
Chrysipp
Themenstarter
- Dabei seit
- 07.04.2016
- Beiträge
- 208
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann oder wo ich die Milgauss zum ersten Mal gesehen habe. Sie war einfach da. Und sie war da als eine Kandidatin für die erste “richtige Uhr”. Warum, weiß ich nicht. Doch - ein Freund hat sie mir vorgeschlagen. Er selbst hatte das Modell mit dunklem Ziffernblatt und grünem Saphirglas. Ich dachte, wie die meisten dachten, als sie mit dem Uhrendings anfingen: “Nee, Rolex will ich nicht.” Als ich sie bei ihm live begutachten durfte, hat sie mir aber trotzdem gefallen.
Die Variante mit blauem Ziffernblatt konnte ich dann bei einem Konzi in Wien einmal befingern. Da war es fast schon um mich geschehen, wäre da nicht die etwas zu nette Verkäuferin in dem etwas zu schönen Juweliergeschäft gewesen, die hauptsächlich Uhren an Russen verkaufte und zu mir gar nicht den richtigen Draht finden wollte. Mir war das zu wenig seriös, obwohl es nach anderer Definition seriöser gar nicht ging! Die Uhr jedoch, die gefiel mir. So viel war sicher.
Die “erste richtige Uhr” ist dann doch eine ganze andere geworden, aber wie es oft so ist, die Milgauss ging mir nie aus dem Kopf. Obwohl sie zwischenzeitlich schon aus dem Fokus verschwand. Ich sprach dann so über sie: “... und Rolex überhaupt. Ich meine: Schau mal zum Beispiel die Milgauss. Da zahlt man mehr als 7.000 EUR und was bekommt man dafür? Eine Dreizeigeruhr mit einer Magnetfeldresistenz, die lächerlich ist”. Bei anderer Gelegenheit bezeichnete ich das Design der Milgauss gar als “clownesk”, ein Wort, das ich sonst in der gesprochenen Sprache überhaupt nie verwende.
Und trotzdem: Irgendwas war dran an dieser seltsamen Milgauss. Allein schon der Name war interessant, den ich einmal sogar “Milgooh” ausgesprochen hörte (auch clownesk eigentlich). Ich wusste, wer oder was Gauß war und warum die Uhr ihren Namen hatte. Und doch: Der Klang allein war schon faszinierend! Milgauss… Das klang irgendwie gefährlich radioaktiv, geheimnisvoll und kompliziert. Helle und dunkle Vokale klatschen da seltsam aneinander, Milgauss könnte der Name eines Zauberers sein. Und witzig: Genau so sieht sie auch aus!
Wie ich zu ihr kam, bezeichnet wohl am besten, wie sehr sie mir im Kopf geblieben ist, auch wenn ich inzwischen andere Uhren gekauft und geliebt hatte. Denn einmal ging ich mit dem festen Plan, eine Explorer zu erstehen, zu meinem Stammkonzi, der damals aber noch nicht mein Stammkonzi war, sondern einfach nur das genaue Gegenteil jenes Konzis in Wien: Klein, persönlich, Familienbetrieb, vor allem aber einfühlsam, denn der Herr begriff sofort, was ich für einer war. Ich war kein Russe, der ein Spielzeug für seinen Sohn kaufen wollte, sondern einer, der sich auf dem Weg gemacht hatte, um nachzugeben: Nämlich seine erste Rolex zu erwerben, obwohl er die Marke immer für blöd befunden hatte.
Der Herr legte mir seine Submariner um, schwörte auf die Qualität, er selber habe ja “einige” auch ältere Modelle. Die bleiben gut, so er, da müsse man sich keine Sorgen machen. Sorgen machte ich mir aber höchstens ob des Preises dieser “guten Uhren”. Ich ließ mir also die Explorer zeigen, von deren Schlichtheit ich immer schon angetan war, und war natürlich fasziniert und begeistert. Trotzdem musste ich fragen: “Haben Sie vielleicht auch eine Milgauss mit blauem Ziffernblatt da?” Eigentlich hoffte ich darauf, dass er keine hatte, das würde mich ja nur vom Kauf meiner Explorer ablenken. Ich müsste mir tatsächlich überlegen, ob ich, zauberte der Verkäufer da jetzt einen dieser Zauberer hervor, nicht doch … oder nein, du musst doch bei der Explorer bleiben, deswegen bist du ja hier. Ja, aber die Milgauss hatte ich ja immer schon im Auge. Mal sehen, ob er überhaupt eine da hat...
Der Verkäufer kam mit drei Milgäussen zurück. Einer weißen, einer schwarzen und einer blauen. Die weiße kam für mich nicht in Frage, die legte ich gleich zur Seite. Die Blaue kannte ich ja schon. Aber die schwarze? Die ohne dem grünen Saphirglas? “Die wird nicht mehr hergestellt, aber ich habe noch ein paar”, ließ mich der Verkäufer vielsagend wissen. War sie nicht das Beste aus beiden Welten? Mit dem schönen mattschwarzen Ziffernblatt, das ich bei der Explorer so schätzte und dem flashigen orangen Blitzsekundenzeiger? Mit der schönen applizierten Krone auf der 12-Uhr-Position? Aber ohne das grüne Saphirglas, womit ich durchaus leben könnte? Und dann noch der Umstand, dass sie “nicht mehr produziert” werde, der Herr aber “noch ein paar” habe (das hieß natürlich: es gibt nicht mehr viele, aber wenn, dann gibt es sie genau hier!). Das klang doch nach Kaufbefehl?
Die Explorer hatte ich mal zur Seite gelegt, zu schnöde kam sie mir plötzlich vor. “Du wirst doch jetzt nicht die Explorer kaufen, die bekommst du ja immer mal. Da liegen jetzt zwei Milgäusse, die eine genau die, die du schon immer toll fandest, und die andere, die dir auch gefällt und die nicht mehr gemacht wird!” Ich hatte mich soeben entschieden, den Grund meines Erscheinens gegen einen anderen auszutauschen, denn ich wollte jetzt natürlich eine Milgauss! Die Uhren wanderten von einer Hand in die andere, wurden an- und abgelegt, in allen Lagen begutachtet, sogar die Lume wurde von mir gecheckt. Keine Frage, das waren tolle Uhren. Aber welche sollte es denn nun werden?
Die Magie des Zauberers ließ mich einfach nicht mehr los. So sehr ich die relative Schlichtheit der schwarzen Milgauss schätzte: Wenn, dann sollte es schon die blaue sein! Und die Explorer? Die lag immer noch da. Wie ein verstoßener Hund. Ich warf noch einen Blick auf sie und versprach ihr leise “irgendwann hol ich auch dich zu mir!”. Die blaue Milgauss war übrigens die letzte Rolex, auf die ich einen Preisnachlass bekommen habe. Ich sagte dem netten Herren noch, dass er sich bei mir melden solle, wenn sein Vorrat an der schwarzen Milgauss zu Ende ginge. “Vielleicht”, so dachte ich, “kommt ja die auch noch zu mir”. Doch diesen Plan hatte ich schon nach wenigen Tagen mit der blauen Milgauss verworfen. Zwei so ähnliche Modelle wollte ich dann doch nicht haben und mit der blauen hatte ich, so denke ich noch heute, das Nonplusultra der Milgauss-Modelle in meinem Besitz.
(Außerdem fand ich mich ein knappes Jahr später wieder beim selben Konzi ein, um nun endlich die Explorer abzuholen, die ich mir ja eigentlich “damals” schon kaufen wollte, aber das ist eine andere Geschichte…)
Gehäuse und Ziffernblatt
Das Gehäuse der Milgauss ist eine interessante Variante des 40 mm-Oystercase, die ein bisschen bulliger daherkommt als z.B. die Explorer. Dies ist natürlich dem speziellen Faradaykäfig geschuldet, der das Werk vor Magnetfeldern schützen soll. Die Milgauss teilt sich dieses Gehäuse mit der modernen Airking-Variante. Und obwohl ich jemand bin, der ein bisschen Panik vor zu hohen Gehäusen hat, muss ich sagen, dass ich jenes der Milgauss als sehr harmonisch empfinde. Auch was den Tragekomfort anbelangt, ist dieses eines der besseren Gehäuse. Ja, sie baut ein wenig hoch (knapp über 13 mm), aber die Verhältnisse zu Durchmesser und Länge stimmen trotzdem. Sie bekommt einen etwas sportlicheren Look, die größere Krone unterstreicht dies und ist ein angenehmes und praktisches Detail. Das dickere Gehäuse unterstreicht den funktionalen Charakter und ist auch der Grund, warum sich die Milgauss allein schon des Gehäuses wegen weniger als Dresswatch eignet als etwa die Explorer oder die Oyster Perpetual. Das größere Gewicht steht ihr aber auch gut, die Milgauss “sitzt” richtig satt und angenehm auf dem Handgelenk und macht dort eine bessere Figur als so manch andere Uhr, die flacher ist.
Polierten Flanken Lünette geben ihr einen aalglatten Anstrich, der sich in den polierten Mittelgliedern des Armbandes fortsetzt. Das ist keine Outdoor-Uhr, sondern eine für Schreibtischtäter und eben - ihrer Historie gemäß - für Arbeiten in Laborumgebung. Sie fühlt sich optisch in einer Umgebung wohl, die von blinkenden Lämpchen, Leuchtdioden und Monitoren geprägt ist. Denn in einer solchen fallen ihre Auffälligkeiten nicht so sehr ins Gewicht. So richtig bewusst wurde mir das erstmals, als ich mit der Milgauss am Arm vor meiner Espressomaschine stand, deren Lämpchen für Wasserstand und Stromzufuhr in sattem Grün und Orange leuchteten. Die Kombination mit dem polierten Edelstahl ließ mich sofort an die Milgauss denken und plötzlich ergab alles einen Sinn: Die gewagte Farbkombination ist gar kein launiges Gimmick, sondern ein ein klarer Fall von “Visual Storytelling”. So ist auch das zirkoniumgebläute Ziffernblatt eigentlich ein Laborelement, das sich je nach Interaktion mit Licht anders verhält: Mal wirkt es blass, mal kräftig blitzblau, mal schimmert und reflektiert es, manchmal scheint es das Umgebungslicht zu schlucken. In Kombination mit dem grünem Saphirglas, dessen Rand bei bestimmten Lichtverhältnissen direkt zu leuchten beginnt, ergeben sich ständig neue Gesichter. Einzige Konstante ist der dauernd fliehende Blitz als Sekundenzeiger, ein oranger Akzent, der die verbindende Farbe zwischen allen aktuellen Milgaussmodellen bleibt.
Manche zweifeln daran, ob das Blau mit dem Orange so gut harmoniert. Und überhaupt: wenn dann noch ein Grün dazukommt? Dazu gibt es eine Anekdote von Jean Claude Biver, der, mit Gerald Genta im Zug sitzend, diesen frug, ober er denn meine, dass blau und grün zusammenpassten. Genta soll geradezu heftig reagiert haben: Biver solle doch nur aus dem Fenster blicken: Das Blau des Genfer Sees, darauf das Grün der Inseln - das habe doch der Schöpfer höchstpersönlich vollbracht! Wie könne er, Biver, ihn, Genta, nötigen, sich einer solchen Anmaßung schuldig zu machen, dass er, Genta, darüber entscheide, ob blau und grün zusammenpassten, wo dies doch offensichtlich sei! Es folgte einer der seltenen Momente, da Biver verstummte. Genta blickte weiter aus dem Fenster und setzte nach: “Aber wenn Sie mich fragen, ob sich eine grün-blaue Uhr verkaufen würde, dann muss ich sagen: selbstverständlich nicht!”
Den Grundsätzen der Farbenlehre mag die Uhr zwar widersprechen, aber sie ist zweifellos ein Hingucker und eines der auffälligsten Standardmodelle im Rolexkatalog. Und wenn man weiß, worauf man sich einlässt, dann funktioniert die Uhr optisch auf jeden Fall (was natürlich rein gar nichts über persönliche geschmackliche Vorlieben verrät!).
Armband und Schließe
Das Armband ist das dreigliedrige Oysterband mit polierten Mittel- und satinierten Außengliedern. Auch dies ein Spalter: Die einen können es nicht ausstehen, die anderen finden es elegant. Der Milgauss passt es meines Erachtens besser als ein rein satiniertes Band, da, wie schon erwähnt, damit der Indoor-Aspekt betont wird. Gleichzeitig finde ich das Oysterband mit den polierten Mittelgliedern irgendwie plastischer als das rein satinierte: Bei bestimmten Lichtverhältnissen geben die unterschiedlich finissierten Oberflächen dem Band mehr Textur, mehr Komplexität und Tiefe. Es ist paradox, aber gerade dadurch wirkt das Armband manchmal sogar tooliger als ein ganz gebürstetes es könnte. Überwiegen tut bei den meisten Lichtverhältnissen aber freilich der Bling-Effekt, den das Band von der polierten Lünette übernimmt.
Heikel wird das Glanzpolierte vor allem bei der Schließe: Die Laborarbeit am Computer hinterlässt bald Spuren, aber wenn man ein entspannter Uhrenträger ist, nimmt man diese Kratzer mit Gleichmut und sogar Dankbarkeit hin. Die Oysterclasp ist ansonsten eine der besten Schließen im Rolex-Lineup, weil sie schlank ist, einfach und sicher schließt und über die Easylink-Erweiterung verfügt. Damit hat sie den Schließen der Oyster-Perpetual-Modelle das Feature voraus, dass man das Armband rasch und einfach weiter stellen kann, wenn der Teilchenbeschleuniger nebenan mal heiß läuft und der Laborant zu schwitzen beginnt! Das Kronenlogo steht nur leicht hervor, sieht aber trotzdem sehr wertig aus und so läuft man nie Gefahr, zu vergessen, welche Uhr man gerade trägt.
Fazit
Die Rolex Milgauss ist eine funky Dreizeigeruhr aus dem bewährten Hause Rolex für alle, die “eigentlich keine Rolex wollen”, weil ihnen die Designs zu bieder oder altbacken sind. Nichtwisser würden hinter der grün-blau-orangen Schönheit niemals die Marke mit der Krone vermuten, was vielen sicherlich gefällt. Und trotzdem holt man sich mit der Milgauss eine quintessenzielle (um den Marketingsprech der Firma ein wenig zu verwursteln) Rolex ins Haus; mit der bewährten Qualität, dem typischen Oystergehäuse, einem ”Superlative Chronometer”-Standard (das bewährte Kaliber 3131) und einer Krone auf dem Ziffernblatt (wem das wichtig ist)! Der Magnetfeldschutz ist zwar da, aber mittlerweile weit weg vom Industriestandard (s. z.B. Omega Aqua Terra) und somit kein ernstzunehmendes Kaufargument. Die Historie finde ich persönlich doch ziemlich cool, vor allem, wenn man bedenkt, wie viel davon sich gerade im aktuellen Design wiederfindet. So gesehen gehört da auch die etwas größere Bauhöhe dazu, da die ja dem Magnetfeldschutz und damit indirekt der Modellgeschichte geschuldet ist. Trotz allem ist die Milgauss nämlich ein “Gerät” und zwar eines, das sich mit anderen Geräten in vielen Laboren dieser Welt eine Eigenschaft teilt: dass nämlich die meisten Menschen nicht wissen, wofür es eigentlich gut ist.
Diejenigen aber, die um das Geheimnis dieses Geräts wissen, werden ewig fasziniert sein und sich ein Leben ohne es gar nicht mehr vorstellen können. Womit wir wieder bei der Magie und dem Zauberer wären, der die Milgauss auch ist: Sie zaubert Farben zusammen, die gar nicht zusammengehören und vermag es trotzdem, ästhetisch zu betören. Viele sind zwar gegen ihren Zauber immun, aber wenn sich eine Uhr, die blau und grün zu vereinen vermag, doch ganz gut verkaufen lässt, dann hat der liebe Gerald Genta ausnahmsweise mal Unrecht gehabt.
Facts
Ref.Nr.: 116400GV
Gehäuse: Durchmesser 40 mm, Höhe 13,2 mm, Länge 48 mm,, 100 m wasserdicht
Werk: Rolex Kaliber 3131, Automatik, Gangreserve 48 Stunden, magnetfeldgeschützt
Grünes Saphirglas
Noch ein paar Fotos, die verschiedene Blautöne einfangen sollten:
Gerne höre ich eure Meinungen zu diesem streitbaren Modell
Die Variante mit blauem Ziffernblatt konnte ich dann bei einem Konzi in Wien einmal befingern. Da war es fast schon um mich geschehen, wäre da nicht die etwas zu nette Verkäuferin in dem etwas zu schönen Juweliergeschäft gewesen, die hauptsächlich Uhren an Russen verkaufte und zu mir gar nicht den richtigen Draht finden wollte. Mir war das zu wenig seriös, obwohl es nach anderer Definition seriöser gar nicht ging! Die Uhr jedoch, die gefiel mir. So viel war sicher.
Die “erste richtige Uhr” ist dann doch eine ganze andere geworden, aber wie es oft so ist, die Milgauss ging mir nie aus dem Kopf. Obwohl sie zwischenzeitlich schon aus dem Fokus verschwand. Ich sprach dann so über sie: “... und Rolex überhaupt. Ich meine: Schau mal zum Beispiel die Milgauss. Da zahlt man mehr als 7.000 EUR und was bekommt man dafür? Eine Dreizeigeruhr mit einer Magnetfeldresistenz, die lächerlich ist”. Bei anderer Gelegenheit bezeichnete ich das Design der Milgauss gar als “clownesk”, ein Wort, das ich sonst in der gesprochenen Sprache überhaupt nie verwende.
Und trotzdem: Irgendwas war dran an dieser seltsamen Milgauss. Allein schon der Name war interessant, den ich einmal sogar “Milgooh” ausgesprochen hörte (auch clownesk eigentlich). Ich wusste, wer oder was Gauß war und warum die Uhr ihren Namen hatte. Und doch: Der Klang allein war schon faszinierend! Milgauss… Das klang irgendwie gefährlich radioaktiv, geheimnisvoll und kompliziert. Helle und dunkle Vokale klatschen da seltsam aneinander, Milgauss könnte der Name eines Zauberers sein. Und witzig: Genau so sieht sie auch aus!
Wie ich zu ihr kam, bezeichnet wohl am besten, wie sehr sie mir im Kopf geblieben ist, auch wenn ich inzwischen andere Uhren gekauft und geliebt hatte. Denn einmal ging ich mit dem festen Plan, eine Explorer zu erstehen, zu meinem Stammkonzi, der damals aber noch nicht mein Stammkonzi war, sondern einfach nur das genaue Gegenteil jenes Konzis in Wien: Klein, persönlich, Familienbetrieb, vor allem aber einfühlsam, denn der Herr begriff sofort, was ich für einer war. Ich war kein Russe, der ein Spielzeug für seinen Sohn kaufen wollte, sondern einer, der sich auf dem Weg gemacht hatte, um nachzugeben: Nämlich seine erste Rolex zu erwerben, obwohl er die Marke immer für blöd befunden hatte.
Der Herr legte mir seine Submariner um, schwörte auf die Qualität, er selber habe ja “einige” auch ältere Modelle. Die bleiben gut, so er, da müsse man sich keine Sorgen machen. Sorgen machte ich mir aber höchstens ob des Preises dieser “guten Uhren”. Ich ließ mir also die Explorer zeigen, von deren Schlichtheit ich immer schon angetan war, und war natürlich fasziniert und begeistert. Trotzdem musste ich fragen: “Haben Sie vielleicht auch eine Milgauss mit blauem Ziffernblatt da?” Eigentlich hoffte ich darauf, dass er keine hatte, das würde mich ja nur vom Kauf meiner Explorer ablenken. Ich müsste mir tatsächlich überlegen, ob ich, zauberte der Verkäufer da jetzt einen dieser Zauberer hervor, nicht doch … oder nein, du musst doch bei der Explorer bleiben, deswegen bist du ja hier. Ja, aber die Milgauss hatte ich ja immer schon im Auge. Mal sehen, ob er überhaupt eine da hat...
Der Verkäufer kam mit drei Milgäussen zurück. Einer weißen, einer schwarzen und einer blauen. Die weiße kam für mich nicht in Frage, die legte ich gleich zur Seite. Die Blaue kannte ich ja schon. Aber die schwarze? Die ohne dem grünen Saphirglas? “Die wird nicht mehr hergestellt, aber ich habe noch ein paar”, ließ mich der Verkäufer vielsagend wissen. War sie nicht das Beste aus beiden Welten? Mit dem schönen mattschwarzen Ziffernblatt, das ich bei der Explorer so schätzte und dem flashigen orangen Blitzsekundenzeiger? Mit der schönen applizierten Krone auf der 12-Uhr-Position? Aber ohne das grüne Saphirglas, womit ich durchaus leben könnte? Und dann noch der Umstand, dass sie “nicht mehr produziert” werde, der Herr aber “noch ein paar” habe (das hieß natürlich: es gibt nicht mehr viele, aber wenn, dann gibt es sie genau hier!). Das klang doch nach Kaufbefehl?
Die Explorer hatte ich mal zur Seite gelegt, zu schnöde kam sie mir plötzlich vor. “Du wirst doch jetzt nicht die Explorer kaufen, die bekommst du ja immer mal. Da liegen jetzt zwei Milgäusse, die eine genau die, die du schon immer toll fandest, und die andere, die dir auch gefällt und die nicht mehr gemacht wird!” Ich hatte mich soeben entschieden, den Grund meines Erscheinens gegen einen anderen auszutauschen, denn ich wollte jetzt natürlich eine Milgauss! Die Uhren wanderten von einer Hand in die andere, wurden an- und abgelegt, in allen Lagen begutachtet, sogar die Lume wurde von mir gecheckt. Keine Frage, das waren tolle Uhren. Aber welche sollte es denn nun werden?
Die Magie des Zauberers ließ mich einfach nicht mehr los. So sehr ich die relative Schlichtheit der schwarzen Milgauss schätzte: Wenn, dann sollte es schon die blaue sein! Und die Explorer? Die lag immer noch da. Wie ein verstoßener Hund. Ich warf noch einen Blick auf sie und versprach ihr leise “irgendwann hol ich auch dich zu mir!”. Die blaue Milgauss war übrigens die letzte Rolex, auf die ich einen Preisnachlass bekommen habe. Ich sagte dem netten Herren noch, dass er sich bei mir melden solle, wenn sein Vorrat an der schwarzen Milgauss zu Ende ginge. “Vielleicht”, so dachte ich, “kommt ja die auch noch zu mir”. Doch diesen Plan hatte ich schon nach wenigen Tagen mit der blauen Milgauss verworfen. Zwei so ähnliche Modelle wollte ich dann doch nicht haben und mit der blauen hatte ich, so denke ich noch heute, das Nonplusultra der Milgauss-Modelle in meinem Besitz.
(Außerdem fand ich mich ein knappes Jahr später wieder beim selben Konzi ein, um nun endlich die Explorer abzuholen, die ich mir ja eigentlich “damals” schon kaufen wollte, aber das ist eine andere Geschichte…)
Gehäuse und Ziffernblatt
Das Gehäuse der Milgauss ist eine interessante Variante des 40 mm-Oystercase, die ein bisschen bulliger daherkommt als z.B. die Explorer. Dies ist natürlich dem speziellen Faradaykäfig geschuldet, der das Werk vor Magnetfeldern schützen soll. Die Milgauss teilt sich dieses Gehäuse mit der modernen Airking-Variante. Und obwohl ich jemand bin, der ein bisschen Panik vor zu hohen Gehäusen hat, muss ich sagen, dass ich jenes der Milgauss als sehr harmonisch empfinde. Auch was den Tragekomfort anbelangt, ist dieses eines der besseren Gehäuse. Ja, sie baut ein wenig hoch (knapp über 13 mm), aber die Verhältnisse zu Durchmesser und Länge stimmen trotzdem. Sie bekommt einen etwas sportlicheren Look, die größere Krone unterstreicht dies und ist ein angenehmes und praktisches Detail. Das dickere Gehäuse unterstreicht den funktionalen Charakter und ist auch der Grund, warum sich die Milgauss allein schon des Gehäuses wegen weniger als Dresswatch eignet als etwa die Explorer oder die Oyster Perpetual. Das größere Gewicht steht ihr aber auch gut, die Milgauss “sitzt” richtig satt und angenehm auf dem Handgelenk und macht dort eine bessere Figur als so manch andere Uhr, die flacher ist.
Polierten Flanken Lünette geben ihr einen aalglatten Anstrich, der sich in den polierten Mittelgliedern des Armbandes fortsetzt. Das ist keine Outdoor-Uhr, sondern eine für Schreibtischtäter und eben - ihrer Historie gemäß - für Arbeiten in Laborumgebung. Sie fühlt sich optisch in einer Umgebung wohl, die von blinkenden Lämpchen, Leuchtdioden und Monitoren geprägt ist. Denn in einer solchen fallen ihre Auffälligkeiten nicht so sehr ins Gewicht. So richtig bewusst wurde mir das erstmals, als ich mit der Milgauss am Arm vor meiner Espressomaschine stand, deren Lämpchen für Wasserstand und Stromzufuhr in sattem Grün und Orange leuchteten. Die Kombination mit dem polierten Edelstahl ließ mich sofort an die Milgauss denken und plötzlich ergab alles einen Sinn: Die gewagte Farbkombination ist gar kein launiges Gimmick, sondern ein ein klarer Fall von “Visual Storytelling”. So ist auch das zirkoniumgebläute Ziffernblatt eigentlich ein Laborelement, das sich je nach Interaktion mit Licht anders verhält: Mal wirkt es blass, mal kräftig blitzblau, mal schimmert und reflektiert es, manchmal scheint es das Umgebungslicht zu schlucken. In Kombination mit dem grünem Saphirglas, dessen Rand bei bestimmten Lichtverhältnissen direkt zu leuchten beginnt, ergeben sich ständig neue Gesichter. Einzige Konstante ist der dauernd fliehende Blitz als Sekundenzeiger, ein oranger Akzent, der die verbindende Farbe zwischen allen aktuellen Milgaussmodellen bleibt.
Manche zweifeln daran, ob das Blau mit dem Orange so gut harmoniert. Und überhaupt: wenn dann noch ein Grün dazukommt? Dazu gibt es eine Anekdote von Jean Claude Biver, der, mit Gerald Genta im Zug sitzend, diesen frug, ober er denn meine, dass blau und grün zusammenpassten. Genta soll geradezu heftig reagiert haben: Biver solle doch nur aus dem Fenster blicken: Das Blau des Genfer Sees, darauf das Grün der Inseln - das habe doch der Schöpfer höchstpersönlich vollbracht! Wie könne er, Biver, ihn, Genta, nötigen, sich einer solchen Anmaßung schuldig zu machen, dass er, Genta, darüber entscheide, ob blau und grün zusammenpassten, wo dies doch offensichtlich sei! Es folgte einer der seltenen Momente, da Biver verstummte. Genta blickte weiter aus dem Fenster und setzte nach: “Aber wenn Sie mich fragen, ob sich eine grün-blaue Uhr verkaufen würde, dann muss ich sagen: selbstverständlich nicht!”
Den Grundsätzen der Farbenlehre mag die Uhr zwar widersprechen, aber sie ist zweifellos ein Hingucker und eines der auffälligsten Standardmodelle im Rolexkatalog. Und wenn man weiß, worauf man sich einlässt, dann funktioniert die Uhr optisch auf jeden Fall (was natürlich rein gar nichts über persönliche geschmackliche Vorlieben verrät!).
Armband und Schließe
Das Armband ist das dreigliedrige Oysterband mit polierten Mittel- und satinierten Außengliedern. Auch dies ein Spalter: Die einen können es nicht ausstehen, die anderen finden es elegant. Der Milgauss passt es meines Erachtens besser als ein rein satiniertes Band, da, wie schon erwähnt, damit der Indoor-Aspekt betont wird. Gleichzeitig finde ich das Oysterband mit den polierten Mittelgliedern irgendwie plastischer als das rein satinierte: Bei bestimmten Lichtverhältnissen geben die unterschiedlich finissierten Oberflächen dem Band mehr Textur, mehr Komplexität und Tiefe. Es ist paradox, aber gerade dadurch wirkt das Armband manchmal sogar tooliger als ein ganz gebürstetes es könnte. Überwiegen tut bei den meisten Lichtverhältnissen aber freilich der Bling-Effekt, den das Band von der polierten Lünette übernimmt.
Heikel wird das Glanzpolierte vor allem bei der Schließe: Die Laborarbeit am Computer hinterlässt bald Spuren, aber wenn man ein entspannter Uhrenträger ist, nimmt man diese Kratzer mit Gleichmut und sogar Dankbarkeit hin. Die Oysterclasp ist ansonsten eine der besten Schließen im Rolex-Lineup, weil sie schlank ist, einfach und sicher schließt und über die Easylink-Erweiterung verfügt. Damit hat sie den Schließen der Oyster-Perpetual-Modelle das Feature voraus, dass man das Armband rasch und einfach weiter stellen kann, wenn der Teilchenbeschleuniger nebenan mal heiß läuft und der Laborant zu schwitzen beginnt! Das Kronenlogo steht nur leicht hervor, sieht aber trotzdem sehr wertig aus und so läuft man nie Gefahr, zu vergessen, welche Uhr man gerade trägt.

Fazit
Die Rolex Milgauss ist eine funky Dreizeigeruhr aus dem bewährten Hause Rolex für alle, die “eigentlich keine Rolex wollen”, weil ihnen die Designs zu bieder oder altbacken sind. Nichtwisser würden hinter der grün-blau-orangen Schönheit niemals die Marke mit der Krone vermuten, was vielen sicherlich gefällt. Und trotzdem holt man sich mit der Milgauss eine quintessenzielle (um den Marketingsprech der Firma ein wenig zu verwursteln) Rolex ins Haus; mit der bewährten Qualität, dem typischen Oystergehäuse, einem ”Superlative Chronometer”-Standard (das bewährte Kaliber 3131) und einer Krone auf dem Ziffernblatt (wem das wichtig ist)! Der Magnetfeldschutz ist zwar da, aber mittlerweile weit weg vom Industriestandard (s. z.B. Omega Aqua Terra) und somit kein ernstzunehmendes Kaufargument. Die Historie finde ich persönlich doch ziemlich cool, vor allem, wenn man bedenkt, wie viel davon sich gerade im aktuellen Design wiederfindet. So gesehen gehört da auch die etwas größere Bauhöhe dazu, da die ja dem Magnetfeldschutz und damit indirekt der Modellgeschichte geschuldet ist. Trotz allem ist die Milgauss nämlich ein “Gerät” und zwar eines, das sich mit anderen Geräten in vielen Laboren dieser Welt eine Eigenschaft teilt: dass nämlich die meisten Menschen nicht wissen, wofür es eigentlich gut ist.
Diejenigen aber, die um das Geheimnis dieses Geräts wissen, werden ewig fasziniert sein und sich ein Leben ohne es gar nicht mehr vorstellen können. Womit wir wieder bei der Magie und dem Zauberer wären, der die Milgauss auch ist: Sie zaubert Farben zusammen, die gar nicht zusammengehören und vermag es trotzdem, ästhetisch zu betören. Viele sind zwar gegen ihren Zauber immun, aber wenn sich eine Uhr, die blau und grün zu vereinen vermag, doch ganz gut verkaufen lässt, dann hat der liebe Gerald Genta ausnahmsweise mal Unrecht gehabt.
Facts
Ref.Nr.: 116400GV
Gehäuse: Durchmesser 40 mm, Höhe 13,2 mm, Länge 48 mm,, 100 m wasserdicht
Werk: Rolex Kaliber 3131, Automatik, Gangreserve 48 Stunden, magnetfeldgeschützt
Grünes Saphirglas
Noch ein paar Fotos, die verschiedene Blautöne einfangen sollten:
Gerne höre ich eure Meinungen zu diesem streitbaren Modell

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