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[Hinweis: Diese (Uhren-)Vorstellung enthält große Mengen (Selbst-)Ironie und bedient sich massivst des Stilmittels der Hyperbel. Wenn euch ein Satz ganz und gar seltsam vorkommt, lest ihn bitte noch einmal mit sarkastischem Unterton. Wenn er dann noch immer blöd klingt, liegt’s an mir.]

Liebe Nutzer des Uhrforums,
Warum Uhren? Warum ist eine so große Anzahl Menschen für einen so überflüssigen wie allgegenwärtigen Gegenstand zu begeistern, dass Millionen von Beiträgen zusammen kommen, man hochemotional diskutiert und sich manchmal für Stunden am Stück verlieren kann und seine Freizeit mit dem Lesen von Wortmeldungen wildfremder Leute verbringt.
Mit dieser Geschichte möchte ich meine ganz persönliche Antwort auf dieser Frage finden, und mich zugleich erstmals hier zu Wort melden. Nach beinah 3 Jahren Mitgliedschaft könnte man auch sagen, es ist an der Zeit.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich auf dieses Forum gestoßen bin, und wie es passiert ist. Es muss weit über drei Jahre her sein. Und natürlich hat mich das, was man hier gemeinhin das „Virus“ nennt direkt erwischt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade mein erstes richtiges Geld als Doktorand im Bereich der umweltorientierten Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen in Schweden verdient, aber natürlich erschienen mir irgendwelche größeren Investitionen in stählernen Unterarmbehang als vollkommen absurd. Und so verging die Zeit. Irgendwann habe ich meine erste mechanische Uhr erworben – die „Bauhaus Rodina“, natürlich hier entdeckt. Aber mit solchen Uhren verhält es sich wohl ähnlich wie mit Chips und ähnlichem Fettgebäck – warum nach einem aufhören? Das limbische System gerät in vollen Schwung – gut das bleibt vielleicht nicht die letzte leichte Übertreibung dieses Aufsatzes.

Und da die Selbstkontrolle bis auf weiteres obsiegte kam so langsam, was kommen muss. Während man sich so kontrolliert kommt ja das Gefühl auf, man würde sparen – der gleiche Effekt ist regelmäßig bei Schlussverkäufen zu beobachten und auch nach elf gemeinsamen Jahren kann ich meine Frau nicht davon überzeugen, dass im spontanen Geldausgeben niemals eine Ersparnis liegen kann. Sei’s drum, auch in mir stiegen Wunsch und Interesse nach Größerem auf, und mit der Zeit wachsen ja die Möglichkeiten, so man seine Kronen (das Geld, nicht die Uhren) zusammenhält. So vergeht weiter die Zeit, und so liest und liest man im Uhrforum. In der Regel täglich.
Der Geist, der durch den Kopf spukt wandelt sich, nimmt wechselnde Formen an, aber eines wird klarer: Es soll etwas werden, was das Innere nach außen kehrt. Etwas Besonderes, das jedem Fremden mit nur einem Vorblinken unter der Hemdmanschette sagt: „So ein Mensch ist das.“

Selbstverständlich ist diese Vorstellung, einem Dritten durch an die obere Extremität fixiertes Metall die eigene Persönlichkeit zu vergegenwärtigen an sämtlichen Fronten absurd, schon dadurch, dass ich maximal 10 Tage im Jahr überhaupt Hemd trage. Und welche Uhr unter dem 7 Jahre alten Fleecepulli hervorlugt, ist am Ende wohl ganz und gar gleichgültig. Doch egal, die Uhr soll etwas aussagen, wie auch sonst soll man sich zu einer völlig abwegigen Entscheidung hinreißen lassen (und auch die Frau überzeugen), dass die Anschaffung eines technisch minderwertigen Gegenstandes zum hundertfachen des Preises meiner in Yangon erworbenen Casio A500WEA-1EF geradezu unumgänglich, wenn nicht absolut unvermeidlich ist. Das Stück hochlegierten Eisens muss also mit Bedeutung aufgeladen werden, dass die Schwarte kracht. Das Ziel ist klar: Der Mensch als Uhr.

Und da beginnt ein ganz neuer Prozess, der tatsächlich mit Selbstfindung anfängt. Und da erkennt man sich zuerst als Maschinenbauingenieur – eine Inge also? Schnell wird klar, eher nicht. Gut, Abenteuer, Reisen, Offenheit für Neues, ob nun Mensch, Land, Kontinent – eine Explorer? Für’s schmale Ärmchen dann schon 36mm – ganz klar. Aber als Öko, Fairtradeklamottenträger, als stolzer Nicht-Auto-Besitzer-aber-gerne-mal-Mieter-und-sonst-Radfahrer, da war das Spiegelbild schon arg verzerrt. Das wollte nicht passen, das konnte nicht gehen. Aber Forscher, oder? Die JLC Geophysic True Second, mit superdezentquarzigem Tickzeiger, das ist es doch – superöko dezent und unangepasst, abenteuerlustig und ultrawissenschaftlermäßig. Aber halt auch teuer – und dann, der Unterhalt. Die Vorstellung, das Leben lang weiter für die Funktion des bedeutungsschwangeren Blechbündels zahlen zu müssen, und dafür regelmäßig in mir sonst gänzlich fremden Geschäften vorstellig zu werden – ein Graus. Mancher hier wird mir nun fehlenden Mumm, mangelndes Selbstbewusstsein oder Schneeflockigkeit vorwerfen – es sei ihr/m unbenommen.

Inzwischen schreiben wir Dezember 2015 und mein Beruf hat mich zum ersten Mal nach Japan verschlagen. Zu meinem Rückblickend sehr großen Glück konnte mich meine Freundin dorthin begleiten und die Gelegenheit war perfekt, nach fast 10 Jahren nun endlich mal mehr als nur „Freundin“ anzupeilen. Am selben Tag und am selben Ort dieses Ereignisses ist das Titelfoto dieser Vorstellung aufgenommen worden. Als Erinnerung gab es auf der gleichen Reise eine Uhr, erworben bei meinem neuen Stamm-Konzi (sic!), Bic Camera Yurakucho. Aus gleichem Hause wie das hier gezeigte Zeiteisen, werde ich ihr bei Gelegenheit auch noch eine Vorstellung angedeihen lassen. Nun stand ja eine Heirat an, da rücken weitere Investitionen in den geradezu verzweifelten Wunsch, sich das Selbst aufs Handgelenk zu pappen, in den Hintergrund. Aber kein Grund, nicht weiter zu suchen.

Nun war klar, man will etwas langlebiges, wartungsarm oder –frei und trotzdem so voller Herz und Emotion. Nach dem kurzen Besuch in Japan war die Faszination für das Land und seine Menschen geweckt, die emotionale Bindung durch die Verlobung stark, und dass einer meiner engsten und von mir sehr respektierten Arbeitskollegen Japaner ist, hat die Sache noch klarer gemacht. Da man sich selbst gern als von der Ratio getrieben sieht, der auf turbulentem Flug die Frau gern mit Statistiken beruhigt und Lotto spielen für eine ganz unerhörte Dämlichkeit hält, da passen die nüchternen, auf Funktion ausgelegten Japaner doch tippitoppi ins Bild. Darüber, dass für diese Beschreibung wahrscheinlich die o.g. Casio am passendsten ist, denken wir halt einfach nicht nach. Es ist also klar: Die Uhr soll einmal sekündlich ticken, sie soll hochwertig sein, sie soll alle oben genannten wirklichen oder durch jahrelange Autosuggestion eingebildeten Eigenschaften in sich vereinen, und sie soll in Japan geboren und von seidenhändischen Edelarbeitsverrichtern auf Hochglanz gestreichelt sein – kurz: Grand Seiko oder The Citizen.

Zuerst fällt also der Blick auf die Ingenieursuhr von GS: SBGX093. Amagnetisch … Man könnte denken, hier wäre die Geschichte vorbei (mancher wünscht es sich vielleicht), aber weit gefehlt! Der Blick schweift weiter, und er findet „The Citizen“. Was für ein Volltreffer! Ein solarbetriebener Zeitanzeiger, eine Art Perpetuum Mobile für den Handknöchelbereich – mit ewigem Kalender und reisefreundlicher Verstellmöglichkeit des Stundenzeigers ohne die Uhr selbst anhalten zu müssen. Bei +/-5 Sekunden pro Jahr dürfte man das Gerät, gelegentliche Exposition zum nächstgelegenen Stern vorausgesetzt, vielleicht über Jahrzehnte nicht anhalten müssen. Im Oktober war es dann so weit, auf Hochzeit folgt Hochzeitsreise, und Japan war das Ziel. Noch dazu habe ich diesen Sommer das dritte Lebensjahrzehnt vollendet, an Anlässen zum bedeutungsschwangeren Aufladen meines künftigen Armschmucks finden sich also en masse.

Nun, in den ersten Reisetagen geht es in einen der monströsen Elektronikgeschäfte und das Angebot wird in Augenschein genommen. Der erste Weg geht zu den Auslagen der Citizen Edelmodelle. Die beiden Objekte der Begierde waren vorhanden, die AQ-4020 mit dem Blatt aus handgeschöpftem japanischen Papier, sowie die hier im Forum bereits vorgestellte, elektronisch dekadente AQ-1040. So wurden beide Uhren, augenscheinlich sorgfältig in Frischhaltefolie gewickelt, angelegt und Wristshots gemacht. Das Gefühl: Gut, passten erstaunlicherweise beide ganz okay, obwohl ich mit sicher war, dass die 1040 mir am Kinderarm zu groß wäre. Tolle Uhren, aber das Megaknallergefühl wollte sich nicht einstellen. Hm. Ab in die Grand Seiko Zone. Nach sehr kurzer Zeit hatte ich das Objekt der Begierde gefunden, die jetzt mit großem Grand Seiko Logo versehene und ca. 100 Euro teurere SBGX293. An den Arm gebammelt und WOW! Das ist also dieses besondere Gefühl, das hier so oft beschrieben wird. Bilder gemacht und ab zur Frau, die in dieser Zeit in den Luxusmassagesesseln entspannt hat bis zum Anschlag, die diese Tempel der elektronischen Glückseligkeit in allen Farben und Formen zum exzessiven probieren vorhalten. Die Bilder gezeigt. Die dunkle Citizen: „Okay“. Die weiße: „Um Gottes Willen nein! Viel zu förmlich!“ Die Seiko: „Von den dreien die Beste.“ Begeisterung klingt anders, man wird also sehen. Erstmal geht die Reise weiter.

Über die Zeit der Reise habe ich also wirklich fast jeden Bic Camera oder Yodobashi, der sich so anbot, mitgenommen, um zu probieren. Und so wurde es immer klarer. Die Citizen: Bessere Funktionen, durch Solar doch so gut zu mir als Ökostromverbraucher passend, am Arm doch ganz schick, wenn auch etwas überdimensioniert… Aber das Gefühl...: „Mit deinem Gefühl stimmt was nicht.“ „Mit meinem Gefühl stimmt was nicht?!“. Exakt. Aber bei der Seiko. Da schlägt das Herz. Und so ist es dann letztlich soweit, dass die Entscheidung fällt. Es wird die SBGX293, und gekauft wird sie im Bic Camera Yurakucho, so wie auch schon beinahe zwei Jahre vorher meine Automatikseiko. Und so geht man hin, zeigt auf die Uhr, geht zur Sicherheit die Spitfire73’sche Kontrollliste beim Uhrenneukauf durch, und zahlt daraufhin mit Karte. Es werden 4 Glieder des Armbandes entfernt, damit die Uhr an 16,5cm HGU halt findet, und natürlich wird die ganze Chose mit japanischer Präzision und Ruhe eingebeutelt. Immer wieder fällt mir in diesen Momenten Rowan Atkinson in „Tatsächlich Liebe“ ein. Sie hätten dafür einen Japaner casten sollen.

Und da ist sie nun, und im Hotel angekommen und die Uhr angelegt geschieht das schier unglaubliche: Meine Ehefrau blickt mir versonnen aufs handgelenkfixierte Geschmeide und sagt doch tatsächlich: „Eine tolle Uhr hast du dir gekauft!“ Und so wird der Himmel weit, ein Chor erklingt und Trompeten erschallen, denn das Unmögliche, das Undenkbare, ist geschehen. Und damit ist die Quadratur des Kreises perfekt, denn was kann den Menschen als Uhr wahrer machen als dass die wichtigste Person auf dieser Welt ihr Wohlgefallen über die vollkommene Absurdität, die der Kauf dieses Artikels darstellt, äußert. Und damit ist es meine Uhr, auf die ich so gerne schaue, die im Licht funkelt und im Dunkeln gut zu erkennen ist, die vor sich hin tickt, dass es schier unhörbar ist und deren Sekundenzeiger mit einer Selbstsicherheit und Klarheit seine Bahn zieht, nach der ich selbst sicher noch lange suchen werde. Und perfekt ist sie letztlich nicht, das hat ja auch keiner erwartet und würde der Idee des Menschen als Uhr ja auch diametral gegenüberstehen. So oft schaue ich auf sie, in der Hoffnung, dass sie mir das aktuelle Datum zeigt, und jedes Mal werde ich enttäuscht. Doch dann freue ich mich an ihrer Symmetrie und ihrer Klarheit. Und natürlich trägt sie schon jetzt, nach knapp zwei Monaten, Spuren ihres kurzen Lebens an Band und Gehäuse, aber genau so war das ja am Ende gedacht.
Was soll ich weiter vom Tragegefühl und ähnlichem schwadronieren – die Uhr ist flach und daher sehr angenehm am Arm, und trotz mangelnder Feineinstellung habe ich einen guten, für mich passenden Kompromiss bei der Bandlänge gefunden. Dafür sieht das Band mit der GS Schließe halt einfach totschick aus, da nehme ich Abzüge in der B-Note in Kauf. Der Sekundenzeiger trifft die Indizes exakt, außer zwischen 4 und 6 Uhr, wo auch nach sehr exaktem optischen Parallaxeausgleich nur eine Überdeckung von ca. 95% erreicht wird. Ich sag mal so: Das guckt sich weg, bei normalem Uhrenableseabstand bin ich nicht in der Lage, das zu erkennen. Alle weiteren optischen Eigenschaften werden hoffentlich auf meinen Bildern deutlich, ansonsten kostet Nachfragen rein gar nichts und ich freue mich natürlich darauf, hier Rede und Antwort zu stehen.

Nun, allen, die es bis hierhin geschafft haben möchte ich danken und euch zu eurer Hartnäckigkeit beglückwünschen. Ich hoffe, dass euch meine Geschichte und die meiner Armbanduhr gefallen hat, und dass sie euch ein bisschen vor der Zerstreuung und Unterhaltung geben konnte, die ich hier in diesem Forum in den vergangenen Jahren so oft erfahren habe.

Natürlich kenne ich die Regeln, und deshalb kommen hier noch die technischen Kennzahlen zum Zeitanzeiger.
Grand Seiko SBGX293, nur in Japan erhältliches Modell mit Quartzwerk, amagnetisch bis 40000 A/m oder ca. 500 Gauß.
Durchmesser 38,9mm
Höhe 10,5mm
Lug to lug ca. 47mm (mit Geodreieck gemessen)
Werk 9F61-0AD0, Genauigkeit +/- 10 Sekunden/Jahr
Gehäuse und Armband aus Edelstahl mit Schließe ohne Feineinstellung (zwei halbe Bandglieder)
Stunde, Minute, zentrale Sekunde.


Nochmals vielen Dank fürs Lesen!
Viele liebe Grüße und alles Gute wünscht euch
Johannes.


Liebe Nutzer des Uhrforums,
Warum Uhren? Warum ist eine so große Anzahl Menschen für einen so überflüssigen wie allgegenwärtigen Gegenstand zu begeistern, dass Millionen von Beiträgen zusammen kommen, man hochemotional diskutiert und sich manchmal für Stunden am Stück verlieren kann und seine Freizeit mit dem Lesen von Wortmeldungen wildfremder Leute verbringt.
Mit dieser Geschichte möchte ich meine ganz persönliche Antwort auf dieser Frage finden, und mich zugleich erstmals hier zu Wort melden. Nach beinah 3 Jahren Mitgliedschaft könnte man auch sagen, es ist an der Zeit.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich auf dieses Forum gestoßen bin, und wie es passiert ist. Es muss weit über drei Jahre her sein. Und natürlich hat mich das, was man hier gemeinhin das „Virus“ nennt direkt erwischt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade mein erstes richtiges Geld als Doktorand im Bereich der umweltorientierten Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen in Schweden verdient, aber natürlich erschienen mir irgendwelche größeren Investitionen in stählernen Unterarmbehang als vollkommen absurd. Und so verging die Zeit. Irgendwann habe ich meine erste mechanische Uhr erworben – die „Bauhaus Rodina“, natürlich hier entdeckt. Aber mit solchen Uhren verhält es sich wohl ähnlich wie mit Chips und ähnlichem Fettgebäck – warum nach einem aufhören? Das limbische System gerät in vollen Schwung – gut das bleibt vielleicht nicht die letzte leichte Übertreibung dieses Aufsatzes.

Und da die Selbstkontrolle bis auf weiteres obsiegte kam so langsam, was kommen muss. Während man sich so kontrolliert kommt ja das Gefühl auf, man würde sparen – der gleiche Effekt ist regelmäßig bei Schlussverkäufen zu beobachten und auch nach elf gemeinsamen Jahren kann ich meine Frau nicht davon überzeugen, dass im spontanen Geldausgeben niemals eine Ersparnis liegen kann. Sei’s drum, auch in mir stiegen Wunsch und Interesse nach Größerem auf, und mit der Zeit wachsen ja die Möglichkeiten, so man seine Kronen (das Geld, nicht die Uhren) zusammenhält. So vergeht weiter die Zeit, und so liest und liest man im Uhrforum. In der Regel täglich.
Der Geist, der durch den Kopf spukt wandelt sich, nimmt wechselnde Formen an, aber eines wird klarer: Es soll etwas werden, was das Innere nach außen kehrt. Etwas Besonderes, das jedem Fremden mit nur einem Vorblinken unter der Hemdmanschette sagt: „So ein Mensch ist das.“

Selbstverständlich ist diese Vorstellung, einem Dritten durch an die obere Extremität fixiertes Metall die eigene Persönlichkeit zu vergegenwärtigen an sämtlichen Fronten absurd, schon dadurch, dass ich maximal 10 Tage im Jahr überhaupt Hemd trage. Und welche Uhr unter dem 7 Jahre alten Fleecepulli hervorlugt, ist am Ende wohl ganz und gar gleichgültig. Doch egal, die Uhr soll etwas aussagen, wie auch sonst soll man sich zu einer völlig abwegigen Entscheidung hinreißen lassen (und auch die Frau überzeugen), dass die Anschaffung eines technisch minderwertigen Gegenstandes zum hundertfachen des Preises meiner in Yangon erworbenen Casio A500WEA-1EF geradezu unumgänglich, wenn nicht absolut unvermeidlich ist. Das Stück hochlegierten Eisens muss also mit Bedeutung aufgeladen werden, dass die Schwarte kracht. Das Ziel ist klar: Der Mensch als Uhr.

Und da beginnt ein ganz neuer Prozess, der tatsächlich mit Selbstfindung anfängt. Und da erkennt man sich zuerst als Maschinenbauingenieur – eine Inge also? Schnell wird klar, eher nicht. Gut, Abenteuer, Reisen, Offenheit für Neues, ob nun Mensch, Land, Kontinent – eine Explorer? Für’s schmale Ärmchen dann schon 36mm – ganz klar. Aber als Öko, Fairtradeklamottenträger, als stolzer Nicht-Auto-Besitzer-aber-gerne-mal-Mieter-und-sonst-Radfahrer, da war das Spiegelbild schon arg verzerrt. Das wollte nicht passen, das konnte nicht gehen. Aber Forscher, oder? Die JLC Geophysic True Second, mit superdezentquarzigem Tickzeiger, das ist es doch – superöko dezent und unangepasst, abenteuerlustig und ultrawissenschaftlermäßig. Aber halt auch teuer – und dann, der Unterhalt. Die Vorstellung, das Leben lang weiter für die Funktion des bedeutungsschwangeren Blechbündels zahlen zu müssen, und dafür regelmäßig in mir sonst gänzlich fremden Geschäften vorstellig zu werden – ein Graus. Mancher hier wird mir nun fehlenden Mumm, mangelndes Selbstbewusstsein oder Schneeflockigkeit vorwerfen – es sei ihr/m unbenommen.

Inzwischen schreiben wir Dezember 2015 und mein Beruf hat mich zum ersten Mal nach Japan verschlagen. Zu meinem Rückblickend sehr großen Glück konnte mich meine Freundin dorthin begleiten und die Gelegenheit war perfekt, nach fast 10 Jahren nun endlich mal mehr als nur „Freundin“ anzupeilen. Am selben Tag und am selben Ort dieses Ereignisses ist das Titelfoto dieser Vorstellung aufgenommen worden. Als Erinnerung gab es auf der gleichen Reise eine Uhr, erworben bei meinem neuen Stamm-Konzi (sic!), Bic Camera Yurakucho. Aus gleichem Hause wie das hier gezeigte Zeiteisen, werde ich ihr bei Gelegenheit auch noch eine Vorstellung angedeihen lassen. Nun stand ja eine Heirat an, da rücken weitere Investitionen in den geradezu verzweifelten Wunsch, sich das Selbst aufs Handgelenk zu pappen, in den Hintergrund. Aber kein Grund, nicht weiter zu suchen.

Nun war klar, man will etwas langlebiges, wartungsarm oder –frei und trotzdem so voller Herz und Emotion. Nach dem kurzen Besuch in Japan war die Faszination für das Land und seine Menschen geweckt, die emotionale Bindung durch die Verlobung stark, und dass einer meiner engsten und von mir sehr respektierten Arbeitskollegen Japaner ist, hat die Sache noch klarer gemacht. Da man sich selbst gern als von der Ratio getrieben sieht, der auf turbulentem Flug die Frau gern mit Statistiken beruhigt und Lotto spielen für eine ganz unerhörte Dämlichkeit hält, da passen die nüchternen, auf Funktion ausgelegten Japaner doch tippitoppi ins Bild. Darüber, dass für diese Beschreibung wahrscheinlich die o.g. Casio am passendsten ist, denken wir halt einfach nicht nach. Es ist also klar: Die Uhr soll einmal sekündlich ticken, sie soll hochwertig sein, sie soll alle oben genannten wirklichen oder durch jahrelange Autosuggestion eingebildeten Eigenschaften in sich vereinen, und sie soll in Japan geboren und von seidenhändischen Edelarbeitsverrichtern auf Hochglanz gestreichelt sein – kurz: Grand Seiko oder The Citizen.

Zuerst fällt also der Blick auf die Ingenieursuhr von GS: SBGX093. Amagnetisch … Man könnte denken, hier wäre die Geschichte vorbei (mancher wünscht es sich vielleicht), aber weit gefehlt! Der Blick schweift weiter, und er findet „The Citizen“. Was für ein Volltreffer! Ein solarbetriebener Zeitanzeiger, eine Art Perpetuum Mobile für den Handknöchelbereich – mit ewigem Kalender und reisefreundlicher Verstellmöglichkeit des Stundenzeigers ohne die Uhr selbst anhalten zu müssen. Bei +/-5 Sekunden pro Jahr dürfte man das Gerät, gelegentliche Exposition zum nächstgelegenen Stern vorausgesetzt, vielleicht über Jahrzehnte nicht anhalten müssen. Im Oktober war es dann so weit, auf Hochzeit folgt Hochzeitsreise, und Japan war das Ziel. Noch dazu habe ich diesen Sommer das dritte Lebensjahrzehnt vollendet, an Anlässen zum bedeutungsschwangeren Aufladen meines künftigen Armschmucks finden sich also en masse.

Nun, in den ersten Reisetagen geht es in einen der monströsen Elektronikgeschäfte und das Angebot wird in Augenschein genommen. Der erste Weg geht zu den Auslagen der Citizen Edelmodelle. Die beiden Objekte der Begierde waren vorhanden, die AQ-4020 mit dem Blatt aus handgeschöpftem japanischen Papier, sowie die hier im Forum bereits vorgestellte, elektronisch dekadente AQ-1040. So wurden beide Uhren, augenscheinlich sorgfältig in Frischhaltefolie gewickelt, angelegt und Wristshots gemacht. Das Gefühl: Gut, passten erstaunlicherweise beide ganz okay, obwohl ich mit sicher war, dass die 1040 mir am Kinderarm zu groß wäre. Tolle Uhren, aber das Megaknallergefühl wollte sich nicht einstellen. Hm. Ab in die Grand Seiko Zone. Nach sehr kurzer Zeit hatte ich das Objekt der Begierde gefunden, die jetzt mit großem Grand Seiko Logo versehene und ca. 100 Euro teurere SBGX293. An den Arm gebammelt und WOW! Das ist also dieses besondere Gefühl, das hier so oft beschrieben wird. Bilder gemacht und ab zur Frau, die in dieser Zeit in den Luxusmassagesesseln entspannt hat bis zum Anschlag, die diese Tempel der elektronischen Glückseligkeit in allen Farben und Formen zum exzessiven probieren vorhalten. Die Bilder gezeigt. Die dunkle Citizen: „Okay“. Die weiße: „Um Gottes Willen nein! Viel zu förmlich!“ Die Seiko: „Von den dreien die Beste.“ Begeisterung klingt anders, man wird also sehen. Erstmal geht die Reise weiter.

Über die Zeit der Reise habe ich also wirklich fast jeden Bic Camera oder Yodobashi, der sich so anbot, mitgenommen, um zu probieren. Und so wurde es immer klarer. Die Citizen: Bessere Funktionen, durch Solar doch so gut zu mir als Ökostromverbraucher passend, am Arm doch ganz schick, wenn auch etwas überdimensioniert… Aber das Gefühl...: „Mit deinem Gefühl stimmt was nicht.“ „Mit meinem Gefühl stimmt was nicht?!“. Exakt. Aber bei der Seiko. Da schlägt das Herz. Und so ist es dann letztlich soweit, dass die Entscheidung fällt. Es wird die SBGX293, und gekauft wird sie im Bic Camera Yurakucho, so wie auch schon beinahe zwei Jahre vorher meine Automatikseiko. Und so geht man hin, zeigt auf die Uhr, geht zur Sicherheit die Spitfire73’sche Kontrollliste beim Uhrenneukauf durch, und zahlt daraufhin mit Karte. Es werden 4 Glieder des Armbandes entfernt, damit die Uhr an 16,5cm HGU halt findet, und natürlich wird die ganze Chose mit japanischer Präzision und Ruhe eingebeutelt. Immer wieder fällt mir in diesen Momenten Rowan Atkinson in „Tatsächlich Liebe“ ein. Sie hätten dafür einen Japaner casten sollen.

Und da ist sie nun, und im Hotel angekommen und die Uhr angelegt geschieht das schier unglaubliche: Meine Ehefrau blickt mir versonnen aufs handgelenkfixierte Geschmeide und sagt doch tatsächlich: „Eine tolle Uhr hast du dir gekauft!“ Und so wird der Himmel weit, ein Chor erklingt und Trompeten erschallen, denn das Unmögliche, das Undenkbare, ist geschehen. Und damit ist die Quadratur des Kreises perfekt, denn was kann den Menschen als Uhr wahrer machen als dass die wichtigste Person auf dieser Welt ihr Wohlgefallen über die vollkommene Absurdität, die der Kauf dieses Artikels darstellt, äußert. Und damit ist es meine Uhr, auf die ich so gerne schaue, die im Licht funkelt und im Dunkeln gut zu erkennen ist, die vor sich hin tickt, dass es schier unhörbar ist und deren Sekundenzeiger mit einer Selbstsicherheit und Klarheit seine Bahn zieht, nach der ich selbst sicher noch lange suchen werde. Und perfekt ist sie letztlich nicht, das hat ja auch keiner erwartet und würde der Idee des Menschen als Uhr ja auch diametral gegenüberstehen. So oft schaue ich auf sie, in der Hoffnung, dass sie mir das aktuelle Datum zeigt, und jedes Mal werde ich enttäuscht. Doch dann freue ich mich an ihrer Symmetrie und ihrer Klarheit. Und natürlich trägt sie schon jetzt, nach knapp zwei Monaten, Spuren ihres kurzen Lebens an Band und Gehäuse, aber genau so war das ja am Ende gedacht.
Was soll ich weiter vom Tragegefühl und ähnlichem schwadronieren – die Uhr ist flach und daher sehr angenehm am Arm, und trotz mangelnder Feineinstellung habe ich einen guten, für mich passenden Kompromiss bei der Bandlänge gefunden. Dafür sieht das Band mit der GS Schließe halt einfach totschick aus, da nehme ich Abzüge in der B-Note in Kauf. Der Sekundenzeiger trifft die Indizes exakt, außer zwischen 4 und 6 Uhr, wo auch nach sehr exaktem optischen Parallaxeausgleich nur eine Überdeckung von ca. 95% erreicht wird. Ich sag mal so: Das guckt sich weg, bei normalem Uhrenableseabstand bin ich nicht in der Lage, das zu erkennen. Alle weiteren optischen Eigenschaften werden hoffentlich auf meinen Bildern deutlich, ansonsten kostet Nachfragen rein gar nichts und ich freue mich natürlich darauf, hier Rede und Antwort zu stehen.

Nun, allen, die es bis hierhin geschafft haben möchte ich danken und euch zu eurer Hartnäckigkeit beglückwünschen. Ich hoffe, dass euch meine Geschichte und die meiner Armbanduhr gefallen hat, und dass sie euch ein bisschen vor der Zerstreuung und Unterhaltung geben konnte, die ich hier in diesem Forum in den vergangenen Jahren so oft erfahren habe.

Natürlich kenne ich die Regeln, und deshalb kommen hier noch die technischen Kennzahlen zum Zeitanzeiger.
Grand Seiko SBGX293, nur in Japan erhältliches Modell mit Quartzwerk, amagnetisch bis 40000 A/m oder ca. 500 Gauß.
Durchmesser 38,9mm
Höhe 10,5mm
Lug to lug ca. 47mm (mit Geodreieck gemessen)
Werk 9F61-0AD0, Genauigkeit +/- 10 Sekunden/Jahr
Gehäuse und Armband aus Edelstahl mit Schließe ohne Feineinstellung (zwei halbe Bandglieder)
Stunde, Minute, zentrale Sekunde.


Nochmals vielen Dank fürs Lesen!
Viele liebe Grüße und alles Gute wünscht euch
Johannes.

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