jo3861
Themenstarter

Es ist erst ein gutes halbes Jahr her, es war März, da schneite die kühlste Uhr, die ich je besaß, herein: die Grand Seiko SBGA211, genannt Snowflake. Sie blieb allerdings nicht lange: schon drei Monate später ging sie wieder als Teil eines Tauschgeschäfts gegen einen Uhrentraum, der nur so wahr werden konnte. Aber sie hinterließ doch eine Lücke und ich suchte nach einem Nachfolger mit Spring Drive – eine gleitende Sekunde sollte es unbedingt wieder sein. Eigentlich suchte ich dieses Mal eine Grand Seiko mit Leuchtmasse (Lume), fand aber kein Modell, das mich restlos überzeugte. Da las ich hier im Forum die Ankündigung einer neuen GS, der SBGA427. Eine der beiden Varianten der Jahreszeitenserie mit dem Namen „sōkō“ – im japanischen Kalender das Ende des Herbstes, der erste Frost. Leider gab es die Uhr nur exklusiv für die USA.

Zwar hat diese Uhr keine Leuchtmasse, dafür aber – wie auch die Snowflake – die schönen hochglänzenden, messerscharfen Zeiger, die man zwar nicht im Dunkeln, aber auch bei schwächstem Licht gut ablesen kann. Mich begeistert(e) die Farbgebung: grüne Sekunde, gleichfarbene Gangreserve und ein aufgesetztes, goldenes GS-Logo. Zudem ist das Gehäuse etwas kleiner und flacher als das der Snowflake: 39mm Durchmesser bei 12,5mm Höhe, das ist für Grand Seiko-Verhältnisse flach. Bei Hodinkee, dem großen US-Onlinehändler, war am Abend der Ankündigung, dem 12. Juni, genau noch eine Uhr für eine Vorbestellung verfügbar. Ich konnte also nicht lange überlegen. Was mich zum Sofortkauf bewog, war das beigelegte zweite Armband aus Leder und der für GS-Verhältnisse relativ zivile Preis. Also geklickt, bezahlt und dann … lange gewartet.

Eigentlich sollte die Uhr Anfang bis Mitte Juli ausgeliefert werden, aber es kam natürlich anders. Anfang August hieß es immerhin, man sei hoffnungsvoll, Mitte August teilte man mir mit, das „exotische“ Lederband (Krokodil) dürfe nicht exportiert werden und bot ein Lederband meiner Wahl als Ersatz an, was ich akzeptierte. Immerhin hat Hodinkee sehr wertige, schöne Bänder im Angebot und es bot sich mir die Chance auf eine „verrückte“, knallige Farbe, siehe Fotos unten. Überdies war Ich froh, die Uhr überhaupt geliefert zu bekommen, denn unmittelbar nach meiner Bestellung wurde das Modell nur noch „US only“ angeboten; ich nehme an, wegen der Exportbeschränkung des Lederbandes. Nach einer weiteren Verzögerung kam die Uhr am 1. September endlich an. Mit einer netten, handgeschriebenen Entschuldigung, dem alternativen Lederband, der demontierten Faltschließe des Originallederbandes und einem als Pardon beigelegten Travel Case, dessen Wert, genauer gesagt dessen Verkaufspreis, mir, als ich das später mal nachschaute, schier den Atem verschlug – dafür kann man schon eine schlichte Markenquartzuhr kaufen!

Für eine Grand Seiko ist das Case eine angemessene Herberge. Wer schon einmal eine solche Uhr in natura betrachten konnte, weiß um die normalerweise perfekte Verarbeitung, die Zaratsu-Politur, die funkelnden Zeiger. Bei meiner sōkō sind es zudem grandiose Farben, die zusammen mit dem feinlinierten Zifferblatt an einen Bambuswald erinnern. All das erzeugt wirklich eine große Harmonie – das hervorstechende Merkmal vieler GS-Modelle! Dazu trägt natürlich auch die berühmte gleitende Sekunde bei. Statt einer mechanischen Hemmung, die zwei bis fünfmal pro Sekunde den Sekundenzeiger weiterrücken lässt und ihn immer wieder ausbremst, regelt beim Spring Drive eine elektromagnetische Hemmung, die von einem Quartz kontrolliert wird, den Gang. Der notwendige Strom wird von einem Mikrodynamo im gleichen Bauteil erzeugt, die Bewegungsenergie dazu stammt von einem gewöhnlichen Federaufzug. Daher auch der Name Spring Drive (der natürlich nicht Frühlings-Antrieb bedeutet, womit meine Überschrift spielt). Hier ist der Ablauf kontinuierlich und die Hemmung arbeitet berührungslos – mehr dazu hier. Dadurch ist der Verschleiß minimal. Hätte die Uhr nicht eine normale Aufzugsautomatik, müsste sie höchstens alle zehn Jahre mal zur Revision. Zudem arbeiten die Werke hochpräzise, nach meiner Erfahrung stets mit Vorläufen im einstelligen Sekundenbereich pro Monat.

Erfunden hat das Ganze der Seiko-Ingenieur Yoshikazu Akahane schon in den 1970er Jahren. Bis zur Marktreife dauerte es allerdings ein Vierteljahrhundert. Es ist das Zusammenführen zweier Techniken: der Präzision eines Quartz-Taktgebers mit einem mechanischem Uhrwerk. Gedacht und ausgeführt als die Symbiose des Besten aus beiden Welten. Ob man ein Spring Drive noch „mechanisch“ nennen darf, hat in diesem und anderen Uhrenforen schon heftigste Diskussionen ausgelöst (siehe zum Beispiel hier). Es ist mir aber vollkommen egal: ich plädiere für die friedliche Kooexistenz aller Uhrwerke!
Als einzige mechanische Uhr hätte ich mir allerdings kein Spring Drive ausgesucht, denn diese Konstruktion hat als einzigen Nachteil: sie tickt nicht – eben wegen der berührungsfreien Hemmung. Wer aber mehr als eine Uhr besitzt oder sowieso schwerhörig ist, sollte unbedingt über die Anschaffung einer Seiko mit Spring Drive nachdenken

Ich bin mit meiner neuen Grand Seiko glücklicher als mit der verflossenen Snowflake, was an dem kleineren Gehäuse und den Farben liegt. Zwar werden mir Snowflake-Träger kaum zustimmen, aber mir gefällt das Zifferblatt mit den feinen Linien besser, auch wenn es natürlich weniger aufwändig und wertig ist. Ich trage die Uhr mal an dem mintgrünen Nubuckleder- und an dem ebenso bequemen Stahlband.
P.S.: Die Kontemplation, die (mir) das Ticken eines Uhrwerks ermöglicht, kann das Spring Drive durch das Betrachten der gleitenden Sekunde ersetzen!

Technische Daten:
- Durchmesser Gehäuse: 39mm, Horn-zu-Horn: 46,5mm, Höhe: 12,5mm
- Material des Gehäuses: Edelstahl, Saphirglas innen entspiegelt, Sichtboden
- Band: Stahl mit Sicherheitsfaltschließe, keine Schnellverstellung, Breite des Bandanstoßes: 19mm
- Wasserdichtigkeit: 10 bar (100 m), Krone verschraubt
- Kaliber des Werkes: 9R65 (Spring Drive mit Datum, Automatikaufzug bidirektional, Handaufzug möglich), Sekundenstopp, Datum-Schnellverstellung
- Gangreserve: 72 Stunden
- Gangabweichung: +5sec/Monat


Sonnenobservatorium am Handgelenk

Grüner geht's nicht!

Mangels Bambus im Hunsrück: schlichtes Stroh

Zwei 39mm-Uhren im Vergleich
Zuletzt bearbeitet: