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- 13.02.2013
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Im Jahr 1867 brachte G.F. Roskopf eine Taschenuhr mit einem neuartigen Werksaufbau auf den Markt. Seine ‘Montre Prolétaire’, die er selbst noch weiterentwickelte, wurde ein grosser Erfolg und noch jahrzehntelang fast unverändert oder später auch vereinfacht von verschiedenen Herstellern weitergebaut.
In einem älteren Thread habe ich schon eine typische Uhr nach Roskopf-Bauweise gezeigt und die Merkmale einer Roskopf-Uhr erläutert. Dort kann man auch das Ur-Modell sehen, die ‘Montre Prolétaire’ von 1867:
Chronometro Naval ‘Perfecto Vallès Ayerbe’ und das Roskopf-Prinzip
Neben den typischen Roskopf-Uhren, die jahrzehntelang von G.F. Roskopfs Nachfolgern (Wille Frères) und, nach Ablauf der relevanten Patente, von zahlreichen Nachahmern in verschiedenen Qualitätsstufen gebaut wurden, gab es auch ungewöhnliche Werkskreationen, die auf das Roskopf-Prinzip zurückgehen.
Ich möchte euch heute eine neue Uhr aus meiner Sammlung mit einem technisch ungewöhnlichen Werk zeigen, das einen Aufbau wie ein Roskopf-Werk hat, ohne Zentrumsrad und mit indirektem Zeigerantrieb durch das Federhaus, aber mit einer Schweizer Palettenankerhemmung und einer Kompensationsunruh. Anstatt also dem üblichen Trend anderer Hersteller bei der Weiterentwicklung von Roskopf-Werken zu folgen, möglichst viel zu sparen und alles noch einfacher und billiger zu bewerkstelligen, was sich natürlich nicht positiv auf die Qualität auswirkte, entwickelte die Uhrenfabrik F. Bachschmid in Biel, später umbenannt in Orion Watch Co., besonders hochwertige Roskopf-Werke. Diese gemeinfreie Abbildung einer Bachschmid-Werbung von 1890 habe ich den unten zitierten Watch-Wiki-Artikeln entnommen:
Gründer der Uhrenfabrik, die seit 1880 bestand, war Ferdinand Bachschmid (geboren 1848 in Kempten D, gestorben 1911 in Biel CH). Er besass mehrere Patente für «verbesserte Roskopfuhren», das Patent für meine Uhr von 1904 wurde aber schon von den Herren Brandt und Hofmann, den nachfolgenden Firmenbesitzern eingereicht. In diesen zwei Watch-Wiki-Artikeln kann man mehr erfahren über Ferdinand Bachschmid und seine Uhrenfirma:
Uhrenfabrik F. Bachschmid – Watch-Wiki
Bachschmid, Ferdinand – Watch-Wiki
Die Uhr hat ausserdem eine indirekte Zentralsekunde und die ist natürlich ganz anders ausgeführt als bei einem Werk mit normalem Räderwerksaufbau und mit zentralem Minutenrad. Diese Technik möchte ich kurz darstellen.
Doch hier zunächst ein paar Bilder vom Äusseren der Uhr, die nicht nur technisch ausgefallen und interessant ist, sondern mir auch noch sehr gut gefällt:
Die Uhr hat einen Durchmesser von 51mm, ist 16mm dick und wiegt genau 90g.
Das Zifferblatt besteht aus weissem Emaille. Unter der Zwölf ist es beschriftet mit ‘F.Bachschmid / Etat’. Ganz aussen gibt es eine ‘Minuterie’, besser gesagt eine Skala für die Minuten und die Sekunden, denn die Uhr hat ja einen zentralen Sekundenzeiger. Nach Art einer Chronographen-Anzeige sind die Sekunden noch durch Teilstriche in je 5 Teile unterteilt (bei einer Schwingfrequenz von 18'000 A/h entspricht diese Anzeige den Schritten des Sekundenzeigers). Jede fünfte Minute bzw. Sekunde ist fett durch ein kleines Dreieck hervorgehoben, dies sind auch die Stundenmarkierungen. Die Ante-Meridiem Stunden von I bis XII sind römisch, die Post-Meridiem-Stunden von 13 bis 24 sind arabisch, beide gleich gross dargestellt. Die arabischen Zahlen sind rot, der Rest des Blattdekors schwarz gefärbt. Die Zeiger bestehen aus gebläutem Stahl, der Stundenzeiger ist ein Birnenzeiger, der Minutenzeiger ein taillierter, zugespitzter Stabzeiger (Poirés Anglaises / Spade and Whip), nur der schmale Zentralsekundenzeiger ist geschwänzt, am Ende mit einer kleinen blattförmigen Kelle.
Das Zifferblatt war an zwei Stellen über den Zifferblattfüssen beschädigt und schlecht geflickt. Ich habe das so gut kaschiert, wie ich konnte und das Gehäuse neu poliert.
Das Gehäusematerial ist nicht spezifiziert, aber es handelt sich sicher um Argentan. Beide Deckel sind Pressdeckel, einen inneren Staubdeckel gibt es nicht. In der Mitte des Rückendeckels ist die Handelsmarke von F. Bachschmid eingepunzt, innen im Deckel ist eine Nummer eingepunzt.
Die Krone aus Messing (konisch, ehemals wohl silberfarben beschichtet) ist leider schon sehr stark abgenutzt, oben wurden auch schon neue Kerben eingefeilt, um die Griffigkeit wieder zu erhöhen.

Das Werk besteht aus Messing ohne Vergoldung oder andere Oberflächenvergütung und hat einen Aufbau wie ein Roskopf-Werk: ohne Zentrumsrad, das grosse Federhaus geht über die Werksmitte, Zeigerantrieb (Minute / Stunde) indirekt über ein Wechselrad mit 2 Trieben auf der Federhausvorderseite, alle Räder dezentral angeordnet, ein Rad eingespart im Räderwerk.
Die Uhr hat eine Kupplungsschaltung per Drücker.
Das Design des Werks orientiert sich ebenfalls am Roskopf-Vorbild mit der aufgeschraubten Brücke für Kronrad, Sperrad und das zweiteilige Gesperr aus Sperrhaken und Sperrfeder. Auf dieser Brücke ist die Handelsmarke von F. Bachschmid eingepunzt.
Aber es gibt keine Stiftankerhemmung mit einem Seitenanker, sondern eine Kolbenzahnhemmung 'à ligne droite' mit einem kurzen Anker. Die symmetrische halbkreisförmige Ankerbrücke mit ihren zwei Schrauben befindet sich unter dem Unruhreif und ist auf dem ersten Werksfoto oben durch die Beleuchtung hell hervorgehoben. Leider ist das Ankerlager und die Spitze des Ankers mit den Paletten durch den Unruhreif und seine Schrauben auf allen Fotos teilweise verdeckt.
Auf diesem Detailfoto ist die Unruh gut zu erkennen, eine bimetallische, angeschnittene Kompensationsunruh mit 16 Schrauben und einer gebläuten Flachspirale. Links im Bild neben der Unruh ist der schön geschwungene massive Ankerradkloben zu sehen. Der Anker ist auf allen Fotos grossteils verdeckt, aber man erkennt auf einigen Fotos deutlich Teile des Ankerrades mit den typischen Kolbenzähnen einer Schweizer Ankerhemmung. Das Ankerrad besteht nicht aus Stahl, sondern aus einer Bronze / Messing-Buntmetalllegierung. Dies könnte einerseits aus Gründen der Kostenersparnis erfolgt sein, ist aber auch andererseits ein verbreitetes Merkmal für Uhren der Jahrhundertwende, die unempfindlich sein sollten gegen Magnetismus (F. Bachschmid warb u.a. mit der Eigenschaft «Nicht magnetische Uhren»). Die übrigen Räder und das Federhaus liegen unter einer gemeinsamen Deckplatine, dieser Teil des Werkes ist als Pfeilerwerk ausgeführt, wie allgemein bei einem Roskopf-Werk üblich.
Das Werk entspricht genau dem geschilderten Werk in dem Schweizer Patent 27553 von 1904. Bei der Patentschrift (Brevet additionnel 27553/463 datiert auf den 29.Februar 1904) wird als Autor / Patent-Antragsteller die ‘Orion Watch Co Brandt & Hofmann’, Biel genannt. Dort wird vor allem auf die Anordnung und Form des Ankers eingegangen. Die Lager des kurzen Ankers liegen noch innerhalb des Radius des Unruhreifs, es ist ein gerader Anker, kein Seitenanker. Unruhachse, Ankerachse und Ankerradachse liegen auf einer Linie (ancre à ligne droite). Auf den Zeichnungen ist die Ankerform gut zu erkennen (a = Anker, c = Ankerrad, b = Unruh, d = halbkreisförmige Ankerbrücke).
Der Werksdurchmesser des realen Werks beträgt gesamt: 44 mm = 19 ½ Linien, Einbaudurchmesser hinter der Grundplatine 42 mm.
Da ich das Zifferblatt nicht abgenommen und die Unruh nicht ausgebaut habe, kann ich die Anzahl der Steine nicht sicher angeben. Mal angenommen, die Unruh hat eine Hebelscheibe mit Ellipsenstein und die unsichtbaren vorderen Lager sind gleich besteint wie die sichtbaren hinteren, so hätte die Uhr 13 Rubis (Unruh 5, Anker 4, Ankerrad 2, zweites Rad 2)
Von dem Werk gibt es verschiedene Varianten: ohne Sekunde, mit Zentralsekunde wie bei meiner Uhr und mit kleiner Sekunde und dafür einem zusätzlichen Rad im Räderwerk.
linkes Foto: Des montres de gousset en veux-tu ? en voila ! - von User galuppiau
rechtes Foto: delcampe.net, zitiert auf der Seite: [ICI vos demandes d'IDENTIFICATION de Montres de Poches] - part 3 - Page 39 von User ThomasBXL
Man findet auch verschiedene Qualitätsstufen bezüglich der Unruh. Es gibt 1) Kompensations-Schraubenunruh mit Breguetspirale, 2) Kompensations-Schraubenunruh mit Flachspirale (wie mein Exemplar), 3) dreispeichige Ringunruh mit Flachspirale (wie die beiden Fotos oben und in der Patentzeichnung).
Besonders interessant finde ich die indirekte Zentralsekunde. Bei einem Werk nach Roskopf-Bauart gibt es ja kein Zentrumsrad, die Zeiger werden indirekt vom Federhaus angetrieben. Es gibt auf der Zifferblattseite einen festen zentralen Zapfen, auf den das Minutenrohr und Stundenrohr locker aufgesteckt werden.
Ich habe meine Uhr nicht zerlegt. Da werde ich mich hüten, da sie hervorragend funktioniert. Sie soll bald eine Revision durch einen richtigen Uhrmacher bekommen. Dann werde ich noch einige Informationen und wohl auch Bilder nachliefern können.
Trotzdem kann ich hier schon schildern, wie die indirekte Sekunde ausgeführt ist. Ich hatte eine kurze Schilderung meiner Bachschmid-Uhr bereits im PocketWatch-Forum gepostet:
PocketWatch Forum • Anmelden
(man muss als User dort angemeldet sein, um das lesen zu können, empfehlenswertes Forum!). Das dortige Forumsmitglied Peter (beta21) hatte erst neulich eine Bachschmid (nicht das gleiche Kaliber, aber ähnlich, indirekte Sekunde quasi gleich) zerlegt und revidiert. Er konnte noch weitere Details des Aufbaues nennen und sogar ein Bild der indirekten Sekunde bei dem zerlegten Werk zeigen. Dieses Bild von Peter (beta21) darf ich mit seiner Erlaubnis auch hier zeigen. Dafür noch einmal vielen Dank!
Bei einer indirekten Zentralsekunde für ein konventionell aufgebautes Werk mit zentralem Minutenrad, wird die Sekundenwelle von ganz hinten durch die hohle Minutenradwelle hindurchgesteckt. Die Bauteile der indirekten Zentralsekunde befinden sich deutlich sichtbar als zusätzlicher Aufbau hinten auf dem Werk. Bei einem Werk mit Roskopf-Aufbau gibt es hingegen kein Zentrumsrad in der Werksmitte. Die Welle der Zentralsekunde geht durch den zifferblattseitigen hohlen Zapfen, auf dem Minuten- und Stundenrohr sitzen, nur bis auf die Werksseite der Grundplatine, das Sekundentrieb läuft am Werksboden und die Bauteile der Zentralsekunde sind fast ganz oder vollständig im Werksinneren verborgen.
Bei der Bachschmid ist der zentrale Zapfen auf der Zifferblattseite, der die Achse für das Minuten- und das Stundenrohr bildet, nicht massiv, sondern ein hohles Rohr . Auf der Werksseite gibt es ein zentrales Loch in der Grundplatine. Die Sekundenwelle, auf deren vorderer Spitze der Zeiger sitzt und das Sekundentrieb, ein flaches Zahnrad an der hinteren Spitze der Welle, sind nicht zusammengenietet, sondern sind zwei getrennte Bauteile. Die Welle wird von der Vorderseite her ins zifferblattseitige Rohr geführt, und durch das zentrale Loch in der Grundplatine bis auf die Werksseite, die Welle hat einen Ansatz, der die Höhenluft nach oben bestimmt. Das Sekundentrieb-Zahnrad wird danach von der Hinterseite her auf die Welle festgeschlagen (die beiden Teile sind dann fest aber lösbar miteinander verbunden). Dadurch fällt die Notwendigkeit einer werkseitigen Brücke weg, durch den Ansatz auf der Sekundenwelle wird die Höhenposition des Sekundentriebs fixiert, sodass es im Eingriff mit dem zweiten Rad bleibt und nicht am Federhaus reibt.
Auf diesem Detailfoto kann man in der Werksmitte am Boden das Sekundentrieb erkennen, ein flaches Zahnrad, darüber erkennt man den mächtigen Zahnkranz des Federhauses, von dem das Sekundentrieb teilweise verdeckt wird:
Ich habe hier einmal versucht, der Patentzeichnung das Sekundentrieb hinzuzufügen und ein Schema von der Seite anzufertigen (stark vereinfachtes Schema, Zifferblattseite oben).
Alle Räderwerksräder liegen dezentral. Das Sekundentrieb erhält seinen Antrieb vom zweiten Rad des Räderwerks, das neben dem Ankerrad liegt (auf der Position, die sonst das Sekundenrad hat), dessen äusserer grosser Zahntrieb am Radreif und die Zähne des Sekundentriebs greifen ineinander.
Zur Verdeutlichung der Details kann ich hier das Foto von Peter (beta21) eines bis auf die Grundplatine zerlegten Bachschmid-Werkes zeigen. Man sieht das Sekundentrieb in der Werksmitte und im Eingriff der Verzahnung das etwas grössere fünfspeichige zweite Rad des Räderwerks, das noch grössere erste Rad des Räderwerks ist gekippt.
Das Sekundentrieb mit einem Umlauf pro 60 sec hat 45 Zähne. Das zweite Rad von dem es den Antrieb erhält, hat 72 Zähne. Das Zahlenverhältnis der beiden Räder gibt Auskunft über ihre Umlaufgeschwindigkeit. Das zweite Rad braucht die 1,6fache Zeit des Sekundentriebs, also 96 Sekunden, deshalb wäre die Bezeichnung ‘Sekundenrad’ für dieses zweite Rad irreführend, auch wenn es neben dem Ankerrad sitzt (Das Zahnzahlverhältnis und die Umlaufzeit könnte bei meinem Bachschmid-Kaliber etwas anders sein als bei dem fotografierten Werk, es ist aber als sicher anzunehmen dass das zweite Rad auch hier langsamer ist als das Sekundentrieb). Das zweite Rad läuft ausserdem in der Gegenrichtung eines normalen Sekundenrades, würde man darauf einen Zeiger stecken, liefe er im Gegenuhrzeigersinn. Wenn das nicht so wäre, müsste bei der Konstruktion der indirekten Zentralsekunde noch ein Zwischenrad eingeschaltet werden.
Die Übersetzung in dem Bachschmid-Kaliber ist anders als in einem konventionellen Ankerwerk, keines der Räder im Räderwerk hat eine Umlaufdauer von einer Minute (Sekundenrad) oder von einer Stunde (Minutenrad).
Das Ankerrad des Bachschmid-Werks hat nur 15 Zähne. Bei einem normal aufgebauten Werk mit zentralem Minutenrohr und einer Schwingungsfrequenz von 18'000 A/h hat das Ankerrad 16 Zähne. Herkömmliche Roskopf-Werke mit Stiftankerhemmung haben Ankerräder mit 18 Zähnen und schwingen langsamer als 18'000 A/h..
Christoph Lorenz beschreibt und zeigt in seinem Uhrwerksarchiv ein später, ca. in den 1930ern entstandenes, ähnliches Werk mit Roskopf-Aufbau und ganz ähnlicher indirekter Zentralsekunde, das AS 1199:
AS 1199
Anders als beim Bachschmid-Kaliber, bei dem das Trieb der indirekten Zentralsekunde werksseitig auf der Hinterseite der Grundplatine gelagert ist, ist das Sekundentrieb beim AS 1199 vorn auf der Zifferblattseite gelagert. Der zentrale hohle Zapfen, durch den hindurch die Sekundenwelle geführt wird und der als Achse für das Minuten- und Stundenrohr dient, befindet sich auf einem Plättchen und wird am Schluss darüber festgeschraubt (beim Bachschmid-Kaliber ein fester hohler Zapfen auf der Zifferblattseite).
Das Ankerrad des AS 1199 hat 15 Zähne wie das ähnliche Bachschmid-Kaliber. Dieses Werk schwingt mit 18'000 A/h. Ich besitze leider keine Zeitwaage, deshalb bleibt die Frequenz des Bachschmid-Kalibers noch bis zur bevorstehenden Werksrevision unbekannt.
Ui, nun habe ich sogar noch einen Cliffhanger hinbekommen, der eine schier unerträgliche Spannung bis zur Fortsetzung erzeugt. Was mag nur die Frequenz des Werkes sein?
Da soll noch einer sagen, die Verzahnung im Räderwerk sei ein trockenes Thema!
Gruss Andi
In einem älteren Thread habe ich schon eine typische Uhr nach Roskopf-Bauweise gezeigt und die Merkmale einer Roskopf-Uhr erläutert. Dort kann man auch das Ur-Modell sehen, die ‘Montre Prolétaire’ von 1867:
Chronometro Naval ‘Perfecto Vallès Ayerbe’ und das Roskopf-Prinzip
Neben den typischen Roskopf-Uhren, die jahrzehntelang von G.F. Roskopfs Nachfolgern (Wille Frères) und, nach Ablauf der relevanten Patente, von zahlreichen Nachahmern in verschiedenen Qualitätsstufen gebaut wurden, gab es auch ungewöhnliche Werkskreationen, die auf das Roskopf-Prinzip zurückgehen.
Ich möchte euch heute eine neue Uhr aus meiner Sammlung mit einem technisch ungewöhnlichen Werk zeigen, das einen Aufbau wie ein Roskopf-Werk hat, ohne Zentrumsrad und mit indirektem Zeigerantrieb durch das Federhaus, aber mit einer Schweizer Palettenankerhemmung und einer Kompensationsunruh. Anstatt also dem üblichen Trend anderer Hersteller bei der Weiterentwicklung von Roskopf-Werken zu folgen, möglichst viel zu sparen und alles noch einfacher und billiger zu bewerkstelligen, was sich natürlich nicht positiv auf die Qualität auswirkte, entwickelte die Uhrenfabrik F. Bachschmid in Biel, später umbenannt in Orion Watch Co., besonders hochwertige Roskopf-Werke. Diese gemeinfreie Abbildung einer Bachschmid-Werbung von 1890 habe ich den unten zitierten Watch-Wiki-Artikeln entnommen:
Gründer der Uhrenfabrik, die seit 1880 bestand, war Ferdinand Bachschmid (geboren 1848 in Kempten D, gestorben 1911 in Biel CH). Er besass mehrere Patente für «verbesserte Roskopfuhren», das Patent für meine Uhr von 1904 wurde aber schon von den Herren Brandt und Hofmann, den nachfolgenden Firmenbesitzern eingereicht. In diesen zwei Watch-Wiki-Artikeln kann man mehr erfahren über Ferdinand Bachschmid und seine Uhrenfirma:
Uhrenfabrik F. Bachschmid – Watch-Wiki
Bachschmid, Ferdinand – Watch-Wiki
Die Uhr hat ausserdem eine indirekte Zentralsekunde und die ist natürlich ganz anders ausgeführt als bei einem Werk mit normalem Räderwerksaufbau und mit zentralem Minutenrad. Diese Technik möchte ich kurz darstellen.
Doch hier zunächst ein paar Bilder vom Äusseren der Uhr, die nicht nur technisch ausgefallen und interessant ist, sondern mir auch noch sehr gut gefällt:
Die Uhr hat einen Durchmesser von 51mm, ist 16mm dick und wiegt genau 90g.
Das Zifferblatt besteht aus weissem Emaille. Unter der Zwölf ist es beschriftet mit ‘F.Bachschmid / Etat’. Ganz aussen gibt es eine ‘Minuterie’, besser gesagt eine Skala für die Minuten und die Sekunden, denn die Uhr hat ja einen zentralen Sekundenzeiger. Nach Art einer Chronographen-Anzeige sind die Sekunden noch durch Teilstriche in je 5 Teile unterteilt (bei einer Schwingfrequenz von 18'000 A/h entspricht diese Anzeige den Schritten des Sekundenzeigers). Jede fünfte Minute bzw. Sekunde ist fett durch ein kleines Dreieck hervorgehoben, dies sind auch die Stundenmarkierungen. Die Ante-Meridiem Stunden von I bis XII sind römisch, die Post-Meridiem-Stunden von 13 bis 24 sind arabisch, beide gleich gross dargestellt. Die arabischen Zahlen sind rot, der Rest des Blattdekors schwarz gefärbt. Die Zeiger bestehen aus gebläutem Stahl, der Stundenzeiger ist ein Birnenzeiger, der Minutenzeiger ein taillierter, zugespitzter Stabzeiger (Poirés Anglaises / Spade and Whip), nur der schmale Zentralsekundenzeiger ist geschwänzt, am Ende mit einer kleinen blattförmigen Kelle.
Das Zifferblatt war an zwei Stellen über den Zifferblattfüssen beschädigt und schlecht geflickt. Ich habe das so gut kaschiert, wie ich konnte und das Gehäuse neu poliert.
Das Gehäusematerial ist nicht spezifiziert, aber es handelt sich sicher um Argentan. Beide Deckel sind Pressdeckel, einen inneren Staubdeckel gibt es nicht. In der Mitte des Rückendeckels ist die Handelsmarke von F. Bachschmid eingepunzt, innen im Deckel ist eine Nummer eingepunzt.
Die Krone aus Messing (konisch, ehemals wohl silberfarben beschichtet) ist leider schon sehr stark abgenutzt, oben wurden auch schon neue Kerben eingefeilt, um die Griffigkeit wieder zu erhöhen.

Das Werk besteht aus Messing ohne Vergoldung oder andere Oberflächenvergütung und hat einen Aufbau wie ein Roskopf-Werk: ohne Zentrumsrad, das grosse Federhaus geht über die Werksmitte, Zeigerantrieb (Minute / Stunde) indirekt über ein Wechselrad mit 2 Trieben auf der Federhausvorderseite, alle Räder dezentral angeordnet, ein Rad eingespart im Räderwerk.
Die Uhr hat eine Kupplungsschaltung per Drücker.
Das Design des Werks orientiert sich ebenfalls am Roskopf-Vorbild mit der aufgeschraubten Brücke für Kronrad, Sperrad und das zweiteilige Gesperr aus Sperrhaken und Sperrfeder. Auf dieser Brücke ist die Handelsmarke von F. Bachschmid eingepunzt.
Aber es gibt keine Stiftankerhemmung mit einem Seitenanker, sondern eine Kolbenzahnhemmung 'à ligne droite' mit einem kurzen Anker. Die symmetrische halbkreisförmige Ankerbrücke mit ihren zwei Schrauben befindet sich unter dem Unruhreif und ist auf dem ersten Werksfoto oben durch die Beleuchtung hell hervorgehoben. Leider ist das Ankerlager und die Spitze des Ankers mit den Paletten durch den Unruhreif und seine Schrauben auf allen Fotos teilweise verdeckt.
Auf diesem Detailfoto ist die Unruh gut zu erkennen, eine bimetallische, angeschnittene Kompensationsunruh mit 16 Schrauben und einer gebläuten Flachspirale. Links im Bild neben der Unruh ist der schön geschwungene massive Ankerradkloben zu sehen. Der Anker ist auf allen Fotos grossteils verdeckt, aber man erkennt auf einigen Fotos deutlich Teile des Ankerrades mit den typischen Kolbenzähnen einer Schweizer Ankerhemmung. Das Ankerrad besteht nicht aus Stahl, sondern aus einer Bronze / Messing-Buntmetalllegierung. Dies könnte einerseits aus Gründen der Kostenersparnis erfolgt sein, ist aber auch andererseits ein verbreitetes Merkmal für Uhren der Jahrhundertwende, die unempfindlich sein sollten gegen Magnetismus (F. Bachschmid warb u.a. mit der Eigenschaft «Nicht magnetische Uhren»). Die übrigen Räder und das Federhaus liegen unter einer gemeinsamen Deckplatine, dieser Teil des Werkes ist als Pfeilerwerk ausgeführt, wie allgemein bei einem Roskopf-Werk üblich.
Das Werk entspricht genau dem geschilderten Werk in dem Schweizer Patent 27553 von 1904. Bei der Patentschrift (Brevet additionnel 27553/463 datiert auf den 29.Februar 1904) wird als Autor / Patent-Antragsteller die ‘Orion Watch Co Brandt & Hofmann’, Biel genannt. Dort wird vor allem auf die Anordnung und Form des Ankers eingegangen. Die Lager des kurzen Ankers liegen noch innerhalb des Radius des Unruhreifs, es ist ein gerader Anker, kein Seitenanker. Unruhachse, Ankerachse und Ankerradachse liegen auf einer Linie (ancre à ligne droite). Auf den Zeichnungen ist die Ankerform gut zu erkennen (a = Anker, c = Ankerrad, b = Unruh, d = halbkreisförmige Ankerbrücke).
Der Werksdurchmesser des realen Werks beträgt gesamt: 44 mm = 19 ½ Linien, Einbaudurchmesser hinter der Grundplatine 42 mm.
Da ich das Zifferblatt nicht abgenommen und die Unruh nicht ausgebaut habe, kann ich die Anzahl der Steine nicht sicher angeben. Mal angenommen, die Unruh hat eine Hebelscheibe mit Ellipsenstein und die unsichtbaren vorderen Lager sind gleich besteint wie die sichtbaren hinteren, so hätte die Uhr 13 Rubis (Unruh 5, Anker 4, Ankerrad 2, zweites Rad 2)
Von dem Werk gibt es verschiedene Varianten: ohne Sekunde, mit Zentralsekunde wie bei meiner Uhr und mit kleiner Sekunde und dafür einem zusätzlichen Rad im Räderwerk.
linkes Foto: Des montres de gousset en veux-tu ? en voila ! - von User galuppiau
rechtes Foto: delcampe.net, zitiert auf der Seite: [ICI vos demandes d'IDENTIFICATION de Montres de Poches] - part 3 - Page 39 von User ThomasBXL
Man findet auch verschiedene Qualitätsstufen bezüglich der Unruh. Es gibt 1) Kompensations-Schraubenunruh mit Breguetspirale, 2) Kompensations-Schraubenunruh mit Flachspirale (wie mein Exemplar), 3) dreispeichige Ringunruh mit Flachspirale (wie die beiden Fotos oben und in der Patentzeichnung).
Besonders interessant finde ich die indirekte Zentralsekunde. Bei einem Werk nach Roskopf-Bauart gibt es ja kein Zentrumsrad, die Zeiger werden indirekt vom Federhaus angetrieben. Es gibt auf der Zifferblattseite einen festen zentralen Zapfen, auf den das Minutenrohr und Stundenrohr locker aufgesteckt werden.
Ich habe meine Uhr nicht zerlegt. Da werde ich mich hüten, da sie hervorragend funktioniert. Sie soll bald eine Revision durch einen richtigen Uhrmacher bekommen. Dann werde ich noch einige Informationen und wohl auch Bilder nachliefern können.
Trotzdem kann ich hier schon schildern, wie die indirekte Sekunde ausgeführt ist. Ich hatte eine kurze Schilderung meiner Bachschmid-Uhr bereits im PocketWatch-Forum gepostet:
PocketWatch Forum • Anmelden
(man muss als User dort angemeldet sein, um das lesen zu können, empfehlenswertes Forum!). Das dortige Forumsmitglied Peter (beta21) hatte erst neulich eine Bachschmid (nicht das gleiche Kaliber, aber ähnlich, indirekte Sekunde quasi gleich) zerlegt und revidiert. Er konnte noch weitere Details des Aufbaues nennen und sogar ein Bild der indirekten Sekunde bei dem zerlegten Werk zeigen. Dieses Bild von Peter (beta21) darf ich mit seiner Erlaubnis auch hier zeigen. Dafür noch einmal vielen Dank!
Bei einer indirekten Zentralsekunde für ein konventionell aufgebautes Werk mit zentralem Minutenrad, wird die Sekundenwelle von ganz hinten durch die hohle Minutenradwelle hindurchgesteckt. Die Bauteile der indirekten Zentralsekunde befinden sich deutlich sichtbar als zusätzlicher Aufbau hinten auf dem Werk. Bei einem Werk mit Roskopf-Aufbau gibt es hingegen kein Zentrumsrad in der Werksmitte. Die Welle der Zentralsekunde geht durch den zifferblattseitigen hohlen Zapfen, auf dem Minuten- und Stundenrohr sitzen, nur bis auf die Werksseite der Grundplatine, das Sekundentrieb läuft am Werksboden und die Bauteile der Zentralsekunde sind fast ganz oder vollständig im Werksinneren verborgen.
Bei der Bachschmid ist der zentrale Zapfen auf der Zifferblattseite, der die Achse für das Minuten- und das Stundenrohr bildet, nicht massiv, sondern ein hohles Rohr . Auf der Werksseite gibt es ein zentrales Loch in der Grundplatine. Die Sekundenwelle, auf deren vorderer Spitze der Zeiger sitzt und das Sekundentrieb, ein flaches Zahnrad an der hinteren Spitze der Welle, sind nicht zusammengenietet, sondern sind zwei getrennte Bauteile. Die Welle wird von der Vorderseite her ins zifferblattseitige Rohr geführt, und durch das zentrale Loch in der Grundplatine bis auf die Werksseite, die Welle hat einen Ansatz, der die Höhenluft nach oben bestimmt. Das Sekundentrieb-Zahnrad wird danach von der Hinterseite her auf die Welle festgeschlagen (die beiden Teile sind dann fest aber lösbar miteinander verbunden). Dadurch fällt die Notwendigkeit einer werkseitigen Brücke weg, durch den Ansatz auf der Sekundenwelle wird die Höhenposition des Sekundentriebs fixiert, sodass es im Eingriff mit dem zweiten Rad bleibt und nicht am Federhaus reibt.
Auf diesem Detailfoto kann man in der Werksmitte am Boden das Sekundentrieb erkennen, ein flaches Zahnrad, darüber erkennt man den mächtigen Zahnkranz des Federhauses, von dem das Sekundentrieb teilweise verdeckt wird:
Ich habe hier einmal versucht, der Patentzeichnung das Sekundentrieb hinzuzufügen und ein Schema von der Seite anzufertigen (stark vereinfachtes Schema, Zifferblattseite oben).
Alle Räderwerksräder liegen dezentral. Das Sekundentrieb erhält seinen Antrieb vom zweiten Rad des Räderwerks, das neben dem Ankerrad liegt (auf der Position, die sonst das Sekundenrad hat), dessen äusserer grosser Zahntrieb am Radreif und die Zähne des Sekundentriebs greifen ineinander.
Zur Verdeutlichung der Details kann ich hier das Foto von Peter (beta21) eines bis auf die Grundplatine zerlegten Bachschmid-Werkes zeigen. Man sieht das Sekundentrieb in der Werksmitte und im Eingriff der Verzahnung das etwas grössere fünfspeichige zweite Rad des Räderwerks, das noch grössere erste Rad des Räderwerks ist gekippt.
Das Sekundentrieb mit einem Umlauf pro 60 sec hat 45 Zähne. Das zweite Rad von dem es den Antrieb erhält, hat 72 Zähne. Das Zahlenverhältnis der beiden Räder gibt Auskunft über ihre Umlaufgeschwindigkeit. Das zweite Rad braucht die 1,6fache Zeit des Sekundentriebs, also 96 Sekunden, deshalb wäre die Bezeichnung ‘Sekundenrad’ für dieses zweite Rad irreführend, auch wenn es neben dem Ankerrad sitzt (Das Zahnzahlverhältnis und die Umlaufzeit könnte bei meinem Bachschmid-Kaliber etwas anders sein als bei dem fotografierten Werk, es ist aber als sicher anzunehmen dass das zweite Rad auch hier langsamer ist als das Sekundentrieb). Das zweite Rad läuft ausserdem in der Gegenrichtung eines normalen Sekundenrades, würde man darauf einen Zeiger stecken, liefe er im Gegenuhrzeigersinn. Wenn das nicht so wäre, müsste bei der Konstruktion der indirekten Zentralsekunde noch ein Zwischenrad eingeschaltet werden.
Die Übersetzung in dem Bachschmid-Kaliber ist anders als in einem konventionellen Ankerwerk, keines der Räder im Räderwerk hat eine Umlaufdauer von einer Minute (Sekundenrad) oder von einer Stunde (Minutenrad).
Das Ankerrad des Bachschmid-Werks hat nur 15 Zähne. Bei einem normal aufgebauten Werk mit zentralem Minutenrohr und einer Schwingungsfrequenz von 18'000 A/h hat das Ankerrad 16 Zähne. Herkömmliche Roskopf-Werke mit Stiftankerhemmung haben Ankerräder mit 18 Zähnen und schwingen langsamer als 18'000 A/h..
Christoph Lorenz beschreibt und zeigt in seinem Uhrwerksarchiv ein später, ca. in den 1930ern entstandenes, ähnliches Werk mit Roskopf-Aufbau und ganz ähnlicher indirekter Zentralsekunde, das AS 1199:
AS 1199
Anders als beim Bachschmid-Kaliber, bei dem das Trieb der indirekten Zentralsekunde werksseitig auf der Hinterseite der Grundplatine gelagert ist, ist das Sekundentrieb beim AS 1199 vorn auf der Zifferblattseite gelagert. Der zentrale hohle Zapfen, durch den hindurch die Sekundenwelle geführt wird und der als Achse für das Minuten- und Stundenrohr dient, befindet sich auf einem Plättchen und wird am Schluss darüber festgeschraubt (beim Bachschmid-Kaliber ein fester hohler Zapfen auf der Zifferblattseite).
Das Ankerrad des AS 1199 hat 15 Zähne wie das ähnliche Bachschmid-Kaliber. Dieses Werk schwingt mit 18'000 A/h. Ich besitze leider keine Zeitwaage, deshalb bleibt die Frequenz des Bachschmid-Kalibers noch bis zur bevorstehenden Werksrevision unbekannt.
Ui, nun habe ich sogar noch einen Cliffhanger hinbekommen, der eine schier unerträgliche Spannung bis zur Fortsetzung erzeugt. Was mag nur die Frequenz des Werkes sein?
Da soll noch einer sagen, die Verzahnung im Räderwerk sei ein trockenes Thema!
Gruss Andi
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