Uhrenbestimmung (Damen) Taschenuhr 32mm breit

FlachTitan · 14.10.2022

Diese Taschenuhr hat mir meine Schwiegermutter vermacht, Quelle unbekannt. Sie läuft, bis jetzt konnte ich keine Schwierigkeiten feststellen.

Emaillezifferblatt? Schweizer Werk, schätze ich. Avance, Retard. Und Halbmond mit Krone war für Ausfuhren nach Deutschland - aus England?

ViaRex · 14.10.2022

Hi,

es ist sicher eine Weile her, dass die Uhr ihre letzte Revision hatte. Daher würde ich empfehlen, die Uhr ablaufen zu lassen und nicht weiter auf zu ziehen. Der Dreck und feine Staub in den Lagern, in Verbindung mit alten vertrockneten Öl, wirkt wie Schleifmittel und zerstört auf dauer die feinen Zapfen der Triebe.

Ansonsten:
Zylinderhemmung, schweizer Brückenwerk, 10 Steine, Zeigerstellung über'n Drücker bei der 1.
Ein sehr häufiges Werk, der Werkhersteller ist vielleicht FHF, mit Glück lässt sich genaueres beim Blick unter das Zifferblatt sagen.

Galone Gehäuse und arabische Ziffern lassen mich auf +1900 schließen, sie kann aber auch deutlich jünger sein, da dieser Style von Damenuhren langr produziert wurde.

800 Silber Case - swiss Auerhahn Punze und Reichskrone für den Export ins Deutsche Reich, ein weiterer Hinweis auf die Schweizer Herkunft.

Advance - Retard steht für Vor(-gang) und Nach(-gang) und dient zur Gangregulierung.

FlachTitan · 14.10.2022

Vielen Dank!

Also eine eher verbreitete Uhr, nehme ich an, daher kein sensationeller Wert? Ich frag nur deshalb weil ich nicht weiß ob sich die Revision lohnt, kostet ja auch was.

ViaRex · 14.10.2022

Jain,
ja, eine eher verbreitete Uhr.
Ich finde, eine Revision ist es immer wert, wenn man eine Verbindung zur Uhr hat.
Die Uhr sieht allgemein gut aus, sollte, wenn weiter keine fiesen Überraschungen versteckt sind, nicht allzu teuer werden.

Es wird eher schwierig seinen einen richtigen Uhrmacher zu finden, der sich dieser Arbeit annimmt.

Genaueres kann ich dazu nicht schreiben, siehe Forenregel 2.5

Matthias MUC · 14.10.2022

Sagen wir mal so: Wenn sie läuft, ist vermutlich nichts kaputt, was erheblichen Arbeitsaufwand und/oder Ersatzteilfahndung braucht. Eine "normale" Revision (zerlegen, reinigen, wieder zusammenbauen, fachgerecht schmieren, einregeln, fertig) ist zwar auch schon hart am wirtschaftlichen Totalschaden, wenn die Uhr als Familienerbstück mit ideellem Wert erhalten werden und auch mal ab und zu getragen werden möchte, ist es aber schon zu rechtfertigen.

FlachTitan · 14.10.2022

Danke, um diese Abschätzung ging es mir.

Ein richtiges Familienerbstück ist es eher nicht. Es ist eine der Uhren die irgendwann von irgendwem an irgendwen gingen.

FlachTitan · 15.10.2022

Die Zwiebel geht vor und zwar satte 6min in den letzten 12h. Korrespondiert das mit der obigen Einstellung, sollte ich also etwas zu Retard drehen? Wird sich dieser Fehler verbessern, wenn die Uhr (ohne Resivion, lohnt sich finanziell nicht) lange genug in Betrieb ist und die Reibung größer wird?

Allerdings habe ich die Uhr in liegender Position abgelegt, im tatsächlichen Betrieb wäre sie ja senkrecht stehend. Kann das einen solchen EInfluss haben?

bilewaz · 15.10.2022

Natürlich kannst Du die Uhr etwas einregulieren. Länger laufen lassen ist jedoch dringend abzuraten, siehe #2.

Grüsse, Gerd

Matthias MUC · 15.10.2022

Wenn Du bei einem Uhrmacher, der Herz und Händchen für solches "Altmetall" hat, explizit "Reinigung und Neuschmieren", sozusagen funktionserhaltende Minimalrevision beauftragst, wird es zwar immer noch dreistellig bleiben, aber das hätte die Kleine verdient und dann dürfte sie auch mal länger laufen und getragen werden. Zylinderhemmungen sind immer etwas heikel (da kratzt i.d.R. Metall auf Metall, und bei hinreichendem Verschleiß wird die Ersatzteillage sehr dünn bzw. es braucht einen engagierten Uhrmacher ganz alten Schlages und etwas mehr Kleingeld als nur für Reinigung und Neuschmierung.
Zu den Punzen: Der Fisch fällt noch auf. So nah am 0,800er-Stempel meint man, das könnte neben den ansonsten bis auf die russische Punze geschlosen angetretenen Silberpunzen für alle möglichen Märkte (Krone, Auerhahn, 0,800) eine weitere völlig unbekante Silberpunze sein für die Märkte auf Färöer, Island, Norwegen ;-)

, aber ich tippe eher auf Antoine Glardon (Schweiz) mindestens als Gehäusemanufaktur. Es gäbe zwar einen österreichischen Silberstempel mit Fisch (wußte ich noch gar nicht), der hätte dann aber eine Umrandung, deren Form den Feingehalt bestimmt. Alles siehe
Mikrolisk - The horological trade mark index

ethan_esrah · 15.10.2022

FlachTitan schrieb:
Die Zwiebel geht vor und zwar satte 6min in den letzten 12h. Korrespondiert das mit der obigen Einstellung, sollte ich also etwas zu Retard drehen? Wird sich dieser Fehler verbessern, wenn die Uhr (ohne Resivion, lohnt sich finanziell nicht) lange genug in Betrieb ist und die Reibung größer wird?

Allerdings habe ich die Uhr in liegender Position abgelegt, im tatsächlichen Betrieb wäre sie ja senkrecht stehend. Kann das einen solchen EInfluss haben?

Wenn die Uhr umgerechnet 12min/d vorgeht, obwohl der Rücker schon im Retard-Bereich steht, dann schreit sie förmlich nach einer Revision (oder dem finalen Ruhestand). Natürlich sind solch alte Uhren oft stark lageabhängig, es würde aber an ein Wunder grenzen, wenn sie liegend 12min/d vorgeht und stehend genau geht. Die Frage wäre dann auch, mit welcher Ganggenauigkeit Du leben kannst. Ohne Revision sehe ich nach meiner Erfahrung keine Möglichkeit der Wiedereingliederung der Uhr in den Alltag.

Matthias MUC · 15.10.2022

Und beim Reinigen/Neuschmieren geht es primär erst mal nicht um Genauigkeit (das ist Kür), sondern, wie schon zuvor geschrieben, als Pflichtprogram nur darum, Verschleiß aufzuhalten, der sonst wirklich zu fast irreparablen Schäden führt. Zylinderhemmung ist, außer in Luxusvarianten mit Rubinzylinder, Metall auf Metall, zusammen mit Staub und verharztem Schmierstoff Schmirgel auf Schmirgel.

FlachTitan · 15.10.2022

Das bedeutet,
1. Dass sie mit längerer Laufzeit ohne Schmierung nicht etwas langsamer sondern schneller laufen würde? Sorry ich bin Noob bezüglich mechanischen Uhren.
2. Dass ich jetzt schon fast am Anschlag bin und bestenfalls noch an den unteren Anschlag Retard gehen könnte?

ethan_esrah · 15.10.2022

FlachTitan schrieb:
Das bedeutet,
1. Dass sie mit längerer Laufzeit ohne Schmierung nicht etwas langsamer sondern schneller laufen würde? Sorry ich bin Noob bezüglich mechanischen Uhren.
2. Dass ich jetzt schon fast am Anschlag bin und bestenfalls noch an den unteren Anschlag Retard gehen könnte?

Ungenügende Schmierung führt zu einer geringeren Amplitude der Unruhschwingung. Obwohl es intuitiv logisch erscheint, bedeutet das aber nicht zwingend einen Nachgang, sondern kann je nach Aufbau und Zustand des Schwingungssystems und konkreter Amplitude durchaus auch zu einem Vorgang führen. Für Details, siehe zum Beispiel hier:
Unlogisch? Weshalb Vorgang?

Natürlich kannst Du versuchen, noch weiter auf Retard zu stellen (falls mechanisch möglich), um die Uhr auszubremsen. Das löst aber nicht das grundlegende Problem des Revisionsbedarfs und kann, wie @Matthias MUC bereits erwähnt hat, den Verschleiß erhöhen, gegebenenfalls bis zum finalen Defekt. Was Du aber auf gar keinen Fall machen darfst, ist, das Uhrwerk selbst "nachzuölen", ohne es vorher komplett gereinigt zu haben. Das könnte Dir in relativ kurzer Zeit die Zapfen wegschmirgeln.

Matthias MUC · 15.10.2022

Problem ist, daß Lager verschleißen, sowohl die "langsam drehenden" ohne Stein, weil da Metall auf Metall reibt und die Kräfte größer werden (Aufzugsfeder), wie auch die "schnellen" (Unruh, Zylinderrad), die da als Minimalausstattung wenigstens mit Lagersteinen sind. Aber speziell bei der Zylinderhemmung kommt dazu, daß mit Schmodder und Abrieb die Hemmung selber verschleißt (da kratzt immer Metall auf Metall) und irgendwann nicht mehr funktioniert. Zur Funktion siehe
Die Zylinder Hemmung
da siehst in der Animation förmlich, wie es in der Hemmung kratzt, wenn da Dreck ist.