
andi2
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- 13.02.2013
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Heute steigen wir nicht auf schwindelnde Gipfel der Haute Horlogerie, sondern wir wühlen - ganz im Gegenteil – im Bodensatz der Billiguhren des zweiten Drittels des 20. Jahrhunderts.
Die Hersteller von Billiguhren aus der Schweiz, wie etwa Oris, Baumgartner oder Lapanouse setzten auf die Roskopf-Bauweise. Ausgehend von den seit 1867 gebauten Roskopf-Patent-Uhren des Georges Frederic Roskopf, wurden die Uhren immer weiter vereinfacht, bis hin zu einem sehr simplen Werkstyp, der von einigen verschiedenen Herstellern zum Verwechseln ähnlich gebaut wurde, sodass sogar viele Teile zwischen Werken unterschiedlicher Hersteller getauscht werden können. Auch das hier vorgestellte Werk aus französischer Produktion (unbekannter Hersteller) gehört zu diesen sehr ähnlichen Werken, sowie auch die Werke Montford 1 und 2 (Plangg & Pfluger), «Made in Austria»:
Identifizierte Uhrwerke, die weder bei Ranfft, Lorenz noch im Watch-Wiki zu finden sind
Die Uhren mit dem österreichischen Montford-Werk sehen so aus:
Taschenuhren Made in Austria
Wie man im Vergleich mit meinem «Chronographe de Sport» sieht, gleichen sich nicht nur die Werke, sondern auch der äussere Aufbau der Uhren.
Am besten, ich zeige heute einfach meine Uhr im Detail, ohne im Text weiter mit anderen Uhren zu vergleichen. Später möchte ich nach und nach auch andere ähnliche Uhren vorstellen, sodass irgendwann ein Vergleich möglich wird.
Dass man einen Billigheimer vor sich hat, merkt man schon an dem geringen Gewicht der Uhr. Das Gehäuse (Durchmesser 50 mm, Dicke 14,7 mm) aus dünnem, verchromtem Messing-Pressblech besteht nur aus zwei Teilen: einem hinteren Pressdeckel, den man einfach mit einer Messerklinge öffnen kann, und einem einteiligen Gehäuse, vorn mit einem Plexiglas, es gibt also keinen vorderen Deckel und die Zifferblattseite wird nur durch Ausschalen des Werkes zugänglich.
Der Rückendeckel trägt ein geprägtes geometrisches Art-Deco-Muster.
Das Metall-Zifferblatt ist weisslich (vermutlich vom Alter mit leicht gelbbräunlicher Tönung) und schwarz bedruckt. Die arabischen Stundenzahlen sind mit Leuchtmasse ausgelegt und es gibt gebläute, skelettierte Leuchtzeiger. Die Leuchtmasse ist gut erhalten und leuchtet auch noch recht gut. Es gibt einen zentralen Sekundenzeiger und auf dem Zifferblatt aussen eine Tachymeterskala in drei Kreisen, der innerste gilt für die erste Minute einer Messung, der mittlere für die zweite und der äussere Kreis für die dritte Minute. Hochtrabend steht auf dem Zifferblatt «Chronographe de Sport», darunter «Hors Norme», was man übersetzen kann mit ‘aussergewöhnlich’. Ganz unten, nah beim Rand und klein, steht «Made in France».
Da wird mehr versprochen, als die Uhr halten kann. Ein Chronograph ist das nicht, denn es gibt keine Rückstellfunktion zur Null. Um die Uhr zu stellen, wird die Krone eingedrückt. Wenn man das tut, wird gleichzeitig durch einen Stopphebel die Unruh angehalten. Sobald man die Krone wieder loslässt, läuft das Werk weiter. Man hat hier also nichts anderes als ‘Hacking’.
Der Pendant (Bügelhals) mit Aufzugwelle, Krone und Bügel ist fest mit dem Werk verbunden (kann nur durch Zerlegen des Werks getrennt werden). Das Werk sitzt fest im Gehäuse und wird durch einen Spannbügel gehalten. Um das Werk aus dem Gehäuse auszuschalen zu können, muss man den Spannbügel etwas nach innen drücken. Es gibt zu diesem Zweck an der Basis des Unruhklobens beim Rand eine grosse Aussparung. In dieses Loch (auf dem Bild unten mit der Werksrückseite auf der 10-Uhr-Position) geht man mit einer stabilen Pinzette, einem Schraubendreher o.ä. und drückt etwas in Richtung Werksmitte. Das Werk samt Pendant geht dann leicht heraus.
Das Zifferblatt ist mit zwei sehr kleinen Schrauben von vorn auf das Werk geschraubt (im Foto oben durch die roten Striche markiert). Wie man sieht, sind ausser den beiden benutzten Bohrungen weitere Bohrungen für Zifferblattschrauben an anderen Positionen vorhanden (gibt es da evtl. Passepartout-Zifferblatt-Rohlinge eines Drittherstellers, die von verschiedenen Herstellern angekauft und mit ihren individuellen Designs bedruckt wurden?). Die zifferblattseitige Basisplatine des Werks ist auf beiden gegenüberliegenden Seiten abgeschnitten. Ob das wohl gemacht wurde, um ein bisschen Material zu sparen? Dadurch liegt der Unruhreif z.T. ungeschützt und man muss beim Umgang mit dem Werk etwas mehr aufpassen.
Der Unruhkloben und der Ankerkloben sind dünne Plättchen, die oben auf die Deckplatine geschraubt werden. Das Werk ist ein Pfeilerwerk, d.h. die Deckplatine ruht auf 4 Pfeilern der Basisplatine. Mit drei der Schrauben zum Festschrauben der Deckplatine werden zugleich auch der Unruhkloben, der Ankerkloben, sowie das Gesperr und eine Seite der Kronrad-Sperrad-Brücke festgeschraubt. Auf der anderen Seite wird die Kronrad-Sperrad-Brücke durch eine Schraube an der Achse des Sperrads gehalten. Achtung! Diese Sperrad-Schraube ist eine Linksgewinde-Schraube!
Uhren nach dem Roskopf-Prinzip haben kein zentrales Rad (Minutenrad) mehr in der Werksmitte, auf dessen Welle der direkt angetriebene Minutenzeiger sitzt. Die Grösse des Federhauses kann deshalb bis über die Werksmitte ausgedehnt werden.
Hier ein Schema von mir aus einem älteren Beitrag über das Roskopf-Prinzip, das den Zeigerantrieb von der Seite durch das Federhaus mittels eines Doppeltriebs (Wr S / Wr M) zeigt:
Das Federhaus (grün) trägt (wie auch bei Werken mit zentralem Minutenrad) am vorderen Rand ein Zahntrieb (grün Fh Rw), das an das erste Räderwerks-Rad (blau Rw 1) weitergibt. Dieses Rad steht aber nicht im Zentrum des Werks, sondern seitlich davon, und es treibt auch nicht die Zeiger an. Zum indirekten Antrieb der Zeiger ist vorn auf der Zifferblattseite des Federhauses ein grosses Wechselrad mit zwei Zahntrieben aufgepresst, dessen grosses unteres Trieb (rot Wr M) treibt das Minutenrohr (rot Mr) an, das kleine obere Trieb (gelb Wr S) treibt das über dem Minutenrohr liegende Stundenrohr (gelb Sr) an. Minuten- und Stundenrohr sind nur ganz locker über einen zentralen Zapfen auf der Zifferblattseite der Grundplatine gestülpt, Minuten- (rot Mz) und Stundenzeiger (gelb Sz) sind wie üblich auf die Rohre aufgesteckt. Bei den meisten Roskopf-Uhren ist der zentrale Zapfen einfach ein fester Zapfen (und bei vorhandener Zentralsekunde hohl zum Durchstecken der Sekundenwelle), bei diesem Werk aber wird (anders als im obigen Schema dargestellt) der ganze Zapfen durch den zifferblattseitigen Teil der Zentralsekundenwelle gebildet.
Vom grossen Trieb (rot Wr M) wird auch das Zeigerstellrad (grau Zsr) angetrieben, das einfach mitläuft. Beim Stellen kann über die Kupplung das Zeigerstellrad verdreht werden. Dadurch wird die Reibung zwischen Federhaus und Wechselrad (Wr M/S) überwunden und das Rad gegen das Federhaus verdreht.

In diesem alten Thread habe ich mich ausführlich mit dem Roskopf-Prinzip befasst. Dort kann man die erste Roskopf-Uhr von 1867 sehen und das Bauprinzip der höherwertigen, ursprünglichen Roskopf-Uhren: Chronometro Naval ‘Perfecto Vallès Ayerbe’ und das Roskopf-Prinzip
Wenn man die Deckplatine abnimmt, ist der Pendant mit Bügel, Krone, Welle und Kupplungs-Umschaltmechanismus lose und kann vom Werk getrennt werden. Man sieht einen langen Stopphebel, der mit seiner Spitze die Unruhwelle berühren und so die Unruh anhalten kann. Die Basis des Stopphebels ist wie ein Kupplungshebel in die Kupplung des Umschaltmechanismus eingelegt. Der 'Kupplungshebel' muss beim Zusammenbau wieder richtig in die Rinne der Kupplung eingelegt werden, bevor der Pendant zwischen den Platinen fest verschraubt wird (auf dem Bild nicht in richtiger Position). Die Federkraft, die die Kupplung nach oben zum Aufzugrad drückt, kommt übrigens nicht von diesem 'Kupplungshebel'-Basisteil des Stopphebels. Den Stopphebel könnte man ganz entfernen, ohne die Umschalt-Funktion zu beeinträchtigen. Ich nehme an, dass es eine Feder im Inneren des Pendanten gibt.
Das grosse Federhaus geht weit über die Werksmitte. Es ist ein offenes Federhaus, eigentlich ist Federhaus hier ein hochtrabender Begriff, es ist ja nicht einmal eine Federhütte. Vom ganzen Federhaus ist nur der zifferblattseitige Boden übrig, der am Aussenrand das Zahntrieb (Fh Rw) trägt, das an das erste Rad des Räderwerks (Rw 1) weitergibt. Von dieser Scheibe sind sechs Laschen ausgestanzt und nach oben gebogen, die die Feder seitlich eingrenzen und als Ersatz für die Federhausseitenwand dienen. Das äussere Federende ist v-förmig umgebogen und wird von einer der sechs Seitenwandlaschen gehalten.
Die Unruh ist eine einfache dreispeichige Ringunruh aus Messing mit flachem Unruhreif. Auf dem Foto ist sie von unten (von der Zifferblattseite) zu sehen. Die weisse Flachspirale ist durch eine Bohrung am Spiralklötzchen geführt und mit einem Metallsplint festgesteckt. Der Regulierschlüssel (Rücker) ist der u-förmig umgebogene Fortsatz eines Rings, der auf der anderen Seite den Rückerzeiger hat. Der Ring mit Rücker und Rückerzeiger wird von einem (rubinlosen) Unruh-Deckplättchen festgehalten, das mit zwei kleinen Schrauben am Unruhkloben festgeschraubt ist. Auch auf der Zifferblattseite gibt es ein Unruh-Deckplättchen aus Metall (mit einer Schraube). Das Werk ist völlig steinlos (0 No Jewels), alle Lager sind einfach als feine Bohrungen im Metall der Platinen ausgeführt. Die Unruh hat dünne zylindrische Zapfen, keine Körnerspitzen und Körnerlager. Durch einen Impulsfinger aus Metall an der Unruhachse wird die Gabel des Ankers angestossen. Auf dem Bild ragt der Impulsfinger nach rechts zur 3-Uhr-Bildposition.
Der Form des Ankers ist bei den verschiedenen, sonst sehr ähnlichen Roskopf-Werken individuell verschieden geformt und wohl ein gutes Unterscheidungsmerkmal. Auf dem Foto sieht man den Anker in drei verschiedenen Positionen. Die Ankergabel, die durch die Unruh angestossen wird, liegt im Bild links, oben als mittlerer Lappen noch das Sicherheitsmesser, der lange, dünne Ankerstiel endet in einem breiten, grossen Ankervorderteil, an dessen Basis die Ankerwelle liegt. Die beiden Ankerstifte, die zwischen die Ankerradzähne greifen, liegen stark asymmetrisch. Wie bei Roskopf-Uhren üblich, ist der Anker ein Seitenanker (Lateralanker).
Die Form des Ankers erinnert sicher nicht nur mich an eine E-Gitarre, nennen wir ihn doch einfach mal ‘Stratocaster-Anker’.
Erst wenn man das grosse Federhaus aus dem Werk nimmt, erblickt man die Komplikation der indirekten Zentralsekunde. In der Werksmitte läuft am Boden, d.h. werksseitig auf der Basisplatine, ein Zahnrad (rot: i.Sek), das vom zweiten Rad (Rw 2) des Räderwerks angetrieben wird.
Bei Uhren mit Roskopf-Bauart ist eine Zentralsekunde immer so ähnlich verwirklicht. Hier ein Schema von mir aus einem älteren Thread zu diesem Thema, das ich verändert habe, um die Situation bei diesem Werk darzustellen:

Ich vermute, dass die Triebe des zweiten Rades und der indirekten Zentralsekunde gleich viele Zähne haben, das würde bedeuten, dass sie gleich schnell rotieren, einmal pro Minute. Ich werde das in den nächsten Tagen noch auszählen und hier nachtragen. Das Zahnrad der indirekten Zentralsekunde auf der Werksseite der Basisplatine ist fest mit der Sekundenwelle vernietet, die durch ein zentrales Loch der Basisplatine hindurchgeht. Die Höhenposition der Zentralsekundenwelle ist auch vorn durch einen Anstoss begrenzt und sie wird also nicht nach innen wegedrückt, wenn man den Zeiger aufdrückt.
In diesem älteren Beitrag habe ich mich ausführlich mit der Technik einer indirekten Zentralsekunde bei-Roskopf-Werken befasst: Die «verbesserte Roskopf-Uhr»: ‘F. Bachschmid Etat’ mit Ankerhemmung und indirekter Zentralsekunde (Patent CH 27553, 1904)
Hier noch ein Bild des Uhrwerkes von beiden Seiten:
So, für heute reicht es erstmal. In den nächsten Tagen will ich noch ein paar Infos nachtragen. Ich hoffe, es war interessant, auch wenn die Uhr alles andere als eine Kostbarkeit ist.
Zum Schluss noch etwas Wichtiges: Kennt jemand den französischen Hersteller dieses Uhrwerks? Ich konnte keinerlei Info dazu finden. Der ausführlichste Beitrag, den ich überhaupt gefunden habe, ist dieser hier in dem französischen Forum ‘Forum a montres’: un chronographe de sport vaiment hors norme
Bis bald, Gruss
Andi
Die Hersteller von Billiguhren aus der Schweiz, wie etwa Oris, Baumgartner oder Lapanouse setzten auf die Roskopf-Bauweise. Ausgehend von den seit 1867 gebauten Roskopf-Patent-Uhren des Georges Frederic Roskopf, wurden die Uhren immer weiter vereinfacht, bis hin zu einem sehr simplen Werkstyp, der von einigen verschiedenen Herstellern zum Verwechseln ähnlich gebaut wurde, sodass sogar viele Teile zwischen Werken unterschiedlicher Hersteller getauscht werden können. Auch das hier vorgestellte Werk aus französischer Produktion (unbekannter Hersteller) gehört zu diesen sehr ähnlichen Werken, sowie auch die Werke Montford 1 und 2 (Plangg & Pfluger), «Made in Austria»:
Identifizierte Uhrwerke, die weder bei Ranfft, Lorenz noch im Watch-Wiki zu finden sind
Die Uhren mit dem österreichischen Montford-Werk sehen so aus:
Taschenuhren Made in Austria
Wie man im Vergleich mit meinem «Chronographe de Sport» sieht, gleichen sich nicht nur die Werke, sondern auch der äussere Aufbau der Uhren.
Am besten, ich zeige heute einfach meine Uhr im Detail, ohne im Text weiter mit anderen Uhren zu vergleichen. Später möchte ich nach und nach auch andere ähnliche Uhren vorstellen, sodass irgendwann ein Vergleich möglich wird.
Dass man einen Billigheimer vor sich hat, merkt man schon an dem geringen Gewicht der Uhr. Das Gehäuse (Durchmesser 50 mm, Dicke 14,7 mm) aus dünnem, verchromtem Messing-Pressblech besteht nur aus zwei Teilen: einem hinteren Pressdeckel, den man einfach mit einer Messerklinge öffnen kann, und einem einteiligen Gehäuse, vorn mit einem Plexiglas, es gibt also keinen vorderen Deckel und die Zifferblattseite wird nur durch Ausschalen des Werkes zugänglich.
Der Rückendeckel trägt ein geprägtes geometrisches Art-Deco-Muster.
Das Metall-Zifferblatt ist weisslich (vermutlich vom Alter mit leicht gelbbräunlicher Tönung) und schwarz bedruckt. Die arabischen Stundenzahlen sind mit Leuchtmasse ausgelegt und es gibt gebläute, skelettierte Leuchtzeiger. Die Leuchtmasse ist gut erhalten und leuchtet auch noch recht gut. Es gibt einen zentralen Sekundenzeiger und auf dem Zifferblatt aussen eine Tachymeterskala in drei Kreisen, der innerste gilt für die erste Minute einer Messung, der mittlere für die zweite und der äussere Kreis für die dritte Minute. Hochtrabend steht auf dem Zifferblatt «Chronographe de Sport», darunter «Hors Norme», was man übersetzen kann mit ‘aussergewöhnlich’. Ganz unten, nah beim Rand und klein, steht «Made in France».
Da wird mehr versprochen, als die Uhr halten kann. Ein Chronograph ist das nicht, denn es gibt keine Rückstellfunktion zur Null. Um die Uhr zu stellen, wird die Krone eingedrückt. Wenn man das tut, wird gleichzeitig durch einen Stopphebel die Unruh angehalten. Sobald man die Krone wieder loslässt, läuft das Werk weiter. Man hat hier also nichts anderes als ‘Hacking’.
Der Pendant (Bügelhals) mit Aufzugwelle, Krone und Bügel ist fest mit dem Werk verbunden (kann nur durch Zerlegen des Werks getrennt werden). Das Werk sitzt fest im Gehäuse und wird durch einen Spannbügel gehalten. Um das Werk aus dem Gehäuse auszuschalen zu können, muss man den Spannbügel etwas nach innen drücken. Es gibt zu diesem Zweck an der Basis des Unruhklobens beim Rand eine grosse Aussparung. In dieses Loch (auf dem Bild unten mit der Werksrückseite auf der 10-Uhr-Position) geht man mit einer stabilen Pinzette, einem Schraubendreher o.ä. und drückt etwas in Richtung Werksmitte. Das Werk samt Pendant geht dann leicht heraus.
Das Zifferblatt ist mit zwei sehr kleinen Schrauben von vorn auf das Werk geschraubt (im Foto oben durch die roten Striche markiert). Wie man sieht, sind ausser den beiden benutzten Bohrungen weitere Bohrungen für Zifferblattschrauben an anderen Positionen vorhanden (gibt es da evtl. Passepartout-Zifferblatt-Rohlinge eines Drittherstellers, die von verschiedenen Herstellern angekauft und mit ihren individuellen Designs bedruckt wurden?). Die zifferblattseitige Basisplatine des Werks ist auf beiden gegenüberliegenden Seiten abgeschnitten. Ob das wohl gemacht wurde, um ein bisschen Material zu sparen? Dadurch liegt der Unruhreif z.T. ungeschützt und man muss beim Umgang mit dem Werk etwas mehr aufpassen.
Der Unruhkloben und der Ankerkloben sind dünne Plättchen, die oben auf die Deckplatine geschraubt werden. Das Werk ist ein Pfeilerwerk, d.h. die Deckplatine ruht auf 4 Pfeilern der Basisplatine. Mit drei der Schrauben zum Festschrauben der Deckplatine werden zugleich auch der Unruhkloben, der Ankerkloben, sowie das Gesperr und eine Seite der Kronrad-Sperrad-Brücke festgeschraubt. Auf der anderen Seite wird die Kronrad-Sperrad-Brücke durch eine Schraube an der Achse des Sperrads gehalten. Achtung! Diese Sperrad-Schraube ist eine Linksgewinde-Schraube!
Uhren nach dem Roskopf-Prinzip haben kein zentrales Rad (Minutenrad) mehr in der Werksmitte, auf dessen Welle der direkt angetriebene Minutenzeiger sitzt. Die Grösse des Federhauses kann deshalb bis über die Werksmitte ausgedehnt werden.
Hier ein Schema von mir aus einem älteren Beitrag über das Roskopf-Prinzip, das den Zeigerantrieb von der Seite durch das Federhaus mittels eines Doppeltriebs (Wr S / Wr M) zeigt:
Das Federhaus (grün) trägt (wie auch bei Werken mit zentralem Minutenrad) am vorderen Rand ein Zahntrieb (grün Fh Rw), das an das erste Räderwerks-Rad (blau Rw 1) weitergibt. Dieses Rad steht aber nicht im Zentrum des Werks, sondern seitlich davon, und es treibt auch nicht die Zeiger an. Zum indirekten Antrieb der Zeiger ist vorn auf der Zifferblattseite des Federhauses ein grosses Wechselrad mit zwei Zahntrieben aufgepresst, dessen grosses unteres Trieb (rot Wr M) treibt das Minutenrohr (rot Mr) an, das kleine obere Trieb (gelb Wr S) treibt das über dem Minutenrohr liegende Stundenrohr (gelb Sr) an. Minuten- und Stundenrohr sind nur ganz locker über einen zentralen Zapfen auf der Zifferblattseite der Grundplatine gestülpt, Minuten- (rot Mz) und Stundenzeiger (gelb Sz) sind wie üblich auf die Rohre aufgesteckt. Bei den meisten Roskopf-Uhren ist der zentrale Zapfen einfach ein fester Zapfen (und bei vorhandener Zentralsekunde hohl zum Durchstecken der Sekundenwelle), bei diesem Werk aber wird (anders als im obigen Schema dargestellt) der ganze Zapfen durch den zifferblattseitigen Teil der Zentralsekundenwelle gebildet.
Vom grossen Trieb (rot Wr M) wird auch das Zeigerstellrad (grau Zsr) angetrieben, das einfach mitläuft. Beim Stellen kann über die Kupplung das Zeigerstellrad verdreht werden. Dadurch wird die Reibung zwischen Federhaus und Wechselrad (Wr M/S) überwunden und das Rad gegen das Federhaus verdreht.

In diesem alten Thread habe ich mich ausführlich mit dem Roskopf-Prinzip befasst. Dort kann man die erste Roskopf-Uhr von 1867 sehen und das Bauprinzip der höherwertigen, ursprünglichen Roskopf-Uhren: Chronometro Naval ‘Perfecto Vallès Ayerbe’ und das Roskopf-Prinzip
Wenn man die Deckplatine abnimmt, ist der Pendant mit Bügel, Krone, Welle und Kupplungs-Umschaltmechanismus lose und kann vom Werk getrennt werden. Man sieht einen langen Stopphebel, der mit seiner Spitze die Unruhwelle berühren und so die Unruh anhalten kann. Die Basis des Stopphebels ist wie ein Kupplungshebel in die Kupplung des Umschaltmechanismus eingelegt. Der 'Kupplungshebel' muss beim Zusammenbau wieder richtig in die Rinne der Kupplung eingelegt werden, bevor der Pendant zwischen den Platinen fest verschraubt wird (auf dem Bild nicht in richtiger Position). Die Federkraft, die die Kupplung nach oben zum Aufzugrad drückt, kommt übrigens nicht von diesem 'Kupplungshebel'-Basisteil des Stopphebels. Den Stopphebel könnte man ganz entfernen, ohne die Umschalt-Funktion zu beeinträchtigen. Ich nehme an, dass es eine Feder im Inneren des Pendanten gibt.
Das grosse Federhaus geht weit über die Werksmitte. Es ist ein offenes Federhaus, eigentlich ist Federhaus hier ein hochtrabender Begriff, es ist ja nicht einmal eine Federhütte. Vom ganzen Federhaus ist nur der zifferblattseitige Boden übrig, der am Aussenrand das Zahntrieb (Fh Rw) trägt, das an das erste Rad des Räderwerks (Rw 1) weitergibt. Von dieser Scheibe sind sechs Laschen ausgestanzt und nach oben gebogen, die die Feder seitlich eingrenzen und als Ersatz für die Federhausseitenwand dienen. Das äussere Federende ist v-förmig umgebogen und wird von einer der sechs Seitenwandlaschen gehalten.
Die Unruh ist eine einfache dreispeichige Ringunruh aus Messing mit flachem Unruhreif. Auf dem Foto ist sie von unten (von der Zifferblattseite) zu sehen. Die weisse Flachspirale ist durch eine Bohrung am Spiralklötzchen geführt und mit einem Metallsplint festgesteckt. Der Regulierschlüssel (Rücker) ist der u-förmig umgebogene Fortsatz eines Rings, der auf der anderen Seite den Rückerzeiger hat. Der Ring mit Rücker und Rückerzeiger wird von einem (rubinlosen) Unruh-Deckplättchen festgehalten, das mit zwei kleinen Schrauben am Unruhkloben festgeschraubt ist. Auch auf der Zifferblattseite gibt es ein Unruh-Deckplättchen aus Metall (mit einer Schraube). Das Werk ist völlig steinlos (0 No Jewels), alle Lager sind einfach als feine Bohrungen im Metall der Platinen ausgeführt. Die Unruh hat dünne zylindrische Zapfen, keine Körnerspitzen und Körnerlager. Durch einen Impulsfinger aus Metall an der Unruhachse wird die Gabel des Ankers angestossen. Auf dem Bild ragt der Impulsfinger nach rechts zur 3-Uhr-Bildposition.
Der Form des Ankers ist bei den verschiedenen, sonst sehr ähnlichen Roskopf-Werken individuell verschieden geformt und wohl ein gutes Unterscheidungsmerkmal. Auf dem Foto sieht man den Anker in drei verschiedenen Positionen. Die Ankergabel, die durch die Unruh angestossen wird, liegt im Bild links, oben als mittlerer Lappen noch das Sicherheitsmesser, der lange, dünne Ankerstiel endet in einem breiten, grossen Ankervorderteil, an dessen Basis die Ankerwelle liegt. Die beiden Ankerstifte, die zwischen die Ankerradzähne greifen, liegen stark asymmetrisch. Wie bei Roskopf-Uhren üblich, ist der Anker ein Seitenanker (Lateralanker).
Die Form des Ankers erinnert sicher nicht nur mich an eine E-Gitarre, nennen wir ihn doch einfach mal ‘Stratocaster-Anker’.
Erst wenn man das grosse Federhaus aus dem Werk nimmt, erblickt man die Komplikation der indirekten Zentralsekunde. In der Werksmitte läuft am Boden, d.h. werksseitig auf der Basisplatine, ein Zahnrad (rot: i.Sek), das vom zweiten Rad (Rw 2) des Räderwerks angetrieben wird.
Bei Uhren mit Roskopf-Bauart ist eine Zentralsekunde immer so ähnlich verwirklicht. Hier ein Schema von mir aus einem älteren Thread zu diesem Thema, das ich verändert habe, um die Situation bei diesem Werk darzustellen:

Ich vermute, dass die Triebe des zweiten Rades und der indirekten Zentralsekunde gleich viele Zähne haben, das würde bedeuten, dass sie gleich schnell rotieren, einmal pro Minute. Ich werde das in den nächsten Tagen noch auszählen und hier nachtragen. Das Zahnrad der indirekten Zentralsekunde auf der Werksseite der Basisplatine ist fest mit der Sekundenwelle vernietet, die durch ein zentrales Loch der Basisplatine hindurchgeht. Die Höhenposition der Zentralsekundenwelle ist auch vorn durch einen Anstoss begrenzt und sie wird also nicht nach innen wegedrückt, wenn man den Zeiger aufdrückt.
In diesem älteren Beitrag habe ich mich ausführlich mit der Technik einer indirekten Zentralsekunde bei-Roskopf-Werken befasst: Die «verbesserte Roskopf-Uhr»: ‘F. Bachschmid Etat’ mit Ankerhemmung und indirekter Zentralsekunde (Patent CH 27553, 1904)
Hier noch ein Bild des Uhrwerkes von beiden Seiten:
So, für heute reicht es erstmal. In den nächsten Tagen will ich noch ein paar Infos nachtragen. Ich hoffe, es war interessant, auch wenn die Uhr alles andere als eine Kostbarkeit ist.
Zum Schluss noch etwas Wichtiges: Kennt jemand den französischen Hersteller dieses Uhrwerks? Ich konnte keinerlei Info dazu finden. Der ausführlichste Beitrag, den ich überhaupt gefunden habe, ist dieser hier in dem französischen Forum ‘Forum a montres’: un chronographe de sport vaiment hors norme
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