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Tomcat1960
Gast

Ich bekenne es: ich bin Omega-Fan. Die Omegas der Sechzigerjahre markieren für mich den Höhepunkt der Entwicklung mechanischer Uhren. Sie sind schön, funktionell und begehrenswert - und erschwinglich in dem Sinne, dass sie viel Uhr für's Geld bieten.

Diese Uhr ist für mich so etwas wie der "heilige Gral". Seit ich sie zum ersten Mal sah, wusste ich, dass ich eine haben musste. Ich weiß gar nicht mehr, wo und wie sie mir aufgefallen war - die Chancen dafür, dass es hier im Forum war, stehen aber ziemlich gut


Omegas "Seamaster"-Linie ist eine der traditionsreichsten Uhrenlinien der Welt. Seit 1948 baut Omega unter diesem Namen sportliche Uhren und profitierte dabei von den Erfahrungen, die man mit dem Bau besonders robuster, wasserdichter und genau gehender Uhren für die Royal Air Force gesammelt hatte. Dabei war die Seamaster in der Form, wie sie zum ersten Mal herauskam, gar nicht geplant: René Bannwart, ihr Designer, arbeitete noch am Entwurf der Uhr, der der kaufmännische Direktor, Adolphe Vallat, "automatisch", "wasserdicht", "widerstandsfähig" und "sportlich" ins Lastenheft geschrieben hatte, "unter Nutzung aller Erkenntnisse bei der Herstellung der mit großem Erfolg an die britischen Streitkräfte gelieferten Uhren." Weil sich das Projekt in die Länge zog, verlangte Vallat, Bannwart solle ihm zumindest "tropfenweise" den Fortschritt zeigen. Einmal zeigte ihm Bannwart also Skizzen, zu denen er bemerkte, die Uhr sei "zu plump, zu dick, etc.". Vallat soll ihn unterbrochen und gesagt haben, das sei genau, was er brauche. (Quelle: (1))
So wurde die Seamaster geboren. In der Folge entwickelten sich verschiedene Baureihen - von der Dresswatch bis hin zum regelrechten professionellen Diver ist alles geboten. Traditionell besetzt die Seamaster-Baureihe bei Omega das "Mittelklasse"-Segment, wobei Ausstattungsvarianten preislich durchaus in der gehobenen Klasse spielen. Dabei sind Seamaster stets robuste Gebrauchsuhren von hoher Praxistauglichkeit. Insbesondere sind sie wasserdicht und stehen mit ihrem Design über irgendwelchen Modeströmungen, taugen also wirklich zur "Uhr für's Leben".
Nun gibt es zur Abdichtung einer Armbanduhr gegen Wasser verschiedene Vorgehensweisen - die übliche, die freilich auf Dauer wenig mehr als Spritzwasserschutz bietet, besteht darin, einen Schraubdeckel mit einer elastischen Dichtung so einzupassen, dass kein Wasser eindringen kann. Eine weitere Schwachstelle ist die Abdichtung des Glases - gerade Plexiglas kann "arbeiten" und an der Sitzfläche zum Gehäuse können Undichtigkeiten auftreten. Außerdem ist ein Schraubdeckel der Natur seiner Befestigung nach rund, was dem Uhrendesigner gewisse Beschränkungen hinsichtlich der Gehäuseform auferlegt.
Folgerichtig waren Seamaster stets rund.
Bis 1969.
1969 - ein in jeder Beziehung merk-würdiges Jahr, in dem Richard Milhouse Nixon als 37. US-Präsident vereidigt, Jassir Arafat Vorsitzender der PLO und Golda Meir erste Premierministerin des Staates Israel wird, in Frankreich die Ära de Gaulle endet und die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal eine sozialdemokratische Staatsspitze (Gustav Heinemann und Willy Brandt) bekommt. In Syrien putscht sich ein gewisser Oberst Assad an die Macht, in Lybien ein weiterer Oberst namens Gaddafi. Die Beatles veröffentlichen ihr letztes Album ("Abbey Road"), Monty Python werden gegründet, ein gewisser Rod Stewart wird Sänger bei den "Small Faces", die Who veröffentlichen ihre Rock-Oper "Tommy" und in Woodstock versammelt sich die Popmusik-begeisterte Jugend der USA zu einem nie dagewesenen Popfestival. Die Manson-Familie und das Flüsschen Chappaquidick erlangen traurige Berühmtheit. Zum ersten Mal wird einem Menschen ein künstliches Herz eingepflanzt, der erste Geldautomat wird in New York in Betrieb genommen, der Jumbo Jet macht seinen ersten kommerziellen Flug und die Concorde fliegt überhaupt zum ersten Mal. Und zum ersten Mal betreten Menschen einen anderen Himmelskörper, als Neil Armstrong und Edwin Aldrin mit ihrer Landefähre "Eagle" im "Meer der Ruhe" auf dem Mond landen.
Auch für die Uhrenwelt markiert 1969 eine Zäsur: nicht nur die Vorstellung der ersten Automatik-Chronographen bewegt die Baseler Uhrenmesse, sondern vor allem die Präsentation der ersten serienreifen quarzgesteuerten Armbanduhr, die mit nie dagewesener Genauigkeit die Zeit misst, Chronometerzeugnisse für mechanische Uhren über Nacht in Altpapier verwandelt und die Uhrenwelt auf den Kopf stellen wird.
Von all dem weiß der Designer, der bei Omega die erste rechteckige Seamaster entwirft, noch nichts, denn wir schreiben erst das Jahr 1967. Was er weiß, ist, dass er seine Uhr um das Kaliber 565 herum konstruieren wird. Das 565, letzter Vertreter der erfolgreichen Kaliberfamilie 550 ff., ist ein Derivat des Chronometerkalibers 561, des ersten und bislang einzigen mechanischen Kalibers, das jemals in einem Jahr (1963) sämtliche Präzisionsrekorde in der Kategorie Armbanduhren gebrochen hat. Seine herausragenden, schwanenhalsregulierten Talente darf das 565 schon seit 1966 in Seamaster-Chronometern zeigen und es gilt unter Fachleuten bis heute als eines der besten Omega-Kaliber aller Zeiten.

(Bild von ometer geliehen - danke!)
Es ist mit dem durch Omega patentierten, praktisch verschleißfreien Drehsinnswandler ausgestattet, der über ein federloses Doppel-Satellitenrad-Zahnrichtgesperr verfügt und die Integration des automatischen Getriebes ins Basiswerk erlaubt. Es fällt deswegen sehr flach aus - ein Vorteil, wenn man eine flache und elegante Uhr entwerfen möchte.

Die Explosionszeichnung zeigt das Automatikgetriebe des Kalibers 561.

Die beiden Sonnenräder des Gesperrs liegen aufeinander. Das obere Sonnenrad ist mit einer einseitig klemmenden Innenverzahnung versehen, in die das Satellitenrad eingreift. Bei Bewegung des Rotorritzels (A) im Uhrzeigersinn (oberes Bild) wird der Kraftschluss über das Zwischenrad (B) auf das obere Sonnenrad (DS) hergestellt. Ändert der Rotor seinen Drehsinn (unteres Bild) erfolgt die Übertragung der Bewegungsenergie über das Umkehrrad (C) auf das untere Sonnenrad (DI). Die Spezialverzahnung des oberen Sonnenrades bewirkt, dass nur in dieser Richtung Kraft vom unteren auf das obere Sonnenrad übertragen werden kann, welches sich deshalb stets in der selben Richtung dreht.
(Bilder aus: "Automatik-Armbanduhren aus der Schweiz")
Weil die Uhr bis 30 Meter wasserdicht sein soll, greift der Designer zur neu entwickelten Compressor-Technologie, bei der das Gehäuse-Unterteil mit einer entsprechend geformten Dichtung durch keilförmige Bolzen, die in entsprechende Nuten im Gehäuseoberteil einrasten, gegen das Glas gepresst wird.
In den Omega-Dokumenten lies sich das wie folgt:

(Bild aus: "Omega - Reise durch die Zeit")
Und so sieht das ganze "live" aus:

(Bild von ometer geliehen - danke!)
Die erste rechteckige Seamaster wird von Omega 1968 angekündigt und tatsächlich Bestandteil der 1969er Kollektion, die auf der Baseler Uhrenmesse präsentiert wird. Dass die erste wirklich wasserdichte Uhr in Rechteckform nicht Tagesgespräch auf der Messe wird, ist den Umständen geschuldet, die weiter oben beschrieben wurden. Sie wird zunächst mit ausgesprochen sportlichen Zifferblättern präsentiert, die den "Taucheruhrcharakter" unterstreichen sollen.

(Bild aus: "Omega - Reise durch die Zeit")
Erst Anfang der Siebzigerjahre gelangen auch die "dressigeren" Zifferblattvarianten in den Handel - silber, blau und anthrazit.
Besonders die anthrazitfarbige Variante hatte es mir angetan. Leider bewegen sich diese Uhren in der Regel in Preisregionen, die mir aufgrund meiner selbst gesetzten Grenze verschlossen bleiben. Deswegen war ich elektrisiert, als plötzlich kurz vor Mitternacht eine im MP auftauchte -

(Bild von ometer geliehen - danke!)
... zu einem Preis, der selbst dann noch als Schnapp gelten musste, wenn man eine Revision hinzurechnete. Sollte ich tatsächlich Glück haben? Wie in Trance schrieb ich dem Uhrenfreund, dass ich die Uhr kaufen würde, wenn sie noch zu haben wäre - und erhielt praktisch noch in der gleichen Minute den Zuschlag.
Die Abwicklung lief völlig glatt und als ich die Uhr auspackte, war ich platt: so etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen. Eine sofortige Anprobe überzeugte mich, dass ich das Richtige getan hatte. Ebenfalls das Richtige war, sie sofort zu Rostfrei zu schicken, dessen bewährtes uhrmacherisches Können ihr wieder Leben einhauchte: ein gebrochenes Minutenrad hatte sie stillgelegt und die Datumsschaltung war defekt, Ankerrad und Rotorachse waren verschlissen. Als mir Theo den Versand ankündigte, konnte ich nicht mehr richtig schlafen, so sehr fieberte ich dem Moment entgegen, sie laufen zu sehen, und vor allem an meinem Arm laufen zu sehen. Als dann auch noch der erste Zustellversuch des netten UPS-Fahrers fehlschlug, hätte ich die Wand hochgehen können: noch ein Tag ohne die kleine Schwarze!
Aber nun ist sie ja da, und was soll ich Euch sagen? Sie fühlt sich toll an, trägt sich sehr komfortabel und sieht natürlich Klasse aus.

Sie trägt sich perfekt zum Anzug wie zu Freizeitkleidung, schafft den Spagat zwischen Dresswatch und Sportuhr. Ihre feinen Linien erinnern an einen schlanken Sechzigerjahresportwagen, der keine Steroide braucht, um zu beeindrucken. (Ihr wisst schon, einen aus der Zeit, als man den Autos noch nicht die A****backen aufzublasen brauchte, um sie schnell aussehen zu lassen.) Trotz ihrer gerade mal 33 x 40 mm (Zifferblatt 29 x 29 mm) wirkt sie ungeheuer präsent, das äußerst dunkle Grau des Zifferblattes bietet einen fantastischen Kontrast zu den weiß ausgelegten stählernen Indizes, die in der Breite genau auf die Zeiger abgestimmt sind.


Die Beschriftung fällt Omega-typisch sparsam aus - mit "Omega", "Automatic" und "Seamaster" ist alles gesagt, was man wissen muss.

Das Gehäuse ist an den Seiten gebürstet und an der Einfassung des Glases poliert. Dieser Kunstgriff lässt die Uhr nochmals flacher wirken. Das montierte schwarze Eidechsband ist zwar nicht original, unterstreicht aber den vornehmen Charakter der Uhr.



Den Rücken ziert, wie es sich für eine Seamaster gehört, das Seepferdchen:

(Ende Teil 1)
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