
steinhummer
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Triggerwarnung!
Die expliziten Darstellungen einer Uhr im Gebrauch könnten bei sensiblen Menschen und Personen mit PTM*-Syndrom zu körperlichen Symptomen führen. Bitte behandeln Sie den Monitor Ihres Endgeräts nicht mit Cape-Cod-Tüchern!
Die expliziten Darstellungen einer Uhr im Gebrauch könnten bei sensiblen Menschen und Personen mit PTM*-Syndrom zu körperlichen Symptomen führen. Bitte behandeln Sie den Monitor Ihres Endgeräts nicht mit Cape-Cod-Tüchern!
Meistens werden Uhrvorstellungen hier im Überschwang des Honeymoons geschrieben. Bisweilen findet sich die vermeintliche Exit-Watch einige Monate später im Marktplatz wieder, was ja auch irgendwie ein Exit ist. Die Geschichte der vorliegenden Uhr ist etwas anders gelagert...

Die Honeymoon-Phase der in Folge vorgestellten Uhr ist knapp 30 Jahre her und war bei Licht betrachtet eigentlich nie da. Um zu erklären, wie sie zu mir kam, bedarf es eines kleinen Exkurses:
Nachdem ich das Abitur mehr schlecht als recht absolviert hatte, wurde ich zum Wehrdienst eingezogen und landete in Westerburg im bekannt kalten Westerwald. Wer die früheren Schlafsäcke der Truppe (die mit der Gummihaut) noch kennt, weiß um ihre Eigenschaft als Gefrierbeutel: Im Schlafsack ist es stets rund 5 Grad kälter als außen. Nachdem die Grundausbildung mit ihren nervtötenden Märschen durchgestanden und die Spezialausbildung zum Kettenfahrzeug-Fahrer erfolgreich abgeschlossen war, sollte eine neue Penntüte her. Ich hatte den Tipp bekommen, dass es am anderen Ende Westerburgs einen kleinen Army-Shop mit guten Angeboten gebe.
Vor Ort galt es, über ausgebeinte BW-Unimog S100 zu kraxeln, um überhaupt in den schlauchförmigen Verkaufsraum von kaum zehn Quadratmeter Fläche zu kommen. Drin roch es nach Mottenkugeln und Döner, offensichtlich die Leibspeise des Ladeninhabers, der in der hintersten Ecke wie eine Skulptur von Beuys auf seinem Stuhl thronte. Der Typ war freilich nett, hatte hochwertige Extrem-Schlafsäcke der US-Army für 50 Mark im Programm und außerdem ausgemusterte Pilotenhelme mit integrierter Sonnenblende, die einen Hunderter kosteten. Als ich den Laden verließ und über die Wracks zurück zu meiner alten BMW ging, trug ich drei Kilo Daune unterm Arm und eine Pilotenmurmel auf dem Schädel.
Die erwies sich nach wenigen Ausfahrten als komplett motorrad-untauglich, weil sie riesig, bleischwer und äußerst zugig war. Gesehen hatte ich den Helm zwei Jahre zuvor erstmals bei einem XT500-Fahrer, der ihn zusätzlich mit einem Irokesen-Fellstreifen dekoriert hatte. Aber dieser Vogel bezeugte seine Liebe zu LSD auch mit Smilie-Aufklebern auf den Seitendeckeln, und die Legende ging, dass ein Trip ihn etwas aus der Bahn geworfen hatte und er seitdem im elterlichen Garten in einem Baumhaus lebte. Ich schweife ab…

Schneller Vorlauf Ende 1993: Nach Bund, einer Lehre in Köln und dem Fehlversuch eines Studiums hatte ich bei einem Mannheimer Verlag eine Stelle als Volontär bekommen. Das Gehalt war jämmerlich, aber ich konnte umsonst in einem Zimmer über den Redaktionsräumen wohnen. Nach Feierabend setzte ich mich auf meine 250er BMW und erkundete das neue Revier.
Bei einer dieser Touren landete ich zufällig an dem winzigen Mannheimer Flughafen und entdeckte einen Laden namens „Luftfahrtbedarf Friebe“. Und bei Friebes in der Auslage sah ich einen Sinn-Chronographen. Relativ schlicht und angenehm klein, jedenfalls im Vergleich zu der 142 an meinem Arm, die ich zwar seit einigen Jahren 24/7 trug, die sich aber immer einen Hauch zu groß angefühlt hatte. Und ich entdeckte noch etwas: einen großen Tisch mit zwei Dutzend Pilotenhelmen, Stückpreis: 1000 Mark!
Beim nächsten Besuch hatte ich meinen ersten Lohn in der Tasche und den Helm dabei, deutete auf den Sinn-Chrono für 900 Mark, auf meinen Helm und fragte, ob sie den in Zahlung nehmen würden. Wollten sie, und nachdem ich 300 Mark auf den Tresen geblättert hatte, stand ich draußen mit meiner neuen Uhr und wunderte mich erstmal, dass das Glas wie Plastik klang (oh Wunder) und das Werk gar nicht anlief. Nach einem Blick in die Bedienungsanleitung und einem weiteren aufs Zifferblatt war kein Zweifel mehr möglich: Diese Sinn 103B war NICHT MAL eine Automatik?! In der damaligen Zeit, jedenfalls aber in meiner eher oberflächlichen Wahrnehmung waren Automatikuhren das Ding und Handaufzug eine Antriebsart aus der Mottenkiste der Horologie. Selbst der mit 400 Mark günstige Preis konnte meine Enttäuschung über diesen Fehlgriff bei meiner ersten, selbst gekauften Uhr kaum mindern. Aber nun war der Wecker da, also würde ich ihn zumindest mal ein paar Tage probehalber tragen…
Das muss Ende 1993, Anfang 1994 gewesen sein, und aus den „paar Tagen“ wurden rund 10.000. Genau weiß ich das nicht mehr, weil Box, Papiere und Rechnung daheim vermutlich im Müll landeten, wenn ich sie überhaupt aus dem Laden mitnahm. Von Anfang an begeisterte mich, wie geschmeidig sich die Krone ent- und verschrauben ließ. Auch mochte ich das leise Sirren beim Aufziehen und das schöne Gefühl feiner Mechanik, das sich dabei in die Fingerspitzen übertrug, Klang und Haptik ähnlich einer feinverzahnten 3/8-Zoll-Knarre von Stahlwille. Und nachdem ich mir angewöhnt hatte, die Uhr morgens beim ersten Kaffee aufzuziehen, hörten auch die anfänglichen Fehlanzeigen auf, weil sie mal wieder stehengeblieben war.
Das morgendliche Ritual des Aufziehens, das dem Tag erste Struktur verleiht und jedesmal ein kleines sensorisches Highlight ist, der tolle Tragekomfort und der unprätenziöse Auftritt beförderten die zuvor geliebte 142 aufs Abstellgleis. Fortan war die 103 bei allem am Arm. Ich trug sie auf mehreren 100.000 ganzjährig absolvierten Motorradkilometern, viele davon auf der leistungsschwachen, aber vibrationsstarken BMW R25. Ich trug sie während unzähliger Mountainbike-Touren und Radfahrten, auch das weit mehr als 50.000 Kilometer. Ich trug sie beim Trekking in den bolivianischen Anden und beim Segeln vor Elba. Ich trug sie beim Schrauben und Schreiben. Ich trug sie, als ich meine heutige Frau kennenlernte und bei der Hochzeit. Sie war am Arm, als wir unser Kind zeugten, und als es auf die Welt kam, stoppte ich Wehen mit ihr. Auf der Tourist Trophy der Isle of Man maß sie Rundenzeiten von Joey Dunlop, und bei der Sanierung unseres alten Fachwerkhauses saute ich sie mit Zement und Baustaub ein. Wenn ich in den Rhein oder das Mittelmeer sprang, verschwendete ich keinen Gedanken an ihre niemals zwischendrin getestete Wasserdichtigkeit. Und trotz der wirklich harten Beanspruchung lief sie wie ein Glöckchen und „didn`t miss a single beat“, wie der Brite sagen würde.
Irgendwann um die Jahrtausendwende brachte ich sie persönlich zu Sinn ins Füldchen zwecks Revision; aus anfänglicher Unterwältigung war längst Liebe geworden und der Gedanke unerträglich, sie könnte auf dem Postweg verloren gehen. Leider fiel zwei Wochen nach Abholung die Krone heraus, also noch mal hin. Und danach lief sie wie immer weiter, im Schnitt wie schon zuvor mit 3-4 Sekunden ins Plus auf 24 Stunden. Einige Zeit später fiel sie mir bei einer Radtour in den Rheinauen während einer Pause plötzlich vom Arm und zum Glück in die Wiese. Bei näherer Betrachtung wurde mir klar, dass das Wabenband seine beste Zeit hinter sich hatte und meiner Beanspruchung nicht mehr gewachsen war. Mangels Kohle für ein neues Exemplar in Stahl kaufte ich ein gebrauchtes Sinn-Silikonband mit Gehäuseintegration und großer Faltschließe, das die nächsten Jahre anstandslos seinen Dienst verrichtete.
Etwa 2015 gab ich sie erneut zur Revision bei einem Mainzer Juwelier ab. Kurz zuvor war meine erste Taucheruhr zu mir gekommen, die unvermeidliche Citizen Promaster, und obwohl mir deren Design nicht wirklich gut gefiel, war sie fortan häufiger am Arm und die 103 bekam längere Ruhepausen. Wenig später war das Haus zu größeren Teilen abbezahlt und die Lust und das Spielgeld für einen „schönen“ Diver da. Es begann eine Phase unwürdiger Flipperei: Auf die Promaster folgte eine Turtle, auf die eine eigentlich tolle Squale folgte, die wiederum von einer Sinn 104 verdrängt wurde, welche eine U1 ablöste, die mir aber zu groß war und durch einen EZM3 ersetzt wurde. In jene Zeit fiel auch die Anmeldung in dieser Anstalt, was der Flipperei zusätzlichen Vorschub verlieh…
Immerhin nutzte ich die Zeit, um die öfter ungetragene 103 ihrer dritten Überholung zukommen zu lassen, diesmal von Robin Israel (www.uhrenkunde.de). Dabei verabredete ich mit ihm, die immer noch strahlend weißen, aber nicht mehr nachleuchtenden Zeiger mit getönter Lume neu zu belegen, sodass sie optisch zum schön gealterten Tritium-Zifferblatt (ohne „T“-Markierung) passen, aber wieder leuchten würden. Außerdem bat ich um den Wechsel des immer noch originalen Glases, das in der Wölbung am Rand eine rund 0,5 mm tiefe Schramme aufwies, was mir Sorgen in puncto Dichtigkeit bereitete. Als ich die Uhr abholte, erklärte mir Robin, er habe die Schmarre aus dem Plexi herauspoliert und ich solle mir keine Sorgen machen, das Material sei mehrere Millimeter dick.
Wieder daheim, fiel mir plötzlich das Feinglieder-Stahlband ein, das von der 104 übrig geblieben war. Und siehe da, mit 103er Endlinks, die es bei Sinn für kleines Geld gab, passte das Band ziemlich perfekt an die 103 und gab der Uhr plötzlich einen leicht brusthaarigen 70er-Jahre-Swag. Wenig später ließ ich bei Robin die Endlinks geringfügig aufbohren, sodass nun Omega-Federstege durchpassen, in die ich mehr Vertrauen habe als in die recht dünnen Sinn-Stege.
Auch wenn inzwischen noch 2-3 ganz nette Uhren dazugekommen sind, die 103B bleibt die Nummer 1, auch in Sachen Tragezeit. Das liegt am eingangs erwähnten Tragekomfort und der Freude des Handaufzugs. Das liegt am inzwischen leicht gelblichen Plexi, das am Rand wunderbare Zerrbilder kreiert. Das liegt an der schönen Patina von Zifferblatt und Zeiger, die nun wieder eine optische Einheit bilden und dennoch nachts die Zeit anzeigen, was mir bei einer Alltagsuhr wichtig ist. Und das liegt an der unglaublichen Zähigkeit der 103. Als morgendlichem Grobmotoriker entgleiten mir bisweilen Uhren beim Anlegen und klatschen auf den Badezimmerboden. Egal ob Seiko, Sinn 104 oder EZM3, alle konnte ich nach so einer Aktion jeweils zur Reparatur bringen. Die 103B ist mindestens schon ein halbes Dutzend Mal auf den Fliesen gelandet und hat nicht mal gezuckt, was ich technisch auf das Fehlen des schweren Aufzugsgewichts zurückführe. Sie ist gewissermaßen eine mechanische G-Shock. Und damit die Uhr, die perfekt zu meinem Leben passt.
Abschließend ein paar kurze, teils sicher auch verkürzte Worte zur Historie der Uhr. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs lieferte zunächst Hanhart Fliegerchronos an die französische Luftwaffe sowie die Marineflieger der Aéronautique navale, kurz Aéronavale. Mitte der Fünfziger schrieb das Beschaffungswesen der Marine Nationale einen Fliegerchrono nach genau festgelegten, von der Hanhart inspirierten Spezifikationen aus – die Geburtsstunde der Type XX. Wobei besagter „Typ 20“ eine Art Auftrags- oder Versorgungsnummer darstellt und nicht etwa eine Typbezeichnung von Breguet. Weil der Bedarf groß und nicht nur von einem Hersteller zu stemmen war, wurden mehrere Firmen beauftragt wie Dodane, Vixa, Airain, Auricoste und Mathey Tissot.

1961 gründete der ehemalige Blindfluglehrer und aktive Pilot Helmut Sinn die Firma Sinn Spezialuhren. Laut der hervorragenden Webseite von Michele Tripi (www.vintage-sinn-collector.de) nahm Sinn kurz darauf Kontakt mit Mathey Tissot auf und orderte mit seinem Namen gelabelte Type XX, die er als Modell 103 verkaufte. Die 103 ist also eins der frühesten Modelle in der Sinn-Historie, wenn nicht das erste. Später wechselte der „schnelle Helmut“ (der privat auch Rallyes fuhr) mehrfach die Anbieter. Bemerkenswert ist jedoch, dass er schon der früh hohen Wert auf eine alltagstaugliche Wasserdichtigkeit legte, während viele namhafte Mitbewerber offenbar noch (und teils bis heute) der Meinung zu sein scheinen, wenn ein Pilot im Wasser liege, brauche er die Uhr eh nicht mehr. Wo genau meine Uhr entstand, kann ich nicht sagen. Das Zifferblatt behauptet jedenfalls „Swiss Made“.
Danke für Eure Aufmerksamkeit.
Pitt
Daten (gemessen)
Durchmesser/mit Krone 41/44,5 mm
Höhe gesamt/davon Plexi 14,5/2,5 mm („gefühlte“ Höhe ca. 12 mm, da man das Plexi nicht wahrnimmt)
L2L 47 mm
Breite Band Anstoß/Schließe 20/18 mm
Gehäuse Edelstahl, Drücker unverschraubt, beidseitig drehbare Aluminium-Lünette mit Countdown-Teilung und nachleuchtender Markierung bei 12 Uhr (hier „entfallen“)
Werk Valjoux 7760 (17 Steine), 28.800 bph
Weitere Ergüsse von mir:
Vom kalten Krieger zum Glücksbringer: Vostok Komandierskie der Handelsmarine
Friede sei mit Dir - und mit Deinem Geiste: Sinn EZM 3
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