser Uhren vom Observatoire Besançon einen Viper-Kopf-Stempel als Zeichen der Chronometer- Zertifizierung.
Interessant ist, dass manche Uhrenmodelle trotz ihrer Zertifizierung keinen Chronometer-Aufdruck auf dem Zifferblatt erhielten.
Während des ersten Weltkriegs wurde auch Lip, wie viele andere Firmen angehalten hauptsächlich Zünder und Zeitmesser für das Militär zu produzieren.
Nach dem Krieg schaffte es Ernest Lipmann, wieder an die alten Produktionen anzuknüpfen und eigene Kaliber zu entwickeln.

(Werbung von 1925)
1931 erfolgte ein weiterer Generationenwechsel in der Firmenleitung. James Lipmann (Sohn von Camille), Fred Lipmann (Sohn von Ernest) und Lionel Lipmann (Sohn von Ernest) übernahmen die Geschäfte unter dem neuen Firmennamen „Lippe SA Horlogerie“ und bald darauf lancierte das Unternehmen zum größten Uhrenhersteller Frankreichs.
1934 führte Lip als erstes Unternehmen für ihre Mitarbeiter den bezahlten Urlaub ein.

(Werbung von 1936)
1936 ging Fred Lipmann mit der im Aufbau begriffenen russischen Uhrenindustrie einen Transfer-Deal französischen Know-Hows ein und verschaffte so der russischen Uhrenherstellern die Möglichkeit mit Hilfe Lips ihre Uhrenproduktion zu reformieren Uhrwerke auf Basis französischer Kaliber in gleichbleibender Qualtität herzustellen.
Es war immerhin ein Kooperation, die bis ins Jahr 1975 andauern sollte.
Als die Zeichen für einen nahenden Krieg im deutlicher wurden, gründete Fred Lipmann 1938 in Issoudun die Firma Saprolip, die sich ganz auf die Herstellung von militärischen Zeitmessern, wie Borduhren etc. konzentrierte. In dieser Zeit änderte Fred Lipmann auch seinen Nachnamen und nannte sich fortan Fred Lip.

(Fred Lip)
1940 kommt es zur Beschlagnahmung des Unternehmens Lip durch die Nazis, sodass Fred Lip und einige seiner Mitarbeiter sich in die Saprolip-Fabrik, im unbesetzten Teil Frankreichs, zurückzogen. Dort produzierte er weiterhin und unterstütze mit seinen Produkten den französischen Widerstand.
Während der Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland erlitten die Eltern von Fred und Lionel ein furchtbares Schicksal. Am 20. November 1943 wurden Camille Lipmann und seine Frau im Konvoi Nr. 62 nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.
Nach der Befreiung Frankreichs übernahm Fred Lip wieder die Kontrolle über alle Liegenschaften des Unternehmens und schaffte es bis 1945 mit 200 Mitarbeitern die Produktion auf 50.000 Uhren anzuheben.

(Werbung von 1946)
Saprolip als äußerst provitabler Zweig verhalf dem Unternehmen Investitionen in neue innovative Uhrentechniken vorzunehmen. So begann man die Forschung an elektrischen Armbanduhren wieder aufzunehmen.
1954 beschäftigte das Unternehmen 1500 Mitarbeiter und war zu jener Zeit mit Abstand größter Uhrenhersteller Frankreichs. Auch ging Lip hinsichtlich Mitarbeiter-Führung neue Wege, denn man erkannte schon früh, dass ein gutes Arbeitsumfeld die Produktivität eines jeden steigerte. So wurden die allgemeinen Arbeitszeiten verringert, Betriebsrenten für die Arbeitnehmer eingeführt und hauseigene Kindergrippen in Leben gerufen.
1958 war es dann soweit, die erste elektronische Armbanduhr aus dem Hause Lip wird zur Marktreife gebracht.
Sie nannte sich Lip „Electronic“ und wurde unter anderem von Charles de Gaulle und Dwight. D. Eisenhower getragen.

(Werbung Lip electronic)

(Eisenhower und Charles de Gaulle)
1958 steigerte das Unternehmen seine jährliche Produktion auf 500.000 Uhren und die agrressive Vertriebspolitik führte dazu, dass von 13.000 Uhrenfachhändlern in Frankreich 8.000 als offizielle Konzessionäre der Marke LIP ausgewiesen waren.

(Lip-Produktion zu jener Zeit)
Die immer stärker werdende Konkurrenz nicht zuletzt auch aus der Schweiz führte in den frühen 60er Jahren jedoch dazu, dass der Umsatz bei Lip stagnierte und Lip mit der Zeit seine fast monopolistische Machstellung in Frankreich verlor. Qualität und Präzision waren nicht mehr alleine gefragt, sondern der Preis. So waren die Konkurrenzprodukte einfach günstiger.
Der finanzielle Situation bei Lip verschlechterte sich zusehens, sodass Fred Lip 1967 genötigt war sein Unternehmen für den Kapitalmarkt zu öffnen und 33% der Aktienanteile an die schweizer Ebauche SA zu veräussern.
Fred Lip versuchte unter anderem Omega und Timex zu gewinnen in sein Unternehmen zu investieren, aber ohne Erfolg.
1970 wurde die Ebauche SA mit 43% Aktienanteil sogar zum Hauptaktionär des Unternehmens.
Im Februar 1971 nahm Fred Lip mit 65 Jahren endgültig seinen Hut und somit endete auch die über 100 Jahre währende Aera der Familie Lipmann die geschicke des Unternehmens zu lenken.
Die folgenden Jahre waren geprägt von Veränderungen im Management, Refinanzierungen und neuen Werbekampagnen. Lip schaffte es zwar 1973 ihre erste Quarzuhr auf dem Markt zu bringen, aber auch diese Innovation konnte den Niedergang des Unternehmens nicht aufhalten und es drohte im gleichen Jahr die endgültige Liquidation.
Die Gewerkschaften waren aber strikt gegen eine Schließung des Werks und es erfolgte in einen späktakulären Aktion die Besetzung der Fabrikgebäude durch die Arbeitnehmer., die großes nationales Interesse hervorrief. Selbstverwaltet, versuchte die Arbeitnehmerschaft mit Unterstützung der Gewerkschaften den Betrieb am Laufen zu halten.
Ihr Slogan war „C'est possible: on fabrique, on vend, on se paie! (Es ist möglich: Wir machen sie, wir verkaufen sie, wir zahlen uns!). Doch das französische Militär vertieb in einer brutalen Aktion die Arbeiter vom gesamten Firmengelände und hielt das Grundstück bis Februar 1974 besetzt.
Im Januar 1974 nahm der linksgerichtete Gewerkschafter und Unternehmer Claude Neuschwander die Geschicke von Lip in die Hand mit dem Versuch durch Partizipierung der Arbeitnehmerschaft am Unternehmen, dieses in eine neue Zukunft zu führen. Die Anteilseigner und auch die Politik respektive der damalige französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing waren jedoch dagegen und nutzten ihren ganzen Einfluss diese Entwicklung im Keim zu ersticken.
Neuschwander trat darauf hin 1976 zruück und am 12. September 1977 erfolgte die endgültige Liqidation des Unternehmens.
1984 übernahm die Firma Kiplé die Markenrechte von Lip, doch sechs Jahre später ging auch Kiplé in Insolvenz.
Jean-Claude-Sensemat kaufte 1990 die Markenrechte an Lip und begann mit Hilfe moderner Marketingmethoden mit der Uhrenproduktion.

(Fred Lip und Jean-Claude-Sensemat)
Schon nach kurzer Zeit stiegen die Produktionszahlen auf 1 Millionen Uhren. Auch wurde die Charles de Gaulle-Uhr wieder neu aufgelegt.
Im Jahr 2002 ging Sensemat ein globales Lizenzabkommen mit Jean-Luc Bernerd ein, der für diese Kooperation die Manufacture Générale M.G.H., mit Sitz in Lectoure ins Leben rief.
Lip-Uhren wurden nach wie vor in Frankreich designed, die Uhrenproduktion selbst erfolgte aber ausschließlich in Hong Kong.
Anfang 2014 unterzeichnete Philippe Bérard (PDG de la Société des montres bisontines (SMB)) eine Vereinbarung um LIP-Uhren wieder in Besançon zu montieren und von dort aus zu vertreiben.
Seit 2015 werden wohl auch LIP-Uhren wieder in Besançon hergestellt.
Zu guter Letzt hier mal meine erste und gleichzeitig älteste Lip
Übrigens konnte ich das Werk bis jetzt noch nicht zuordnen.
Viele Grüße Valentin