
Gatter
Themenstarter
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- 14.06.2018
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Ich habe inzwischen gelernt, dass es notwendig sein kann, die Leser vor dem Lesen meiner Texte auf die Ironie hinzuweisen, die die Texte (meist) enthalten, besonders dann, wenn ungewohnterweise keine Emojis verwendet werden, die explizit auf die ironischen Stellen hinweisen.
Ahoi an alle Mitreisenden!
Folgende Anekdote wurde mir neulich von einem guten Bekannten auf dem U2-Konzert in Köln (sic!) zugetragen und ich habe euch mal aufgeschrieben, was er mir erzählt hat, wobei er selbst diese wirklich wahre Geschichte wiederum von einem vollkommen integren, entfernten Verwandten gehört haben habe will, der sie aus dem Internet hat (und wenn`s im Internet steht, dann ist es wahr):
Auf einem Autobahnrasthof an einer stark befahrenen europäischen Autobahn steht ein alter VW Caddy und es sitzt dort drin ein unrasierter, endvierzigjähriger Mann im Discounterpoloshirt und döst.
Ein schick angezogener Vorbeikommender auf seinem Weg in den Urlaub mit seinem Maserati zückt sein Eintausenachthunderteurosmartphone, um das idyllische Rastplatzbild zu fotografieren: blauer Himmel, schwarzer Asphalt, schneeweiße Plastikverpackungsreste mit friedlichen Zigarettenstummeln im sattgrünen, zugeschissenen Gras, silberner Wagen, olivgrüne Basecap.
Ein Geräusch weckt den dösenden Caddymann, der sich schläfrig aufrichtet.
Der Designeranzug beginnt ein Gespräch:
„Sie werden heute nicht mehr arbeiten?“
Kopfschütteln des Endvierzigers.
„Aber man hat mir gesagt, dass die Wirtschaft brummt. Die Börsenkurse steigen.“
„Weiß ich.“
„Sie werden heute also nicht mehr ihr Geld durch Börsenspekulationen vermehren?“ Kopfschütteln im Inneren des Caddys.
Steigende Nervosität des Maseratifahrers. Gewiss liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpasste Gelegenheit.
„Oh? Sie fühlen sich nicht wohl?“
„Ich fühle mich großartig“, sagt das Siebeneuroneunundneunzigpoloshirt. „Ich habe mich nie besser gefühlt.“
Er steigt aus dem Wagen, reckt sich. „Ich fühle mich phantastisch.“
Der Gesichtsausdruck des Investmentbankers wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: „Aber warum arbeiten Sie dann nicht?“
Die Antwort kommt prompt und knapp. „Weil ich heute Morgen schon genügend gearbeitet habe.“
„Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen“, sagt der , „aber sie tragen da eine sehr einfache Uhr. Wie wäre es, wenn sie mal anfangen würden, den ganzen Tag zu arbeiten, dann könnten sie sich eine zweite, richtige Uhr leisten. Und ein Auto.“
Der Dreitagebart nickt.
„Diese Orient Sentry SER2G003W0 mit dem Kaliber 48749 gab es günstig online zu bestellen in Fernost.
Ich hab mich beim Surfen im Internet spontan in das schlecht gerenderte Foto der Kleinen verliebt: Dann direkt bestellt und mit der normalen Post -ohne das Trackingnummerngedöns- wurde sie zu mir nach Hause geliefert. Es dauerte kaum drei, vier, fünf Wochen, und zack!, schon war sie da. Ohne Box, aber sicher im braunen Briefumschlag und in Noppenfolie verpackt. Die Garantiekarte fehlte erwartungsgemäß. Wäre die Karte wider Erwarten mit dabei gewesen, wäre sie aber sicher nicht ausgefüllt oder gar gestempelt.
Falls es Sie interessiert, diese schöne Uhr funktioniert mechanisch-automatisch, das Uhrwerk kann man durch das Mineralglas am Boden sehen und so gut hören, dass ich schon öfter das Gefühl hatte, ich trüge einen Sack mit Nüssen mit mir herum.
Das Uhrwerk hat allerdings keinen Handaufzug. Vom fehlenden Sekundenstopp will ich auch lieber nicht reden.“
„Oh!“
„Sie passt wunderbar an mein 17,5cm Handgelenk mit ihren 40 Millimetern Durchmesser und 12mm Höhe, weil das helle Ziffernblatt die Uhr optisch etwas größer wirken lässt.
Der Edelstahl ist schön poliert und das 22 Millimeter breite, eingliedrige Armband wirkt durch die Einteilung in verschiedene Segmente mit den zwei mattierten Teilflächen und die insgesamt sehr geschickte Bearbeitung so, als würde es aus fünf kleinen Einzelteilen bestehen. Das Band klappert den Tag über zufrieden zusammen mit dem tatsächlich ganz zart dekorierten Aufzugsrotor im Rhythmus meines Armes, weil, auch die Endlinks sind keineswegs massiv.
Überrascht bin ich aber immer noch von der Schließe: aus einem Block massiven Edelstahls gepresst.“
„Oha!“
„Das Schönste an ihr ist das wunderbar perlmuttartig schillernde Ziffernblatt mit Sunburstschliff. In der Sonne entstehen manchmal ganz feine, rosafarbene Brechungen. Da kann ich mich nicht dran sattsehen.
Für den aufgerufenen Preis wurden sogar polierte und aufgesetzte Edelstahlindizes, die interessanterweise manchmal mehr schwarz als silbern glänzen, montiert und sie sind so genau ins Rehaut eingelegt und eingepasst, dass jeder Seikofanboy ob der Passgenauigkeit blass vor Neid wird. Über den Stundenindices befinden sich kleine weiße rechteckige Flächen, die sorgfältig schwarz gerahmt sind. Diese Flächen sollen wohl im Dunkeln leuchten. An dieser Stelle wird klar, dass japanische Uhrenbaumeister auch über eine gehörige Portion Humor verfügen... Einzig die Zeigerenden haben so viel LumiBrite spendiert bekommen und leuchten dann bei Dunkelheit in dem Maße, dass man erkennen kann, dass die Zeiger noch nicht abgefallen sind - die genaue Uhrzeit kann aber insgesamt nur schwer abgelesen werden.
Der Sekundenzeiger hoppelt und stoppelt recht unbeholfen vor sich hin, da hab ich mich schon gefragt, wie es die Uhr schafft, dennoch relativ genau die Zeit zu halten.
Das Ziffernblatt wird oben von der römischen Zwölf und unten von römischen Sechs komplettiert und stellt damit sicher, dass kein Uhrenfreund, der mit römischen Ziffern nicht klarkommt, sich je diese Uhr kaufen wird. Das alles ist sorgfältigst unter der vermutlich nicht entspiegelten, aber dennoch echten, ebenen Safirfläche verbaut, die zwei Rauten auf dem Ziffernblatt weisen stolz auf die Verwendung von Safir (kein Glas) hin.
„Oh haueha!“
„Orient macht sich aber auch Gedanken um den praktischen Nutzen seiner Uhren: In 50 Metern Wassertiefe könnte ich mit ihr noch duschen.“
Der Siebentausendeuroanzug schluckt kurz, fährt dann aber unbeeindruckt fort:
„Aber stellen Sie sich vor, Sie würden nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag bis nachmittags in einem richtigen Job arbeiten.
Sie würden sich in spätestens einem Jahr eine Orient Saturation-Diver kaufen können, in zwei Jahren eine Tudor, in drei oder vier Jahren könnten Sie sich eine Rolex leisten, eines Tages würden sie viele Hublots und Patek Philippes haben, Sie würden...“, die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, „Sie würden einen kleinen Tresor im Keller bauen, mit Regalen aus Dachlatten und Kaffeepulver in Schüsseln am Boden gegen die Feuchtigkeit, vielleicht dort ihre komplette Uhrensammlung mit den Lange und Söhne-Uhren lagern.
Sie könnten dann sogar mit den Uhren handeln, die bei ihnen zu wenig Wristtime bekommen, damit dann große Gewinne machen, sich Mitarbeiter leisten, die um die Welt fahren, um sehr seltene Rolex auszumachen und sie würden ihren Einkäufern per Funk Anweisung geben, diese Rolex von koreanischen Zwischenhändlern bei ebay für ihre Sammlung zu kaufen. Sie könnten die Konzessionsrechte für den weltweiten Handel mit Luxusuhren erwerben, einen Onlineshop eröffnen, die Uhren über das Internet ohne Ladengeschäfte direkt nach Paris oder New-York exportieren, sie hätten dann eine unermesslich große Uhrensammlung – und dann...“ – wieder verschlägt die Begeisterung dem Riesterrentenverkäufer die Sprache.
Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut an Autos, die eilfertig summend die Autobahn hinuntersausen.
„Und dann...“, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.
Der ärmliche Einuhrbesitzer klopft ihm auf den Rücken wie einem Kind, das sich verschluckt hat. „Was dann?“ fragte er leise.
„Dann“, sagt der Luxusuhrensammlungsbesitzer mit stiller Begeisterung, „dann hätten sie so viel verdient, dann hätten sie sich so viele Uhren für ihre Sammlung beschafft, sie könnten dann beruhigt hier an der Raststätte sitzen, in der Sonne dösen – und auf die herrliche Autobahn und ihre Lieblingsuhr blicken.“
„Aber das tu ich ja schon jetzt“, sagt der Halbtagsjobber, „ich sitze hier beruhigt am Parkplatz und döse und betrachte ab und zu das Spiel der Sonne mit dem Ziffernblatt meiner Orient Sentry, nur ihr aufdringliches Fotografieren hat mich dabei gestört.“
Tatsächlich zog der solcherlei Belehrte nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages die größte Uhrensammlung der Welt zu besitzen, und es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten faulen Sack in ihm zurück.
Nur ein wenig Neid.
Ich schwör, genau so hat mein Bekannter es erzählt.
Kein Land in Sicht,
Joachim
Textgrundlage: Heinrich Böll: „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“
Ahoi an alle Mitreisenden!
Folgende Anekdote wurde mir neulich von einem guten Bekannten auf dem U2-Konzert in Köln (sic!) zugetragen und ich habe euch mal aufgeschrieben, was er mir erzählt hat, wobei er selbst diese wirklich wahre Geschichte wiederum von einem vollkommen integren, entfernten Verwandten gehört haben habe will, der sie aus dem Internet hat (und wenn`s im Internet steht, dann ist es wahr):
Auf einem Autobahnrasthof an einer stark befahrenen europäischen Autobahn steht ein alter VW Caddy und es sitzt dort drin ein unrasierter, endvierzigjähriger Mann im Discounterpoloshirt und döst.
Ein schick angezogener Vorbeikommender auf seinem Weg in den Urlaub mit seinem Maserati zückt sein Eintausenachthunderteurosmartphone, um das idyllische Rastplatzbild zu fotografieren: blauer Himmel, schwarzer Asphalt, schneeweiße Plastikverpackungsreste mit friedlichen Zigarettenstummeln im sattgrünen, zugeschissenen Gras, silberner Wagen, olivgrüne Basecap.
Ein Geräusch weckt den dösenden Caddymann, der sich schläfrig aufrichtet.
Der Designeranzug beginnt ein Gespräch:
„Sie werden heute nicht mehr arbeiten?“
Kopfschütteln des Endvierzigers.
„Aber man hat mir gesagt, dass die Wirtschaft brummt. Die Börsenkurse steigen.“
„Weiß ich.“
„Sie werden heute also nicht mehr ihr Geld durch Börsenspekulationen vermehren?“ Kopfschütteln im Inneren des Caddys.
Steigende Nervosität des Maseratifahrers. Gewiss liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpasste Gelegenheit.
„Oh? Sie fühlen sich nicht wohl?“
„Ich fühle mich großartig“, sagt das Siebeneuroneunundneunzigpoloshirt. „Ich habe mich nie besser gefühlt.“
Er steigt aus dem Wagen, reckt sich. „Ich fühle mich phantastisch.“
Der Gesichtsausdruck des Investmentbankers wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: „Aber warum arbeiten Sie dann nicht?“
Die Antwort kommt prompt und knapp. „Weil ich heute Morgen schon genügend gearbeitet habe.“
„Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen“, sagt der , „aber sie tragen da eine sehr einfache Uhr. Wie wäre es, wenn sie mal anfangen würden, den ganzen Tag zu arbeiten, dann könnten sie sich eine zweite, richtige Uhr leisten. Und ein Auto.“
Der Dreitagebart nickt.
„Diese Orient Sentry SER2G003W0 mit dem Kaliber 48749 gab es günstig online zu bestellen in Fernost.
Ich hab mich beim Surfen im Internet spontan in das schlecht gerenderte Foto der Kleinen verliebt: Dann direkt bestellt und mit der normalen Post -ohne das Trackingnummerngedöns- wurde sie zu mir nach Hause geliefert. Es dauerte kaum drei, vier, fünf Wochen, und zack!, schon war sie da. Ohne Box, aber sicher im braunen Briefumschlag und in Noppenfolie verpackt. Die Garantiekarte fehlte erwartungsgemäß. Wäre die Karte wider Erwarten mit dabei gewesen, wäre sie aber sicher nicht ausgefüllt oder gar gestempelt.
Falls es Sie interessiert, diese schöne Uhr funktioniert mechanisch-automatisch, das Uhrwerk kann man durch das Mineralglas am Boden sehen und so gut hören, dass ich schon öfter das Gefühl hatte, ich trüge einen Sack mit Nüssen mit mir herum.
Das Uhrwerk hat allerdings keinen Handaufzug. Vom fehlenden Sekundenstopp will ich auch lieber nicht reden.“
„Oh!“
„Sie passt wunderbar an mein 17,5cm Handgelenk mit ihren 40 Millimetern Durchmesser und 12mm Höhe, weil das helle Ziffernblatt die Uhr optisch etwas größer wirken lässt.
Der Edelstahl ist schön poliert und das 22 Millimeter breite, eingliedrige Armband wirkt durch die Einteilung in verschiedene Segmente mit den zwei mattierten Teilflächen und die insgesamt sehr geschickte Bearbeitung so, als würde es aus fünf kleinen Einzelteilen bestehen. Das Band klappert den Tag über zufrieden zusammen mit dem tatsächlich ganz zart dekorierten Aufzugsrotor im Rhythmus meines Armes, weil, auch die Endlinks sind keineswegs massiv.
Überrascht bin ich aber immer noch von der Schließe: aus einem Block massiven Edelstahls gepresst.“
„Oha!“
„Das Schönste an ihr ist das wunderbar perlmuttartig schillernde Ziffernblatt mit Sunburstschliff. In der Sonne entstehen manchmal ganz feine, rosafarbene Brechungen. Da kann ich mich nicht dran sattsehen.
Für den aufgerufenen Preis wurden sogar polierte und aufgesetzte Edelstahlindizes, die interessanterweise manchmal mehr schwarz als silbern glänzen, montiert und sie sind so genau ins Rehaut eingelegt und eingepasst, dass jeder Seikofanboy ob der Passgenauigkeit blass vor Neid wird. Über den Stundenindices befinden sich kleine weiße rechteckige Flächen, die sorgfältig schwarz gerahmt sind. Diese Flächen sollen wohl im Dunkeln leuchten. An dieser Stelle wird klar, dass japanische Uhrenbaumeister auch über eine gehörige Portion Humor verfügen... Einzig die Zeigerenden haben so viel LumiBrite spendiert bekommen und leuchten dann bei Dunkelheit in dem Maße, dass man erkennen kann, dass die Zeiger noch nicht abgefallen sind - die genaue Uhrzeit kann aber insgesamt nur schwer abgelesen werden.
Der Sekundenzeiger hoppelt und stoppelt recht unbeholfen vor sich hin, da hab ich mich schon gefragt, wie es die Uhr schafft, dennoch relativ genau die Zeit zu halten.
Das Ziffernblatt wird oben von der römischen Zwölf und unten von römischen Sechs komplettiert und stellt damit sicher, dass kein Uhrenfreund, der mit römischen Ziffern nicht klarkommt, sich je diese Uhr kaufen wird. Das alles ist sorgfältigst unter der vermutlich nicht entspiegelten, aber dennoch echten, ebenen Safirfläche verbaut, die zwei Rauten auf dem Ziffernblatt weisen stolz auf die Verwendung von Safir (kein Glas) hin.
„Oh haueha!“
„Orient macht sich aber auch Gedanken um den praktischen Nutzen seiner Uhren: In 50 Metern Wassertiefe könnte ich mit ihr noch duschen.“
Der Siebentausendeuroanzug schluckt kurz, fährt dann aber unbeeindruckt fort:
„Aber stellen Sie sich vor, Sie würden nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag bis nachmittags in einem richtigen Job arbeiten.
Sie würden sich in spätestens einem Jahr eine Orient Saturation-Diver kaufen können, in zwei Jahren eine Tudor, in drei oder vier Jahren könnten Sie sich eine Rolex leisten, eines Tages würden sie viele Hublots und Patek Philippes haben, Sie würden...“, die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, „Sie würden einen kleinen Tresor im Keller bauen, mit Regalen aus Dachlatten und Kaffeepulver in Schüsseln am Boden gegen die Feuchtigkeit, vielleicht dort ihre komplette Uhrensammlung mit den Lange und Söhne-Uhren lagern.
Sie könnten dann sogar mit den Uhren handeln, die bei ihnen zu wenig Wristtime bekommen, damit dann große Gewinne machen, sich Mitarbeiter leisten, die um die Welt fahren, um sehr seltene Rolex auszumachen und sie würden ihren Einkäufern per Funk Anweisung geben, diese Rolex von koreanischen Zwischenhändlern bei ebay für ihre Sammlung zu kaufen. Sie könnten die Konzessionsrechte für den weltweiten Handel mit Luxusuhren erwerben, einen Onlineshop eröffnen, die Uhren über das Internet ohne Ladengeschäfte direkt nach Paris oder New-York exportieren, sie hätten dann eine unermesslich große Uhrensammlung – und dann...“ – wieder verschlägt die Begeisterung dem Riesterrentenverkäufer die Sprache.
Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut an Autos, die eilfertig summend die Autobahn hinuntersausen.
„Und dann...“, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.
Der ärmliche Einuhrbesitzer klopft ihm auf den Rücken wie einem Kind, das sich verschluckt hat. „Was dann?“ fragte er leise.
„Dann“, sagt der Luxusuhrensammlungsbesitzer mit stiller Begeisterung, „dann hätten sie so viel verdient, dann hätten sie sich so viele Uhren für ihre Sammlung beschafft, sie könnten dann beruhigt hier an der Raststätte sitzen, in der Sonne dösen – und auf die herrliche Autobahn und ihre Lieblingsuhr blicken.“
„Aber das tu ich ja schon jetzt“, sagt der Halbtagsjobber, „ich sitze hier beruhigt am Parkplatz und döse und betrachte ab und zu das Spiel der Sonne mit dem Ziffernblatt meiner Orient Sentry, nur ihr aufdringliches Fotografieren hat mich dabei gestört.“
Tatsächlich zog der solcherlei Belehrte nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages die größte Uhrensammlung der Welt zu besitzen, und es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten faulen Sack in ihm zurück.
Nur ein wenig Neid.
Ich schwör, genau so hat mein Bekannter es erzählt.
Kein Land in Sicht,
Joachim
Textgrundlage: Heinrich Böll: „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“