
Brambilla
Themenstarter
Würde jemand hier «Was ist eine Ikone?» in den Uhrwald rufen, so bekäme er schnell und mehrstimmig die Antworten: AP Royal Oak, IWC Ingenieur, Rolex Submariner, Omega Speedmaster, Zenith El Primero, JLC Reverso, Cartier Santos.
Alle diese Antworten sind natürlich richtig (und ein, zwei weitere sicher auch noch). Die genannten Uhren haben in ihrem Segment und in ihrer Zeit hinsichtlich Design und Technik Standards gesetzt. Diese Zwiebeln verkörpern nicht nur die jeweilige - von Zeit, Anwendungsprofil und Kultur bestimmte - Vorstellung einer idealen und gewissermassen perfekten Armbanduhr. Diese Leuchtturm-Uhren waren stilprägend und die von diesen Uhren ausgehenden Botschaften haben wir Uhrenliebhaber nur zu gut verstanden. Diese Ikonen sagen uns, was uns erwartet (oder zumindest was wir erwarten könnten), wenn wir sie tragen. Der Markterfolg dieser horologischen Meisterwerke ist für uns zugleich der empirische Beweis, dass sie ihre Versprechen auch halten können. Wir wissen, wer wir sind, wenn wir sie tragen.
Wenn wir uns ausmalen, wir besässen beispielsweise eine IWC Ingenieur, dann sind wir, Homo Faber gleich, rational und mit beiden Füssen am Boden und jede noch so komplexe Herausforderung zwingt uns allenfalls ein müdes Lächeln ab. Kommen wir hingegen von der samstäglichen Falkenjagd zurück und entsteigen dem Range Rover, so sehen wir die JLC Reverso an unserem Handgelenk. Stehen wir jedoch an der Strandbar und schlürfen unseren Campari, die Haare noch nass vom letzten Klippensprung ins Meer, so schielen wir auf die Submariner des Barkeepers und fragen uns, ob es tatsächlich klug war, die Citizen mit in den Urlaub genommen und die Rolli zu Hause gelassen zu haben.
Ich besitze keine dieser genannten sexy Uhren und zu den gerade gemachten Werbebildern habe ich, wie wir alle, ein differenziertes Verhältnis. Natürlich!
Dennoch nenne ich eine der interessantesten Armbanduhren der gesamten Uhren-Geschichte mein Eigen: die Rado Diastar. Und damit wir das gleich hinter uns haben: diese Uhr ist keine «schöne» Uhr, die Begehrlichkeiten und Sehnsüchte weckt wie die Luxusfabrikate. Ich selber fand die Diastar von Rado eigentlich immer nur hässlich; erst nach langen Jahren des Naserümpfens sehe ich die Uhr nun mit anderen Augen.
Die Rado Diastar kam 1962 auf den Markt, ein Jahr nach dem Jaguar E-Type und sieben Jahre nach dem Citroen DS. Und wie die Raubkatze oder die Göttliche war die Rado eine eigentliche Sensation. Mit der Diastar vollzog sich ein «Techniksprung» sowie ein «Designruck» bei den Armbanduhren. Die Innovationen der Diastar hallen bis heute nach. Und ob einem nun die Uhr gefällt oder nicht; die Rado Diastar gab als erste Armbanduhr nachhaltige Antworten auf Fragen nach neuen Materialien und dem Wunsch nach einer unverwüstlichen Uhr.
Dieses Gütesiegel verhiess Qualität: Rado war gerade in den asiatischen und arabischen Ländern sehr stark, wo es keine breite Auswahl an Mittelklasse-Armbanduhren gab. Vom bisherigen Erfolg der Produkte bestätigt, suchte der Dr. Lüthi noch einen richtigen Kracher.
Der Legende nach begann alles damit, dass sich der Rado Chefdesigner stets darüber geärgert haben soll, dass Gold- und Stahluhren zu Beginn zwar schön aussehen, aber schon nach kurzer Tragezeit Kratzer im Gehäuse und auf dem Glas bekamen. Wolfram- und Titankarbid als Hartmetalle waren damals schon bekannt, wurden aber fast ausnahmslos in hochtechnologischen Geräten verbaut. Der Wunsch des Chefdesigners, eine Uhr aus Hartmetall zu kreieren, gefiel dem damaligen Chef von Rado; die Diastar war geboren.
Die Gehäuse wurden mit rund 1000 bar gepresst und bei über 1400° C in die endgültige Form komprimiert. Wir sprechen hier von einer Armbanduhr und von 1962! Eine unglaubliche Innovation zu dieser Zeit. Man kann diese Werkstoff-Behandlung aus heutiger Sicht nicht genug hoch einschätzen, eine richtige Revolution und wegweisend für viele später auftretenden Firmen.
Als erste «scratch-proof» Uhr wurde die Diastar in einer Zeit beworben, in der der Kunde bislang zwischen Stahl und Edelmetall und zwischen einer strapazierfähigen Sportuhr oder einem eher formalen Dresser zu wählen hatte. Strapazierfähigkeit war bis dato die Sache der Sportuhren. Nun gab es erstmals Widerstandsfähigkeit mit Bling. Eine Kompetenz, die Rado auch heute noch als “Material-Meister” in der Uhrenindustrie besitzt, beispielsweise mit den sogenannten «Hightech-Keramik» Modellen.
Richtig «kratzssicher», wie es die Werbung suggerierte, ist die Diastar aber nicht, eher ist sie «sehr kratzfest». Nach der Härteskala von Mohs hat Wolframkarbid einen Grad von 8, Edelstahl liegt bei etwa 5. Die Abstufungen der Mohs-Skala sind übrigens nicht linear zu verstehen. Diamant mit dem Härtegrad 10 ist rund 40 mal härter als Saphir, der den zweithöchsten Härtegrad von 9 aufweist. Die Härte eines solchen Radogehäuses ist also nicht zwei- oder dreimal höher als der eines Stahlgehäuses, sondern um ein Vielfaches. Aber selbstverständlich kann auch das Hartmetall zerkratzen oder brechen. Der «grösste Feind» dieser glänzenden Gehäuse sind allerdings die Fingerabdrücke.
Das Gehäuse der Rado erinnert etwas an einen Schildkrötenpanzer; diese Form ist einerseits geeignet, möglichst wenig anzuecken und damit Kratzer zu provozieren. Andererseits erlangte das Gehäuse aufgrund des Herstellungsprozesses ohnehin eine Art UFO-Form, denn eine Hartmetall-Bearbeitung mit Kanten und Übergänge war offensichtlich, zumindest in den Anfängen, nicht möglich. Jedenfalls ist das ovale Gehäuse der Diastar zu einem Erkennungsmerkmal geworden.Dass diese Gehäuseform auch von anderen Firmen in den 60er und 70er Jahre kopiert wurde, hatte wohl mehr mit der Strahlkraft dieser Uhr als mit tatsächlicher Geschmackssicherheit zu tun.
Für den Grossteil der Kundschaft, welcher vielleicht gar nicht so Uhrenaffin ist, wie wir uns das gerne vorstellen, war eine fast kratzfeste Uhr ein mehr als ausreichender Grund für einen Kauf. Der wirtschaftliche Erfolg gab Rado jedenfalls recht und selbst die Quarzkrise änderte daran nichts. Als Hayek von den Banken die Mehrheit am Uhrenkonzern ASUAG-SSIH übernahm und daraus die SMH machte, war Rado die einzige Traditionsmarke innerhalb des Konglomerates, welche nie Verluste einfuhr. Im November 1985, zwei Monate nach der Übernahme, lud Hayek zur ersten Pressekonferenz der SMH in Biel und orientierte die Öffentlichkeit über die künftigen Pläne der Gruppe. Es standen Umbauten und grosse Veränderungen an, für zwei Marken allerdings konnte nur Positives berichtet werden: für die damals noch junge Swatch und eben für Rado.
Ein klein wenig Zeit brauchte die Uhr nach ihrer Vorstellung 1962 noch, aber schon ein, zwei Jahre darauf wurde sie ein Beststeller und das erfolgreichste Produkt von Rado. Die Diastar-Varianten haben intern Nummern, wobei die Diastar 1 die erste Generation mit dem ovalen UFO-Gehäuse darstellt, von denen bis Mitte der 1980er Jahre ca. 1.5 Millionen Stück verkauft wurden. Die Diastar 2 ist klassisch rund, die Nummer 10 war die erste eckige Diastar. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass es 50 «Diastar-Nummern» geben soll.
Noch heute bietet Rado die «Ur-Diastar» mit den originalen Abmessungen an; in verschiedenen Blattvarianten, mechanisch oder als Quarz. In der Automatik-Version kostet sie ca. 1’000 CHF. Für eine lebende Legende scheint mir das durchaus angemessen.
Quelle: Rado.com
Aber nicht nur das Gehäuse machte die Diastar «scratch-proof»; erstmals wurde in einem Volumenmodell das Zifferblatt durch ein Saphirglas geschützt. Erst mit der Royal Oak, die 10 Jahre später auf den Markt kam, wurde Saphirglas so langsam zum Standard bei den guten Uhren. Rolex liess sich nochmals etwas mehr Zeit und rüstete seine Uhren Ende der 70er und ab den 80ern mit synthetischem Saphir aus.
Was meine Diastar betrifft, so handelt sich hierbei um das Modell 8/1. Diese Modellreihe wurde zwischen 1967 und den frühen 70er Jahre hergestellt. Aufgrund der Gravur auf dem Werk (ETA 2789, bei Rado als 2798 geführt) gehe ich davon aus, dass diese Uhr im April 1973 (304) die Werkhallen in Lengnau verlies.
Das Modell hier hat ein, zwei Besonderheiten. Zunächst einmal ein längs facettiertes Saphirglas. Dadurch wird das ohnehin schon sehr dreidimensionale Blatt noch etwas lebendiger.
Die schwebenden Indexe gab es bei vielen Diastar Modellen, die etwas wild gezeichnete Zifferblattoberfläche, die wie von Hand gemalt scheint, war wiederum eher selten anzutreffen.
Völlig zeitgemäss ist auch das original Nivovit SA (NSA) Stahlband. Diese Bänder sind eine Klasse für sich, einfach zu kürzen und zum Tragen äusserst komfortabel.
Zum Schluss die technischen Daten:
Ref./Modell: Diastar 8/1
Werk: Rado 2798 (ETA 2789)
Gehäuse aus Wolframkarbid, Bodendeckel aus Stahl
Durchmesser ohne Krone: 35 mm
Höhe: 11 mm
Saphirglas
Boden verschraubt
Wasserdichtigkeit: 100 m
Stahlband, NSA (Nivovit SA)
Faltschliesse mit Rado-Logo
Herstellungsjahr: April 1973
Zuletzt bearbeitet: