
andi2
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- 13.02.2013
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Immer wieder liest man im Forum, welch tolle Entdeckungen ander User auf dem Flohmarkt machen (Da hab ich diese Patek-Philippe, Hat gar nix gekostet. Der Händler wollte nur mal von meinem Brot beissen) und denkt, warum find ich bloss nie etwas Vernünftiges.
Nun ist es auch schon wieder sechs Wochen her, da schlenderte ich bei strahlendem Wetter am Samstag-Morgen (recht spät, schon etwa 11) über den Basler Flohmarkt. Alles wie immer bei den Uhren: Wenig, teuer oder Schrott, oder teuer und noch dazu Schrott.
Dann kam ich an einen Stand mit bunt gemischtem Krimskrams, da stand auf dem Tisch eine grosse Pappschachtel, eine Art flachen Bananenkiste, darinnen lagen wohl um die hundert Taschenuhren bunt gemischt als Haufen zum drin rumwühlen. Als ich kam waren zwei Mädels da und suchten sich je eine kleine Damentaschenuhr aus, um irgendwas draus zu basteln. Als sie weg waren, konnte ich einen genauen Blick auf den Kisteninhalt tun: da waren Damen- und Herrenuhren, Schlüsseltaschenuhren und solche mit Kronenaufzug, alles vertreten von Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre. Ein Grossteil war kaputt: wenn man wahllos zehn Uhren herausgenommen hätte, wäre die Chance gross gewesen, dass alle zehn kaputt sind.
Auffällig war eine gut erhaltene verchromte Ruhla aus DDR-Zeiten, die auch lief. Ich wühlte und probierte ein wenig an den Uhren mit Kronenaufzug. Erst nach Minuten hatte ich zwei weitere identifiziert, die noch liefen, eine Silvana und eine namenlose, beide so etwa um 1930. Als ich so herumsuchte kam noch ein Uhrensammler und so wühlten wir brüderlich zu zweit und zeigten uns gegenseitig unsere Entdeckungen mit ihren Fehlern.
Schlüssel gab es natürlich keine, aber die Schlüsseluhren mit Sekundenanzeige kann man ja durch Anschütteln prüfen ; keine lief. Manchmal war der Staubdeckel nicht ganz geschlossen, so dass man das Werk sehen konnte. Fast immer ein wirtschaftlicher Totalschaden: Zerbrochene Zifferblätter, Unruhwellen gebrochen, Spiralen verwirrt oder zerrissen, zum Teil unvollständige Werke oder Uhren, wo es beim Schütteln im Inneren wie Castagnetten klapperte, viele Wracks ohne Bügel, Krone, Zeiger, Glas. Wir hatten eigentlich beide nicht den Eindruck, hier etwas finden zu können, aber wir unterhielten uns trotzdem gut.
Dann fiel mir eine Schlüsseltaschenuhr in die Hände. Wie konnten wir die nur beide so lange übersehen haben. Von aussen sah sie schon mal super aus, nur auf dem Zifferblatt war etwas wie brauner Popel grossflächig verschmiert. Die Uhr hatte keine Sekundenanzeige, ich konnte sie durch Schütteln also nicht testen, ohne das Werk zu sehen (es war zu laut, um ein allfälliges Ticken zu hören). Ich machte den hinteren Deckel auf, der Staubdeckel war nicht ganz zu und liess sich auch öffnen. Was ich sah, war ein absolut sauberes, fast wie neu aussehendes Zylinderwerk. Ich schüttelte die Uhr und das Werk lief an und tickte ein ganzes Weilchen!
Nach kurzer Verhandlung mit dem Händler, der mit Uhren offenbar absolut nichts am Hut hatte, sondern die ganze Schachtel als Konvolut gekauft und nicht einmal durchgesehen hatte, gehörte sie für 35 Franken mir.
Bei einem andern Händler mit breitem Angebot an Uhrmacherbedarf (auch Werkzeug, Öl etc.) konnte ich gleich einen passenden Schlüssel kaufen.
Zuhause gab es ein wenig Kosmetik: Das Gehäuse aus Nickel habe ich mit einem leichr angefeuchteten Baumwollappen poliert. Das Zifferblatt konnte ich leicht mit Wasser, dem eine Spur Spüli beigegeben war sauber putzen. Schon nach ca. 30 Minuten sah sie so aus wie auf den Fotos. Dann wurde sie von mir ganz aufgezogen und gestellt, um mal den Gang der Uhr zu testen
Die Punze im Werk (Der Name „VOGT“ in einem queren Band bzw. Banner, darunter ein grosses V) machte es einfach, bei Mikrolisk (www.mikrlisk.de) den Hersteller zu ermitteln. Links von der Punze mit der Bildmarke ist quer dazu "M" eingeprägt.
Hier mal die Daten:
Hersteller: Richard Vogt & Cie, Biel, Schweiz. Die Bildmarke auf der Punze wurde erst am 23.6.1911 registriert, ich halte aber die Uhr für älter.
Taschenuhr mit Zylinderhemmung und Schlüsselaufzug, es passt der Schlüssel Nr. 3, Aufziehen und Stellen von hinten, Vogt-eigenes Kaliber, Brückenwerk, Anzahl der Lagersteine nicht auf der Uhr vermerkt, aber von oben (hinten) ausser der Unruh mit Deckstein noch drei weitere Lager mit Lochsteinen, falls die unteren Lager gleich ausgestattet sind, wäre es ein Werk mit 10 Rubis. Das Werk hat hinten einen Durchmesser von ca. 3,8 cm.
Anzeige mit Stunde und Minute, ohne Sekundenanzeige, goldene Louis XV-Zeiger. Zifferblatt aus weissem Email, fein haarrissig, aber trotzdem noch schön. 24-Stunden-Zifferblatt mit römischen, schwarzen Ante-Meridiem- und arabischen, roten Post-Meridiem-Stunden. Die roten Zahlen sind nicht auf einer Folie, sondern gehören zum Dekor.
Gehäuse aus Nickel, Durchmesser 4,8 cm, Dicke mit Glas 1,35 cm, Höhe mit Pendant ohne Bügel 6 cm. Auf der Innenseite des äusseren Deckels steht in einer runden Kartusche: „Nickel Garantie FE“ und darunter ein Symbol wie drei Sterne im gleichseitigen Dreieck angeordnet). Darunter gibt es eine Seriennummer 211745, darunter eine einzelne 3. Der vordere Deckel mit Glas ist ein Sprengdeckel, der sich ganz vom Gehäuse trennt. Hinten gibt es zwei Klappdeckel. Die Uhr hat hinten ein Dekor aus Blumen, Blättern und Ranken, die Blumen könnte man für Schwertlilien halten, die Blätter sind aber keine Lilienblätter. Links gibt es einen leeren Wappenschild, von dem unten noch etwas gerades herunterhängt (ein Gürtel?).
Das Motiv und den Stil der Uhr würde ich dem Jugendstil zuordnen. Ich würde das Baujahr auf 1890 (1880-1910) schätzen. Kann das von euch noch jemand genauer eingrenzen? Seit wann gibt es die Firma Richard Vogt & Cie?
Und warum soll das ein Vogt-eigenes Kaliber sein? Zumindest hat Vogt eben dieses Kaliber mit Schlüssel- und später auch mit Kronenaufzug gebaut. Und eine solche (mit Sekundenanzeige) gibt es hier im Forum schon zu sehen, nämlich hier: https://uhrforum.de/meiner-liebsten-t93717.
Und zur guten Letzt noch die Gangwerte, die ich bei meiner Uhr ermittelt habe: Sie hat eine Zeitreserve von 41 Stunden und läuft in 24 h etwa 1 min zu langsam, man kann sie tragen ohne dass sie stehenbleibt. Ich bin platt, wie kam diese tolle Uhr nur in die Kiste mit dem Schrott? Und wie gut, dass ich sie dort gefunden habe. Hurra!!
Die graduierte Kette mit T-Stück fürs Knopfloch, wohl aus Nickel, mit ausgetauschtem Karabinerhaken aus Messing hatte ich im Fundus. Ich habe ihr selbst eine kleine Seitenkette aus Messing (von einem Schlüsselbund) mit dem Schlüssel angehängt.
--- Nachträglich hinzugefügt ---
Eine Uhr mit der Kronenaufzug-Variante des Vogt-Werks ist zur Zeit auch auf Ebay eingestellt:
http://www.ebay.de/itm/VOGT-Taschenuhr-um-1900-in-Silber-/380345609761
Nun ist es auch schon wieder sechs Wochen her, da schlenderte ich bei strahlendem Wetter am Samstag-Morgen (recht spät, schon etwa 11) über den Basler Flohmarkt. Alles wie immer bei den Uhren: Wenig, teuer oder Schrott, oder teuer und noch dazu Schrott.
Dann kam ich an einen Stand mit bunt gemischtem Krimskrams, da stand auf dem Tisch eine grosse Pappschachtel, eine Art flachen Bananenkiste, darinnen lagen wohl um die hundert Taschenuhren bunt gemischt als Haufen zum drin rumwühlen. Als ich kam waren zwei Mädels da und suchten sich je eine kleine Damentaschenuhr aus, um irgendwas draus zu basteln. Als sie weg waren, konnte ich einen genauen Blick auf den Kisteninhalt tun: da waren Damen- und Herrenuhren, Schlüsseltaschenuhren und solche mit Kronenaufzug, alles vertreten von Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre. Ein Grossteil war kaputt: wenn man wahllos zehn Uhren herausgenommen hätte, wäre die Chance gross gewesen, dass alle zehn kaputt sind.
Auffällig war eine gut erhaltene verchromte Ruhla aus DDR-Zeiten, die auch lief. Ich wühlte und probierte ein wenig an den Uhren mit Kronenaufzug. Erst nach Minuten hatte ich zwei weitere identifiziert, die noch liefen, eine Silvana und eine namenlose, beide so etwa um 1930. Als ich so herumsuchte kam noch ein Uhrensammler und so wühlten wir brüderlich zu zweit und zeigten uns gegenseitig unsere Entdeckungen mit ihren Fehlern.
Schlüssel gab es natürlich keine, aber die Schlüsseluhren mit Sekundenanzeige kann man ja durch Anschütteln prüfen ; keine lief. Manchmal war der Staubdeckel nicht ganz geschlossen, so dass man das Werk sehen konnte. Fast immer ein wirtschaftlicher Totalschaden: Zerbrochene Zifferblätter, Unruhwellen gebrochen, Spiralen verwirrt oder zerrissen, zum Teil unvollständige Werke oder Uhren, wo es beim Schütteln im Inneren wie Castagnetten klapperte, viele Wracks ohne Bügel, Krone, Zeiger, Glas. Wir hatten eigentlich beide nicht den Eindruck, hier etwas finden zu können, aber wir unterhielten uns trotzdem gut.
Dann fiel mir eine Schlüsseltaschenuhr in die Hände. Wie konnten wir die nur beide so lange übersehen haben. Von aussen sah sie schon mal super aus, nur auf dem Zifferblatt war etwas wie brauner Popel grossflächig verschmiert. Die Uhr hatte keine Sekundenanzeige, ich konnte sie durch Schütteln also nicht testen, ohne das Werk zu sehen (es war zu laut, um ein allfälliges Ticken zu hören). Ich machte den hinteren Deckel auf, der Staubdeckel war nicht ganz zu und liess sich auch öffnen. Was ich sah, war ein absolut sauberes, fast wie neu aussehendes Zylinderwerk. Ich schüttelte die Uhr und das Werk lief an und tickte ein ganzes Weilchen!
Nach kurzer Verhandlung mit dem Händler, der mit Uhren offenbar absolut nichts am Hut hatte, sondern die ganze Schachtel als Konvolut gekauft und nicht einmal durchgesehen hatte, gehörte sie für 35 Franken mir.
Bei einem andern Händler mit breitem Angebot an Uhrmacherbedarf (auch Werkzeug, Öl etc.) konnte ich gleich einen passenden Schlüssel kaufen.
Zuhause gab es ein wenig Kosmetik: Das Gehäuse aus Nickel habe ich mit einem leichr angefeuchteten Baumwollappen poliert. Das Zifferblatt konnte ich leicht mit Wasser, dem eine Spur Spüli beigegeben war sauber putzen. Schon nach ca. 30 Minuten sah sie so aus wie auf den Fotos. Dann wurde sie von mir ganz aufgezogen und gestellt, um mal den Gang der Uhr zu testen
Die Punze im Werk (Der Name „VOGT“ in einem queren Band bzw. Banner, darunter ein grosses V) machte es einfach, bei Mikrolisk (www.mikrlisk.de) den Hersteller zu ermitteln. Links von der Punze mit der Bildmarke ist quer dazu "M" eingeprägt.
Hier mal die Daten:
Hersteller: Richard Vogt & Cie, Biel, Schweiz. Die Bildmarke auf der Punze wurde erst am 23.6.1911 registriert, ich halte aber die Uhr für älter.
Taschenuhr mit Zylinderhemmung und Schlüsselaufzug, es passt der Schlüssel Nr. 3, Aufziehen und Stellen von hinten, Vogt-eigenes Kaliber, Brückenwerk, Anzahl der Lagersteine nicht auf der Uhr vermerkt, aber von oben (hinten) ausser der Unruh mit Deckstein noch drei weitere Lager mit Lochsteinen, falls die unteren Lager gleich ausgestattet sind, wäre es ein Werk mit 10 Rubis. Das Werk hat hinten einen Durchmesser von ca. 3,8 cm.
Anzeige mit Stunde und Minute, ohne Sekundenanzeige, goldene Louis XV-Zeiger. Zifferblatt aus weissem Email, fein haarrissig, aber trotzdem noch schön. 24-Stunden-Zifferblatt mit römischen, schwarzen Ante-Meridiem- und arabischen, roten Post-Meridiem-Stunden. Die roten Zahlen sind nicht auf einer Folie, sondern gehören zum Dekor.
Gehäuse aus Nickel, Durchmesser 4,8 cm, Dicke mit Glas 1,35 cm, Höhe mit Pendant ohne Bügel 6 cm. Auf der Innenseite des äusseren Deckels steht in einer runden Kartusche: „Nickel Garantie FE“ und darunter ein Symbol wie drei Sterne im gleichseitigen Dreieck angeordnet). Darunter gibt es eine Seriennummer 211745, darunter eine einzelne 3. Der vordere Deckel mit Glas ist ein Sprengdeckel, der sich ganz vom Gehäuse trennt. Hinten gibt es zwei Klappdeckel. Die Uhr hat hinten ein Dekor aus Blumen, Blättern und Ranken, die Blumen könnte man für Schwertlilien halten, die Blätter sind aber keine Lilienblätter. Links gibt es einen leeren Wappenschild, von dem unten noch etwas gerades herunterhängt (ein Gürtel?).
Das Motiv und den Stil der Uhr würde ich dem Jugendstil zuordnen. Ich würde das Baujahr auf 1890 (1880-1910) schätzen. Kann das von euch noch jemand genauer eingrenzen? Seit wann gibt es die Firma Richard Vogt & Cie?
Und warum soll das ein Vogt-eigenes Kaliber sein? Zumindest hat Vogt eben dieses Kaliber mit Schlüssel- und später auch mit Kronenaufzug gebaut. Und eine solche (mit Sekundenanzeige) gibt es hier im Forum schon zu sehen, nämlich hier: https://uhrforum.de/meiner-liebsten-t93717.
Und zur guten Letzt noch die Gangwerte, die ich bei meiner Uhr ermittelt habe: Sie hat eine Zeitreserve von 41 Stunden und läuft in 24 h etwa 1 min zu langsam, man kann sie tragen ohne dass sie stehenbleibt. Ich bin platt, wie kam diese tolle Uhr nur in die Kiste mit dem Schrott? Und wie gut, dass ich sie dort gefunden habe. Hurra!!
Die graduierte Kette mit T-Stück fürs Knopfloch, wohl aus Nickel, mit ausgetauschtem Karabinerhaken aus Messing hatte ich im Fundus. Ich habe ihr selbst eine kleine Seitenkette aus Messing (von einem Schlüsselbund) mit dem Schlüssel angehängt.
--- Nachträglich hinzugefügt ---
Eine Uhr mit der Kronenaufzug-Variante des Vogt-Werks ist zur Zeit auch auf Ebay eingestellt:
http://www.ebay.de/itm/VOGT-Taschenuhr-um-1900-in-Silber-/380345609761
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